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«Unser Körper geht in eine Art Stand-by-Modus»

Chronobiologe Christian Cajochen über Lerchen und Eulen, Tag und Nacht, Licht und Dunkelheit.

Bündner Woche
30.06.22 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Nicht nachtaktiv: Wir Menschen sind biologisch nicht dafür gemacht, im Dunkeln aktiv zu sein.
Nicht nachtaktiv: Wir Menschen sind biologisch nicht dafür gemacht, im Dunkeln aktiv zu sein.
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Von Cindy Ziegler

Was passiert, wenn wir schlafen? Was macht die Nacht mit uns? Und wie gehen wir mit Dunkelheit um? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigt sich Christian Cajochen. Der gebürtige Emser ist Biologe und leitet das Zentrum für Chronobiologie an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel.

Herr Cajochen, was bedeutet Nacht?

Christian Cajochen: Das ist auch eine philosophische Frage. Für mich bedeutet Nacht, wenn es langsam ruhig wird. Der Tag hat 24 Stunden und in diesen 24 Stunden gibt es eine Zeit, die für die Erholung da ist. In der Regel ist es dann dunkel. In unseren Breitengraden wohl zwischen 21 und 6 Uhr. Die Nacht ist etwas, was sich jeden Tag wiederholt. Und etwas, worauf man sich freuen kann.

Sind Sie eher ein Tag- oder ein Nachtmensch? Und gibt es diese zwei Typen überhaupt?

Ja, die Typen gibt es. Als ich jünger war, war ich definitiv ein Nachtmensch und ein Kurzschläfer. Mittlerweile hat sich das verändert. Ich gehe früher ins Bett, schlafe zwar immer noch kurz, stehe aber auch wieder früher auf. Die Ausprägung der beiden Chronotypen hat mit dem Alter zu tun, aber auch mit der Genetik. Die innere Uhr ist bei jedem Mensch anders eingestellt. Das ist, wie wenn man dunkle oder blonde Haare hat. Es gibt Lerchen- und Euletypen. Ein kompletter Nachtmensch existiert übrigens nicht. Ich kenne niemanden, der freiwillig nur am Tag schläft und in der Nacht aktiv ist. Es gibt auch nirgends auf der Welt Völker, die spontan am Tag schlafen und in der Nacht wach sind. Denn wir sind im Grunde eine tagesaktive Spezies.

Werden die Chronotypen vererbt?

Zum Teil schon. Es ist nicht so, dass man automatisch eine Eule ist, nur weil beide Eltern Eulen sind. Aber die Wahrscheinlichkeit ist viel grösser. Die innere Uhr ist eine Art Schrittmacher im Gehirn, der den Takt fürs Wachsein und Schlafen vorgibt. In Tierversuchen hat man die inneren Uhren einer langsam tickenden Maus und einer schnell tickenden ausgewechselt. Die Mäuse haben überlebt und man konnte tatsächlich aus einem Langsamticker einen Schnellticker machen und umgekehrt. Das zeigt, dass die innere Uhr fest verschaltet mit unserer Biologie ist. Es ist darum auch sehr schwierig, aus einem Nachttypen einen Morgentypen zu machen und umgekehrt. Man kann die Modi für kurze Zeit anpassen, fällt aber in der Regel in den gewohnten Rhythmus zurück. Im Übrigen ist es nicht gesund, gegen die eigene Biologie zu arbeiten.

Das bedeutet also, dass Menschen ihren Tag-Nacht-Rhythmus nicht umkehren können, ohne dass das psychische oder physische Folgen hat.

Über kurze Zeit gelingt die Umkehr, über längere Zeit ist das aber faktisch unmöglich. Es gibt Menschen, die müssen ein Leben lang oder für eine lange Zeit Nachtarbeit verrichten. Das hat dann aber oft schwerwiegende Folgen. Bis zu 70 Prozent ehemaliger Schichtarbeitenden haben Schlafprobleme. Auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen, Burn-out und Krebs ist erhöht.

Dauerhafte Nachtarbeit oder immer wieder Umstellen. Was ist gesünder?

Man nimmt an, dass dauerhafte Nachtarbeit weniger gefährlich ist, als immer wieder umstellen zu müssen. Dies, weil der Körper so weniger Stress ausgesetzt ist. Unser Körper will immer antizipieren respektive vorausplanen. Er weiss, wann wir normalerweise aufstehen und wann wir ins Bett gehen. Darauf reagiert er, indem er zum Beispiel die entsprechenden Hormone ausschüttet. Wenn keine gute Planung möglich ist, entsteht ein sogenanntes Chrono-Chaos. Besonders schlimm ist dies für das Kabinenpersonal von Flugzeugen, das Schicht arbeitet und zusätzlich einen Jetlag hat. In diesem Fall kann sich der Körper eigentlich nie an eine Routine anpassen.

Wo wird diesbezüglich aktuell geforscht?

Es gibt nicht nur eine innere Uhr im Gehirn, sondern ganz viele solcher Uhren im ganzen Körper, zum Beispiel in der Leber. Ein Forschungsgebiet ist, wie die Zellen aus der Peripherie mit der inneren Uhr im Hirn kommunizieren. Es wird aber auch erforscht, was die Ernährung mit diesen Rhythmen zu tun hat. Bei uns im Institut suchen wir derzeit nach Lichtlösungen. Dies, weil die innere Uhr extrem durch Licht gesteuert wird. Wir versuchen nun mit künstlichen Lampen, die Lichtzusammensetzung so hinzukriegen, damit sie für den Tag und die Nacht optimal ist.

Was ist während der Nacht im Körper anders als am Tag?

Der Körper ist ein ganz anderer. In der Nacht sinken Herzfrequenz, Blutdruck und Körpertemperatur. Das Dunkelhormon Melatonin wird ausgeschüttet. Und das Glückshormon Serotonin gesenkt. Oft haben wir deshalb in der Nacht ein Stimmungstief. Zudem wird unsere Reaktionsfähigkeit deutlich schlechter. Ganz besonders viele Fehler machen wir übrigens zwischen 4 und 5 Uhr morgens. In der Nacht erleben wir auch andere Emotionen. Es gibt Menschen, die das mögen und beispielsweise sagen, sie seien nachts viel kreativer und kämen auf ganz andere Ideen. Grundsätzlich geht unser Körper in der Nacht aber in eine Art Stand-by-Modus.

In den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten hat sich die Nacht, beziehungsweise wie wir sie empfinden, stark verändert. Wie reagiert der Mensch darauf?

Die meisten von uns erstaunlicherweise gut. Seit 120 Jahren haben wir Kunstlicht und können quasi die Nacht zum Tag machen – mit allen negativen Folgen, die ich bereits erwähnt habe. Bei Einhaltung einer sogenannten Lichthygiene kann der Körper relativ gut mit künstlichem Licht umgehen. Schlafstörungen haben in den letzten Jahren dennoch zu- und die Schlaflänge tendenziell abgenommen. Unser Leben hat sich mit den Jahren vermehrt in die Nacht verschoben.

 

Experte: Chronobiologe Christian Cajochen.
Experte: Chronobiologe Christian Cajochen.

«Träumen ist wichtig für das Gehirn»

- Christian Cajochen

Irgendwelche Tipps, um dafür zu sorgen, dass die innere Uhr wieder richtig tickt?

Grundsätzlich ist die innere Uhr genetisch gesteuert. Dementsprechend kann man nicht viel an ihr verändern, sondern sich bloss mit ihr arrangieren. Es gilt deshalb herauszufinden, welche Zeiten zu einem passen. Ein Spättyp sollte wohl eher kein Bäcker werden. Und ein genialer Jazzpianist wird Schwierigkeiten haben, wenn er ein Frühaufsteher ist. Für die Justierung der inneren Uhr ist der bewusste Lichtkonsum sehr wichtig. Grundsätzlich gilt: wenig Licht am Abend und viel Licht am Morgen.

Apropos Licht: Viele Menschen haben Angst im Dunkeln. Ist das angeboren oder erworben?

Ich bin kein Psychologe. Aber ich gehe davon aus, dass Angst im oder vor dem Dunkeln grösstenteils angeboren ist. Wir Menschen sind visuell gesteuert. Unsere Augen sind für das Tagsehen ausgestattet, und nicht für die Nacht. In der Nacht sehen wir schlecht und beispielsweise keine Farben. Deshalb fühlen wir uns unsicher. Und das kann natürlich Angst auslösen.

Erleben Sie die Nächte im Unterland anders als in Graubünden, wo Sie aufgewachsen sind? Wo schläft es sich besser?

Ich kann nicht sagen, wo ich besser schlafe (lacht). Grundsätzlich ist die Nacht ja auf der ganzen Welt gleich. Mir ist aber aufgefallen, dass, wenn man, wie in Ems, in einem Tal aufgewachsen ist, die Sonnenuntergänge und -aufgänge nicht wirklich erlebbar sind. In Graubünden gibt es viele Berge, aber eben auch viele Täler. Hier im Unterland erlebe ich die Dämmerung dafür sehr bewusst und finde sie sehr schön. Die Nacht in Graubünden empfinde ich dunkler, weil man oft von den hohen Bergen abgeschirmt ist. Wenn ich in Graubünden bin, habe ich meistens Ferien und schlafe wohl deshalb besser. Die Schlafqualität hat nämlich nicht nur mit der Dunkelheit zu tun, sondern viel damit, wie es uns psychisch geht und wo wir uns wohlfühlen.

Warum träumen wir?

Wenn ich das wüsste, könnte ich sehr viel Geld verdienen. Das ist eine Frage, die Forschende schon lange beschäftigt. Ich denke, dass Träumen Informationsverarbeitung ist, die im Schlaf stattfindet. Wir sammeln im Verlauf des Tages viele Eindrücke, welche dann in der Nacht gefiltert und sortiert werden. Der Traumschlaf ist auch sehr wichtig für das Gedächtnis. Träumen ist eine Art Kopfkino, wo manLebenssituationen simuliert. Das funktioniert gut, weil die Skelett-Muskulatur während des Traums nicht aktiviert werden kann. Babys haben übrigens oft fast nur Traumschlaf. Man nimmt an, dass das Träumen der Hirnentwicklung dient. Ganz genau sagen, warum wir träumen, kann dennoch niemand.

Geschieht Träumen immer unbewusst oder kann man das steuern?

Spannend ist, dass man sich nach dem Aufwachen oft an die Träume erinnert, sie dann aber schnell wieder vergisst. In diesen kurzen Momenten nehmen wir unsere Träume durchaus wahr. Es gibt Methoden, mit denen versucht wird, das Träumen bewusst zu steuern. Dieser Art des Träumens sagt man auch luzides Träumen. Mit bestimmten Techniken wird versucht, das zu trainieren. Zum Beispiel Profisportlerinnen und -Sportler probieren mit luzidem Träumen, mentale und motorische Eigenschaften zu verbessern. Es ist umstritten, aber es gibt Forschungen zu diesem Thema.

Glauben Sie, dass Sie mit Ihrem Wissen anders schlafen?

Ich schlafe sicher nicht besser. Nach einer schlechten Nacht mache ich mir wohl sehr viel mehr Gedanken darüber, warum das so ist, als wenn ich nicht Schlafforscher wäre. Ich weiss aber auch, dass der gute Schlaf immer wieder zurückkehrt. Der Erholungsschlaf holt einen immer wieder ein. Und das ist gut so.

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