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#sofunktionierts: Warum ihr Dinge kauft, die ihr eigentlich nicht braucht

Es gibt Tage, da läuft nichts wie geplant. Damit ihr euch in allen misslichen Lagen zu helfen wisst, gibt es die #sofunktionierts-Artikel. Heute: sogenannte Dark Patterns.

24.09.22 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Adieu Geld: Schweizerinnen und Schweizer lieben Online-Shopping.
Adieu Geld: Schweizerinnen und Schweizer lieben Online-Shopping.
Symbolbild Pexels

Online- und Versandhandel haben in der Schweiz einen festen Stellenwert. Gemäss der Online-Plattform «statista» gehen 12 Prozent des Gesamtumsatzes des schweizerischen Detailhandels auf den Onlinehandel zurück. Nur 13,6 Prozent davon stammen aus dem Segment Lebensmittel. Die drei umsatzstärksten Onlineshops der Schweiz sind in absteigender Reihenfolge: Digitec, Zalando und Galaxus. Deren Umsätze liegen in Milliardenhöhe. Und dabei habt ihr ganz wesentlich mitgeholfen – mehr als euch bewusst ist. 

Unser Angebot – nur für dich!

Starten wir ein Experiment. Ich suche in meiner Zalando-App nach Winterboots. Kriterien: schwarz, gutes Profil, nicht über 80 Franken. 922 Ergebnisse warten angeblich auf mich. Doch: Zalando wird versuchen, mir nicht nur Stiefel nach meinen Kritierien zu verkaufen. Wetten?

Sofort poppt ein Banner auf. Ich spare 10 Prozent mit dem Herbst-Code von Zalando. Okay. Soweit, so gut. Der Code gilt allerdings nur für Schuhe, die neu im Sortiment sind. Für alle anderen gilt er nicht. Der Onlineshop versucht also bereits jetzt, mich zu den eher teureren Modellen zu lenken – und weg vom letztjährigen, heruntergeschriebenen Sortiment. Nun denn, ich lege ein Paar Boots im Wert von 55 Franken in den Warenkorb. Passend dazu zeigt mir Zalando jetzt «Empfehlungen – gesponsert durch unsere Brands» an. Einen Parka für 65.99 Franken, einen Strickpullover in Pink für 21 Franken und High Waisted Jeans von Levis für 100 Franken. Zalando möchte natürlich, dass ich noch weiter bei ihnen shoppe, und sie mehr an mir verdienen als die 55 Franken mit den Stiefeln.

Klicken wir einmal weiter auf den pinken Pullover – einfach aus Spass. Falls er mir doch nicht gefällt, werden unten sogleich Pullover in etwas weniger knalligen Farben angepriesen – ebenfalls «Empfehlungen für dich». Ich begebe mich zurück zum Warenkorb und entferne die Boots. Zurück zur Startseite. Zalandos letzte Möglichkeit, mich zu einem Kauf zu bewegen. Die App zeigt mir «Unsere besten Angebote – für dich reduziert». Basierend auf meinen früheren Käufen. Und die Shopping-Applikation weist mich darauf hin, dass ich kein «Zalando Lounge Member» bin. Denn damit würde ich versteckte Sparmöglichkeiten entdecken und jeden Tag von neuen, zeitlich begrenzten Angeboten profitieren. So sind wir bereits mittendrin in den sogenannten «Dark Patterns». 

Wie Onlineshops manipulieren

Über dieses Phänomen haben die Fédération romande de consommateurs (FRC) und Public Eye, eine nichtstaatliche Organisation, gemeinsam geforscht. Ihre Recherche zeigt: Onlineshops manipulieren ihre Kundschaft, um mehr Umsatz zu machen. Das Recherchekollektiv definiert «Dark Patterns» folgendermassen: «Die Formen sind vielfältig: Pop-up-Fenster mit Rabattcodes mit sehr kurzer Laufzeit, Extra-Vorteile ab einem bestimmten Einkaufswert oder das ungefragte Hinzufügen von Artikeln oder Dienstleistungen im Warenkorb gehören ebenso zur Trickkiste der Händler wie Kundenkonten, die sich nur schwer oder gar nicht online kündigen lassen, oder der Einsatz von ‘Cookies’, mit denen uns Werbung auch auf anderen Webseiten verfolgt.» Bei Zalando haben sie insgesamt sechs solcher Mechanismen feststellen können. Ebenso bei Galaxus. Übertroffen werden diese Onlinehändler von der Konkurrenz aus dem Ausland: Shein benutzt satte 18 Manipulationsformen. Bei Aliexpress wurden zwölf, bei Amazon neun entdeckt. Schauen wir uns doch die Startseite von Shein genauer an:

Eine Mausbewegung: Neukunden sollen sofort an Shein gebunden werden.
Eine Mausbewegung: Neukunden sollen sofort an Shein gebunden werden.
Screenshot Shein

Newsletter gehören auch dazu

Nicht alle dieser «Dark Pattern» sind auffällige Pop-ups oder ungefragt hinzugefügte Artikel in den Warenkörben. Es geht auch viel subtiler. So werden Nutzerinnen und Nutzer gemäss der Recherche oft gezwungen oder gedrängt, ein Kundenkonto anzulegen. Bei gewissen Plattformen ist es bei der Bestellung unumgänglich, den Werbenewsletter zu abonnieren. Gleichzeitig wird es anschliessend schwierig oder gar unmöglich, das Kundenkonto über die mobile Webseite wieder zu löschen. Ebenfalls im Hintergrund: das Speichern von Browserdaten, sogenannten Cookies. Das schweizerische Datenschutzrecht ermöglicht es den Shops, die Benutzerinnen und Benutzer gar nicht erst um Erlaubnis fragen zu müssen, bevor das Surfverhalten gespeichert wird. Einige Unternehmen nutzen dies aus und speichern die Cookies ungefragt ab. Deutlich mehr Webseiten machen es den Benutzenden aber einfach sehr schwer, die Werbe-Cookies abzulehnen.

So gut funktioniert das Konzept

Habt ihr noch immer den Eindruck, ihr selber entscheidet, was und wie viel ihr kauft? Fakt ist, «Dark Patterns» erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass die Kundschaft eine bestimmte Aktion ausführen, um das Zwei- bis Vierfache. Dabei machen sich die Shops auch zu Nutzen, dass viele Menschen die Angst in sich tragen, etwas zu verpassen (im Englischen gibt es einen fixen Begriff dafür: «fear of missing out», kurz «Fomo»). So neigen Kundinnen und Kunden beispielsweise eher dazu, ein Angebot anzunehmen, wenn es zeitlich oder anzahlmässig limitiert ist. Onlinehändler bauen ihre Webseite nicht nur nach optisch ansprechenden Kriterien auf – sie berufen sich auf Studien und Millionen von Daten, um den höchstmöglichen Umsatz zu generieren. Die komplette Untersuchung und die Forderung des Recherchekollektivs gibt es hier.

Mara Schlumpf ist Redaktorin und Chefin vom Dienst bei «suedostschweiz.ch». Ursprünglich kommt sie aus dem Aargau, hat ihr Herz aber vor einigen Jahren an Chur verschenkt. Mehr Infos

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