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Ein Besuch beim Windrad in Haldenstein

Eine Reportage über den Wind, erneuerbare Energien und Visionen gegen den Klimawandel.

Bündner Woche
27.07.22 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Erneuerbare Energie: Solaranlagen auf dem Dach und ein Windrad im Hintergrund.
Erneuerbare Energie: Solaranlagen auf dem Dach und ein Windrad im Hintergrund.
Cindy Ziegler

Von Cindy Ziegler

Josias Gasser ist Unternehmer und Geschäftsmann. Energiepionier und GLP-Politiker. Alles ist dem 69-Jährigen gleichermassen wichtig. Und so empfängt er uns auch erst bei Gasser Baumaterialien und führt durch das grosse Haus am Rhein in Haldenstein. Er erzählt, wie das Gebäude hauptsächlich mit Sonne geheizt wird, erklärt den kleinen Pelletofen, spricht von der Wärmespeicherung im Beton und zeigt die Solaranlage auf dem Dach. Apropos Dach. Hier wachsen Wildblumen zwischen den Panels, der Blick gen Horizont bleibt beim grossen Windrad hängen. Wir gehen über die Treppen wieder nach unten. Josias Gasser schwingt sich aufs Lastenrad. Wir treffen uns erneut unterhalb des besagten Windrads. Es geht ein leichtes Lüftchen.

Man rechne einen einfachen Dreisatz

Der Mitbesitzer der Windanlage kramt einen Schlüssel aus seiner Jeans und steigt über die metallene Treppe nach oben. Er schliesst die Tür des Turms auf, der fast 120 Meter senkrecht in die Höhe ragt. Ein bisschen wirkt es, wie wenn wir ein Raumschiff besteigen würden. Innen umgibt uns Metall, eine lange Leiter führt scheinbar endlos nach oben. «Die ist nur für den Notfall», kommentiert Josias Gasser und zeigt auf eine Art Kabine. «Das hier ist der Lift, der nach oben in die Gondel, sprich ins Maschinenhaus, führt. Benützen dürfen den Lift nur ausgebildete Servicefachpersonen.» Neben der Kabine liegen Sicherungsgurte. Josias Gasser setzt sich einen orangenen Helm auf. «Sicherheitsvorgabe», meint er nur.

Der Haldensteiner öffnet die Tür zum Stromkasten. Ein kleiner Bildschirm leuchtet grün auf. «Im Moment läuft die Anlage, aber der Wind ist sehr schwach.» Er zeigt auf eine der Zahlen. «Die Windgeschwindigkeit liegt aktuell bei etwa sechs Meter pro Sekunde.» Das entspricht, man rechne einen einfachen Dreisatz, wie Josias Gasser mit einem Grinsen im Gesicht erklärt, 21,6 Kilometern pro Stunde. Der Finger des Experten wandet eine Zahl weiter. «Die Rotorblätter machen im Moment rund 9 Umdrehungen pro Minute. Der Generator dann fast 1000 Umdrehungen. Im Moment produzieren wir so etwa 400 Kilowatt Strom.» Wie das funktioniert? Ein simples Prinzip, meint Josias Gasser. Die Rotorblätter fangen den Wind ein, analog dem Segeln. Die Blätter nehmen die Kräfte auf und wandeln sie in eine Drehbewegung um. Diese Bewegung geht über ein Getriebe auf einen Generator. Dieser wandelt die Energie aus der Bewegung in Strom um, analog einem Dynamo.

Beeindruckend: Mit 119 Meter Höhe und Rotorblättern von knapp 55 Metern Länge steht das Windrad da.
Beeindruckend: Mit 119 Meter Höhe und Rotorblättern von knapp 55 Metern Länge steht das Windrad da.
Cindy Ziegler

Die Nase in den Wind

Nicht ohne Stolz führt Josias Gasser weiter durch den Raum und durch die Zahlen. Durchschnittlich produziert das Windrad in Haldenstein 4,5 Millionen Kilowattstunden Strom für jährlich rund 1300 Haushalte. Der Strom wird dabei erst ins Netz gespiesen. «Natürlich produzieren wir unregelmässig Strom, denn der Wind ist ja nicht immer gleich. Wir haben aber den Vorteil, dass wir, zum Beispiel im Gegensatz zur Solarenergie, auch in der Nacht Strom generieren können», erklärt er. Und weiter: «Die Anlage läuft ab einer Windgeschwindigkeit von 2,5 Metern pro Sekunde. Zum Optimalbetrieb läuft die Maschine bei etwa 13 Metern pro Sekunde auf. Bei mehr als 25 Metern pro Sekunde stellt sie ab.»

Josias Gasser macht einen Schritt nach draussen und hält die Nase in den Wind. «Jetzt hat er schon zugelegt», kommentiert er. Die richtige Nase hatte der Haldensteiner schon sehr früh. Als Kind verbrachte der gebürtige Zürcher viel Zeit bei seinen Grosseltern in Haldenstein. «Wir konnten nie richtig gut Federball oder Tischtennis spielen, weil es immer so fest ‘gluftet het’», erzählt der 69-Jährige im Plauderton. Als er 1999 das Gebäude für seine Firma Gasser Baumaterialien baute, dachte er sich beim Anblick des hohen Krans, man könne ja dort oben gleich mal ein paar Windmessungen machen. «Nun ja, meine Kindheitsempfindungen haben mich nicht getäuscht. Die Windstärke entsprach den Vorgaben des Bundes. Weil wir an diesem Standort aber mit viel Gegenwind rechneten, legten wir das Projekt Windrad auf Eis.» Später sei dann Jürg Michel, damaliger Gemeindepräsident von Haldenstein und heutiger Miteigentümer der Firma Calandawind, auf ihn zugekommen mit der Idee, ein Windkraftwerk beim Kieswerk Oldis zu realisieren. Wieder wurden Messungen gemacht. Und wieder bestätigt, dass es passen würde. «Zudem war dieser Standort schon verbaut mit Industrieanlagen und hatte einen guten Abstand zum Wohnen.» 2007 begannen die beiden Herren mit vertieften Abklärungen und Untersuchungen. 2013 wurde das Windrad gebaut. «Bald schon feiern wir das 10-Jahre-Jubiläum. Ich hoffe sehr, dass unsere derzeitigen Bemühungen um ein zweites Windrad ebenfalls erfolgreich sein werden», sagt Josias Gasser.

Effizient: Pro Jahr produziert die Windanlage 4,5 Millionen Kilowattstunden Strom.
Effizient: Pro Jahr produziert die Windanlage 4,5 Millionen Kilowattstunden Strom.

Enormes Potenzial

Wir bleiben auf der Treppe stehen und lassen uns den Wind um die Ohren pfeifen. Das Rauschen des Rheins vermischt sich mit dem monotonen Brausen der Autobahn. Zu unseren Füssen finden wir wieder Wiesenblumen. «Dass wir weg von Öl, Gas und Kohle müssen, ist ein altes Thema. Mich beschäftigt der Klimawandel schon sehr lange. 1972 habe ich das Buch ‘Grenzen des Wachstums’ gelesen. Es zeigt eindringlich auf, dass wir nicht immer noch mehr verbrauchen können. Wir haben nur eine Erde in diesem Universum. Es gibt keinen Ersatzplaneten, auch wenn wir diesen immer wieder suchen.» Josias Gasser deutet um sich. «Wir haben auf der Erde so viele Ressourcen zur Verfügung. Holz, Sonne, Wasser, Wind. Uns kostet nur ihre Umwandlung etwas. Das Potenzial ist enorm. Wir müssen bloss endlich damit anfangen, es auch zu nutzen», meint er eindringlich.

Hier käme ein weiterer Vorteil der Nutzung von Windkraft ins Spiel. Wenn alle Voraussetzungen erfüllt seien, sei eine solche Anlage innerhalb von zwei Wochen gebaut. Und dann auch in derselben Zeit wieder abgebaut. «Noch dazu kann man das Eisen recyclieren und den Platz, wo das Rad gestanden hat, wieder uneingeschränkt nutzen.»

Und wie sieht es mit der Belastung für die Vögel aus? «Wir haben ein strenges Abschaltregime. Wir achten auf die Vögelzüge. Übrigens ebenso auf die Zeiten, wenn Fledermäuse fliegen. Das funktioniert gut. In den bald zehn Jahren gab es keinen einzigen Todfund», berichtet Josias Gasser. Er ist überzeugt. Auch davon, dass Windenergie zukunftsfähig sei. «Es ist anzunehmen, dass die Wetterextreme immer mehr zunehmen. Und so ist auch anzunehmen, dass wir mehr und stärkeren Wind haben werden. Es wird immer ungemütlicher auf unserer Erde. Wir müssen also dringend etwas tun.» Mit diesen Worten schliesst er die Tür zum Windrad und das Gespräch. 

www.calandawind.ch

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