«Übertreibe ich?»
Am vergangenen Donnerstag hatte die IG offenes Davos zu ihrer jährlichen Mitgliederversammlung geladen. Dabei wurde auch die Beratungsstelle gegen Rassismus vorgestellt.
Am vergangenen Donnerstag hatte die IG offenes Davos zu ihrer jährlichen Mitgliederversammlung geladen. Dabei wurde auch die Beratungsstelle gegen Rassismus vorgestellt.

Sie hätten nach Corona gerade wieder Schwung geholt für ihre Aktivitäten, eröffnete Co-Präsidentin Bettina Kiefer die Versammlung. «Dann wurden wir mit der neuen Situation in der Ukraine konfrontiert.» Doch genau das sei der Kern ihrer Arbeit: Darauf zu reagieren, was in der Welt passiere. Im Rahmen seiner Möglichkeiten bietet der Verein Neuankömmlingen in Davos ein Angebot, das sie willkommen heissen und ihnen das Einleben erleichern soll. Sei dies beim Sport, beim Sprachkurs, am «Sonntagstisch» oder im «Café International». Ganz wichtige Angebote seien ausserdem die Beratungsstelle – «Praktisch jeder Geflüchtete ist hier schon einmal vorbeigekommen» – ergänzte Co-Präsidentin Doris Schweighauser. Auch das Mentoren-Programm sei ein wichtiges und für beide Seiten bereicherndes Angebot. All das wird von und mit Freiwilligen auf die Beine gestellt. Nur einige wenige zeitaufwendige Positionen werden entlöhnt. Finanziert wird das Ganze durch Zuwendungen zahlreicher Sponsoren, Spenden und auch der öffentlichen Hand. «Unser Eigenkapital deckt einen Drittel unserer jährlichen Ausgaben», beschied Kassier Severin Bischof anlässlich der Vorstellung der Rechnung. «Das ist zwar eine beruhigende Reserve, entbindet uns aber nicht von der Notwendigkeit, jährlich Einnahmen zu generieren.» Auf diese Versammlung hin hatte er seinen Rücktritt eingereicht, bleibt dem Verein aber als Revisor erhalten und ersetzt damit den ebenfalls zurückgetretenen Stefan Pfister. Die Kasse wird neu von Sabine Hess betreut, vakant bleibt vorläufig das Ressort «Fundraising», wo Christoph Wellauer seinen Rücktritt erklärt hatte.

Neues Angebot
Seit Janur werden innerhalb der kantonalen Fachstelle für Integration zwanzig Stellenprozente für die Bekämpfung von Rassismus eingesetzt. Gruppenleiterin Olivia Tognarelli erklärte, was darunter zu verstehen ist: «Was wir machen, ist vor allem eine psychosoziale Beratung.» Rechtliche Aspekte würden von ihnen zwar angeschaut aber nicht in erster Linie verfolgt. Das liege nicht zuletzt daran, dass eine Diskriminierung aufgrund von Ethnie, Rasse oder Religion im Alltag sehr schwer zu beweisen sei. Als Beispiel führte sie einen Fall an, bei dem ein aus der Türkei stammender Jugendlicher von seinem Fachlehrer vor versammelter Klasse unter dem Vorwand des Unterrichtens blossgestellt worden sei. «Dieser und andere Vorfälle führten schliesslich zum Lehrabbruch», schilderte sie die Folgen. Auch wenn der Einsatz in diesem Fall keinen Erfolg zeitigte, sei die Beratungsstelle dennoch wichtig. «Die Menschen können sich bei uns aussprechen. Sie können sich öffnen und werden verstanden.» Denn rassistische Diskriminierung sei vielfach mit grosser Scham verbunden. «Eine Frage, die wir oft hören, ist: ‹Übertreibe ich?›» Verletzungen durch herabwürdigende Bemerkungen, grundlose Beschuldigungen oder «racial profiling» ernst zu nehmen und mit den Betroffenen Handlungsmöglichkeiten auszuarbeiten, sei ein wesentlicher Teil ihrer Arbeit, berichtete Tognarelli. «Oft reicht den Hilfesuchenden schon ein ausführliches Erstgespräch. Sie müssen anschliessend nicht weiter betreut werden.» Aktiv werde die Beratungsstelle nur auf ausdrücklichen Wunsch der Betroffenen. Dann aber könne sie auf ein weit verzweigtes Netz an weiteren Angeboten und Fachstellen zurückgreifen.
Auch wenn die Zahl der Hilfesuchenden im Moment noch gering sei – «Unser Angebot ist einfach noch nicht bekannt genug» – sei Rassismus weit verbreitet, und es müsse darüber gesprochen werden, sagte Tognarelli. Darum ist geplant, in der zweiten Jahreshälfte die Ausstellung «Wir und die Anderen – Vom Vorurteil zum Rassismus» nach Davos zu bringen. Eigentlich richtet sie sich an Oberstufen-, Berufs- und Mittelschulen. Vom 25. April bis 6. Mai kann sie aber in der Stadtgalerie Chur besucht werden.
Weitere Infos: www.offenesdavos.ch und www.rassismusberatung.gr.ch