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Der Winter naht

Kristina
Schmid
01.05.20 - 04:30 Uhr

Beginnt das Chaos jeden Tag von vorn, sagen wir: Herzlich Willkommen im Familienleben. Unser Alltag reiht verrückte, bunte, profane und ab und zu unfassbar perfekte Momente aneinander. Das Leben als Mama oder Papa ist eine aufregende Reise, auf die wir Euch nun mitnehmen. Ganz nach dem Motto: Unser Alltag ist ihre Kindheit.

«Ich wollte Euch nur schon einen schönen Sommer und Herbst wünschen. Vielleicht sehen sich die Kinder im Winter ja wieder.» Dieser Satz, den eine Mama in einer Facebook-Gruppe schrieb, war lustig gemeint. Doch ich fand in just an dem Tag, just in der Minute, als ich ihn las, nicht so lustig. Er stürzte mich schon fast in meine erste grosse Corona-Stay-Home-Krise.

Sechs Wochen. Oder genauer gesagt 47 Tage freiwillige Isolation. Mal gute, mal schlechte Tage. Aber ein Gedanke immer im Hinterkopf: Es kommen auch wieder andere Zeiten. Und zwar noch vor dem Winter. Hoffentlich. Ich wusste, irgendwann wäre es wieder so weit. Ich wusste, wir würden das irgendwie bis dahin auch meistern. Aber an diesem Tag war ich mir nicht mehr so sicher, ob wir das alles auch so unbeschadet überstehen würden, wie ich es mir am Anfang erhofft hatte.

Es war ein Tag, der erste Tag in dieser Krise, an dem ich am liebsten nur noch mit Kopfhörern rumgelaufen wäre. Ich fühlte mich innerlich zerrissen. Ich liebe meinen Sohn wirklich über alles, aber irgendwann liegen auch bei mir die Nerven mal blank. Wenn zum zwölften Mal in zwölf Minuten «Mama» geschrien wird. Für nichts. Natürlich bemühe ich mich, ihn das nicht spüren zu lassen. Aber irgendwann mag man einfach nicht mehr.

Mir ist bewusst: Was wir hier machen, ist nichts Besonderes. Das sehe ich nach wie vor so. Ich bin unendlich dankbar für unser grosses Haus mit Garten. In einem solchen zu wohnen ist ein Privileg, das viele von uns nicht haben. Aber so langsam hatte ich genug. Ich wollte meinen Sohn auch wieder zu seinem Nani und Neni bringen dürfen. Oder zumindest wollte ich meinen Sohn auch wieder mit anderen Kindern spielen sehen. Für mich, um nicht verrückt zu werden. Aber vor allem für ihn und sein Seelenheil.

Und dann kam die Nachricht. Der Beschluss des Bundesrats. Die vielen weiteren Lockerungen. Viel früher als erwartet und angenommen. Ich wollte weinen. Weil in mir noch immer die Angst und Sorge wuchert, die Zahlen könnten mit jeder gelockerten Massnahme wieder stark ansteigen. Und ich wollte lachen. Weil offenbar wieder ein Stückchen Normalität in unser Leben einkehrt.

Lasst uns nicht naiv sein. Vergessen, was passieren könnte, wenn wir in alte Muster zurückfallen. Lasst uns also Distanz wahren und die Hygienemassnahmen auch weiterhin einhalten. Zum Schutz unserer Grosseltern. Zum Schutz aller älteren Menschen. Und zum Schutz unserer selbst. Aber freuen wir uns doch auch darüber, unsere Kinder schon bald wieder mit anderen Kindern zu sehen. Vielleicht beginnt der «Winter» in diesem Jahr ja schon am 11. Mai.

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