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Ein Gemeindepräsident aus Versam: Im Herzen Bündner

Lukas Züst ist im Kanton Bern geboren, in Winterthur grossgeworden und in Versam angekommen – ein Plädoyer für Graubünden und für Junge in der Politik.

Bündner Woche
26.01.23 - 11:00 Uhr
Leben & Freizeit
Wahlbündner: Der Zürcher Lukas Züst fühlt sich im Bergdorf Versam «Dihei». Mehr noch – er ist seit zwei Jahren Präsident der politischen Gemeinde Safiental.
Wahlbündner: Der Zürcher Lukas Züst fühlt sich im Bergdorf Versam «Dihei». Mehr noch – er ist seit zwei Jahren Präsident der politischen Gemeinde Safiental.
Cindy Ziegler

von Cindy Ziegler

Das Postauto nach Versam schlängelt sich über die Strasse und durch die Dunkelheit. Nur wenige Menschen wollen an diesem Dienstagabend im Januar ins Safiental. Ein paar Schüler steigen zu, während die Chauffeurin gleich noch den Briefkasten an der Haltestelle leert. In Versam Post heisst helles Licht in einem kleinen Selbstbedienungsladen willkommen. Die Schüler setzen sich kurz auf die weichen Sessel im Innern. Lukas Züst, ein junger Mann mit Bart und Schirmmütze, begrüsst die Jungs freundlich und stellt sich im gleichen Ton mir vor. Er führt durch den hinteren Teil des Raumes, der Backstube seiner Frau Hannah. Oben in der Wohnung stehen kleine und grosse Winterstiefel auf den Holzstufen. Ein Mädchen steckt mir Stolz ihre Hand entgegen. «Seisch ‘Hoi’ Emmylou», weist ihr Papa sie an. Dann doch überraschend schüchtern kommt das Wort über ihre Lippen. Lukas Züst lächelt über das Gebaren seiner Zweijährigen.

Hinter dem Küchentisch hängen viele Karten und Fotos. Geburtsanzeigen, Muttertagszeichnungen, Hochzeitseinladungen. Eine Ikea-Stehlampe sorgt für gelbes Licht, das die warme Stimmung im Raum verstärkt. An den Scheiben sind kleine, fettige Handabdrücke erkennbar. Lukas Züst schiebt sich auf die Eckbank und beginnt zu erzählen. Frei von der Leber weg, so mache er das immer, meint er. «Ich bin vom Hals abwärts langsam wie ein Berner, habe die ‘Schnorre’ eins Zürchers und bin im Herzen Bündner.» Ein Satz, der schnell erklärt, woher er kommt, nicht aber, was ihn nach Versam gebracht hat. Dazu muss der 33-Jährige ein bisschen ausholen.

Die Geschichte beginnt mit der Liebe zu Baumaschinen. Schon als kleiner Junge wollte Lukas Züst Maschinist werden. «Und so interessierten mich zwangsläufig auch Pistenmaschinen», erklärt er. Nach der Ausbildung suchte er einen Job. Im St. Gallerischen Wildhaus meinten sie, er hätte als Zürcher ohnehin keine Chance. In Laax kommt der «Züzi» dann aber zu einem Job und hinter das Steuer der Pistenmaschinen. Nach zwei Saisons in den Bergen und zwei Sommern im Unterland habe er es unten nicht mehr ausgehalten. «Ich fühlte mich in Graubünden schnell ‘Dihei’. Der Nebel im Unterland tat sein übriges», erklärt er.

Ruhiger, bedachter, persönlicher

Aber es seien nicht nur die Arbeit mit den schweren Maschinen und die Berge, sondern vor allem die Menschen, die ihn seither mit Graubünden verbinden. «Ich mag die Bündnerinnen und Bündner. Das Leben hier oben ist allgemein ruhiger, bedachter, persönlicher.» Er schätze die Nähe zur gesamten Gemeinschaft und dass man sich grüsst, wenn man sich auf der Strasse begegnet. In Winterthur sei alles anonymer. Und es sei nie ganz still. «So richtig runterkommen kann ich nur hier oben», meint er und zeigt durch das Fenster in die Nacht.

Zwei Welten: Die Baumaschinen aus Winterthur und die Pistenmaschinen, mit denen Lukas Züst in Laax arbeitete. Tochter Emmylou scheint die Leidenschaft geerbt zu haben.
Zwei Welten: Die Baumaschinen aus Winterthur und die Pistenmaschinen, mit denen Lukas Züst in Laax arbeitete. Tochter Emmylou scheint die Leidenschaft geerbt zu haben.
Bild Cindy Ziegler

Lukas Züst ist seit zwei Jahren Gemeindepräsident der Gemeinde Safiental. Wieder eine Geschichte, bei der er ein bisschen ausholen muss. «Mir und Hannah war es von Anfang an wichtig, dass wir uns einbringen. Wir wollten nicht an einen Ort ziehen, um dann dort in der Anonymität zu leben.» Das, und die Tatsache, dass die beiden ein Kind erwarteten – «dieses kleine Mädchen hier» – habe ihn zum Nachdenken gebracht. Da Hannah selbstständig ist, wollten sie 50/50 machen in Sachen Kinderbetreuung. Und Lukas Züst war gezwungen, seine berufliche Laufbahn zu verändern. Im Dorf sei für das Gemeindepräsidium geworben worden und er habe sich gedacht, er habe ja nichts zu verlieren. Nach einer interessanten Podiumsdiskussion, wo er ein paarmal mit «keine Ahnung» antworten musste, wurde er gewählt. Überraschend setzte er sich gegen zwei Mitstreiterinnen durch, die schon lange im Dorf wohnen. «Ich habe mich gefreut, aber vieles unterschätzt. Vor allem das Bürokratische, was dieser 40-Prozent-Job mit sich bringt. Ortsplanung, Trockenwiesen, Spitex, Bushaltestellenplanung. Manchmal erschlägt es mich fast», sagt er ehrlich. Und dennoch. «Mir gefällt die Arbeit mit den Menschen hier wahnsinnig gut. Alles Zwischenmenschliche taugt mir. Und ich schätze die Leute hier im Tal noch mehr als zuvor.»

Mitmachen, mithelfen, sich einbringen

Ob Tochter Emmylou in Graubünden aufwachsen soll? «Unbedingt. Wir finden hier viele Werte, die wir unserer Tochter mitgeben wollen. Mitmachen, mithelfen, sich einbringen. Aber vielleicht sieht sie das später anders und will mit 16 raus in die Stadt, weil sie es hier langweilig findet.» Lukas Züst zuckt mit den Schultern. «Das überlasse ich dann ihr». Er für seinen Teil lebe gerne in Versam. Als Zürcher im Bündner Bergdorf. «Wenn man mit den Sprüchen nicht umgehen kann, dann kommt man gar nicht erst hierher», meint er. Ohnehin begegne er als junger Gemeindepräsident eher Vorurteilen. Aber auch das nimmt er auf die leichte Schulter. «Vielleicht zelebriere ich das auch ein bisschen und gehe extra mit ‘Käppi’ und Hoodie an die Präsidentenkonferenz.» Er lacht. Manchmal seien die Vorurteile auch berechtigt. Er habe nicht von allem eine Ahnung und könne keine jahrelange Erfahrung in einem politischen Amt vorweisen. Trotzdem. «Ich kann meine junge Meinung einbringen. Und das ist mindestens genauso wichtig.»

Lukas Züst sagt, er sei dazu erzogen worden, sein Bestes zu geben. Und wenn das jemandem nicht passe oder nicht genüge, könne er diese Einstellung ja ohnehin nicht ändern. Genau so, wenn sich jemand an seiner «Zürischnorre» störe. Er und Hannah seien beide von irgendwo anders gekommen und in Graubünden angekommen. Im bodenständigen Versam, wo die Postautofahrerin auch gleich die Post holt.

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