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«Kein Todesurteil mehr»

Am 1. Dezember ist Welt-Aids-Tag –zu Besuch bei der Aids-Hilfe Graubünden

Bündner Woche
27.11.22 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Willkommen: Die Türe der Aids-Hilfe Graubünden steht offen für Betroffene, Interessierte und solche, die sich testen lassen möchten.
Willkommen: Die Türe der Aids-Hilfe Graubünden steht offen für Betroffene, Interessierte und solche, die sich testen lassen möchten.
Karin Hobi

Von Karin Hobi

Die grüne Gartentüre steht offen. Die Besucherin wird von pink- und rotblühenden Rosen empfangen. Steinplatten bahnen den Weg am Garten vorbei zum Haus mit gelben Fassaden. Eine junge Frau in Bluejeans öffnet die Türe. Judita Arenas, die Geschäftsleiterin der Aids-Hilfe Graubünden. Ihr offenes, strahlendes Lachen schafft sofort Nähe und Vertrauen. Hier darf man sich willkommen fühlen. In den Räumlichkeiten der Aids-Hilfe Graubünden.

Der Charme des Altbaus und die herzliche Begrüssung erinnern an das Feeling in einer Wohngemeinschaft. Jeder Raum wirkt einladend und dient seinem Zweck. Einer davon ist für das Testing (HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen) ausgerüstet. In einem weiteren passiert die ganze Organisation im Hintergrund. Und dann ist da noch das Büro der Geschäftsleitung von Judita Arenas. Mit dem runden Tisch in der Mitte, der zu Gesprächen einlädt. Viel Literatur wartet in braunen Holzgestellen auf die Menschen, die mehr erfahren wollen. Material für Präsentationen steht bereit, sowie Flyer und Verhütungsmittel für Anlässe, an denen die Aids-Hilfe zu Präventionszwecken vor Ort ist.

Jede und jeder kann hier ein und aus. Ältere und Jüngere. Betroffene und Interessierte. Offene und Zurückhaltende. Sie alle stellen Fragen. Lassen sich aufklären. Machen Tests. «Manche kommen einfach vorbei auf einen Schwatz und einen Kaffee», erzählt Judita Arenas. «Oder brauchen eben Antworten auf ihre Fragen. Oder Begleitung und Hilfe.» All das finden die Menschen hier: Die Möglichkeit, sich möglichst anonym testen zu lassen, sich präventiv zu informieren oder um sich nach einer Diagnose begleiten und beraten zu lassen.

«Die Angst vor Ausgrenzung ist gross.»
Judith Arenas, Geschäftsleitung Aids-Hilfe Graubünden

Am 1. Dezember ist Welt-Aids-Tag. Die Aids-Hilfe Graubünden hat dafür ein Programm zum Thema «HIV im Gesundheitswesen» zusammengestellt. Denn die meisten Menschen in der Schweiz mit HIV sind berufstätig. Auch im Gesundheitsbereich. «Deren Angst vor Ausgrenzung, Benachteiligung und Stigmatisierung ist teilweise sehr gross», erzählt Judita Arenas. Darum stellen sich Fragen wie: «Muss ich an meinem Arbeitsplatz überhaupt kommunizieren, dass ich HIV-positiv bin?» Die Antwort lautet: «Nein.» Die Aids-Hilfe klärt nicht nur auf, sondern informiert auch über die Rechte der Betroffenen und Arbeitgebenden. Oder die Beratungsstelle bereitet die Betroffenen auf mögliche Reaktionen vor, die bei einem «Outing» passieren können.

Genau solche Themen sollen am 1. Dezember unter anderem angesprochen werden. Der Anlass dauert von 19.30 bis 21.30 Uhr und findet in der Stadtbibliothek Chur statt. «Das ist der ideale Ort dafür», sagt die Geschäftsleiterin, die sich sichtlich darauf freut. «Zentral aber vor allem zugänglich für alle.» Ja, jede und jeder sei willkommen und es brauche nicht nur Leute, die sich explizit für HIV und Aids interessieren. Genau so wichtig kann der Abend auch für diejenigen sein, die sich rein zufällig in der Bibliothek aufhalten. «Sie haben sogar die Möglichkeit, sich hinter einem Buch zu verstecken und trotzdem hinzuhören», so Judita Arenas, die eine gewisse Vorsicht vor der Thematik ganz offensichtlich nicht verurteilt.

Setzt sich für Aufklärung ein: Judita Arena, Geschäftsleitung Aids-Hilfe GR. Bild Karin Hobby
Setzt sich für Aufklärung ein: Judita Arena, Geschäftsleitung Aids-Hilfe GR. Bild Karin Hobby

Der Anlass in der Stadtbibliothek wird vielseitig. Unter anderem ist die Infektiologin des Kantonsspital Chur vor Ort, um nebst ihren Erfahrungen mit Betroffenen über die neusten Erkenntnisse der Medizin zu informieren. Der Abend bietet aber nicht nur das Vermitteln von Wissen, sondern auch Einblick in die Welt von betroffenen Menschen, die offen über ihr Leben mit dem HI-Virus erzählen.

Obwohl Judita Arenas sich tagtäglich mit sehr emotionalen Themen unterschiedlicher Menschen auseinandersetzt, steht ihr die Lebensfreude und der Spass an ihren Aufgaben ins Gesicht geschrieben. Eine Frau mit unglaublich positiver Ausstrahlung, aber auch ungemein viel Power, starkem Willen und Wissensdurst.

«Nein, viele Menschen sind nicht genügend aufgeklärt», spricht sie aus Erfahrung. «Und ja, viele Betroffene werden darum noch immer diskriminiert.» Vielmals wissen die Leute nicht, wie fortschrittlich die Medizin bereits ist. «HIV-positiv ist nicht gleich Aids und nicht gleich Tod. Eine HIV-positive Person in Behandlung muss keine kürzere Lebenserwartung haben als alle anderen. Bei HIV-Infektion handelt es sich um eine chronische Erkrankung, die medizinischer Behandlung bedarf und das ist noch längst kein Todesurteil», so Judita Arenas.

«Bestenfalls wird eine Infektion möglichst früh festgestellt», erzählt sie weiter. Denn je früher die Infektion bemerkt werde, desto besser und schneller sei sie behandelbar. Sie ist froh darüber, dass die Testmöglichkeiten öffentlich zugänglicher geworden sind.

Umdenken fehlt

Sie steht auf, um Flyer zu holen. Ein ganzes Set. Stolz zeigt sie die kleinen Infokarten, die kurz und klar informieren. Mit Überbegriffen wie «Verlauf der HIV-Therapie», «HIV- Medikamente korrekt einnehmen» oder «Kinderwunsch mit HIV». «Die Krankheit ist zwar nicht heil-, aber behandelbar», sagt sie. «Wichtig ist eine Therapie mit medizinischer Versorgung und regelmässigen Blutentnahmen.» Für die Überprüfung der Virusbelastung im Blut. Und was viele Leute nicht wissen: Das Virus ist nicht übertragbar, wenn die HI-Viruslast unter der Nachweisgrenze liegt.

In den 80er Jahren wusste man noch sehr wenig über die Erkrankung und der medizinische Fortschritt war noch verhalten, weswegen viele Menschen an Aids gestorben sind. Heute kommt ein Ausbruch in der Schweiz dank schnellen Handlungsmöglichkeiten und fortschrittlicher Medizin glücklicherweise nur noch selten vor. «Aber was in unserer Gesellschaft noch fehlt, ist das Umdenken», sagt die Geschäftsleiterin nachdenklich. «Ein Zahnarzt muss den Termin für einen HIV-positiven Menschen nicht erst am Ende des Tages festsetzen. Solche Sachen passieren tatsächlich immer noch.»

Vorurteile aufgrund von Unwissen. Darüber zu reden ist das Ziel der Aids-Hilfe. «Es geht uns bei unserem Programm vom 1. Dezember unter anderem darum, Solidarität mit den von HIV betroffenen Menschen  zu zeigen», so die Stellenleiterin. Aber auch, dass Diskriminierung ein grosses Thema und ernst zu nehmen ist. Und dem wollen Judita Arenas und viele Engagierte mit Wissensvermittlung entgegenwirken.

www.aidshilfe-gr.ch

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