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Die neue Bolgenschanze

Wenn heute vom «Skispringen» oder «Skifliegen» berichtet wird, ist Davos kein Thema. Das war nicht immer so. Vor rund 100 Jahren war Davos mit der «Bolgenschanze» im Sprunglauf in ganz Europa eine bekannte Grösse.

Davoser
Zeitung
13.02.23 - 12:00 Uhr
Leben & Freizeit
Andreas Däscher, geboren 1927 in Clavadel, mit seinem neuem Sprungstil, aufgenommen zwischen 1950 und 1960.
Andreas Däscher, geboren 1927 in Clavadel, mit seinem neuem Sprungstil, aufgenommen zwischen 1950 und 1960.
zVg/DBD

Der einheimische Geometer Grünenfelder und der internationale Fachmann Reinhard Straumann, ein Schweizer Flugzeugingenieur und selbst ehemaliger Skispringer, planten den Neubau rund 400 Meter ostwärts der alten Schanze im Gebiet Geissloch. Im Dezember 1928 wurde sie fertiggestellt und mit einem Wettkampf getestet. Auf dem Schiedsrichterturm hatten die Sprungrichter beste Übersicht. Beidseitig an der Aufsprungbahn standen die Weitenmesser mit langen Holzstangen zum Anzeigen des Aufsetzpunktes. Den ersten Wettkampf gewann der Davoser E. Maurer mit der Bestweite von 57 Metern. An der ersten internationalen Konkurrenz am 15. Januar 1929 sprang dann Fritz Kaufmann auf 61 Meter. An den Zweiten Akademischen Welt-Winterspielen 1930 siegte der Norweger Jacob de Rytter Kielland mit Sprüngen von 48, 53 und 54 Metern. Leider waren dabei die Wetter- und Schneeverhältnisse schlecht, viele der Springer waren aber auch auf der grossen Schanze überfordert. Zwischen 1929 und 1931 wurden die Sprungweiten immer weiter verbessert. Am 24. Februar 1931 konnte durch Sigmund Ruud (NOR) mit einem Sprung auf 81 Meter ein offizieller Weltrekord eingetragen werden. Sigmund Ruud gewann bereits an den Olympischen Winterspielen 1928 in St. Moritz die Silbermedaille und siegte an der Nordischen Ski-Weltmeisterschaft 1929.

Zu dieser Zeit war es nicht selten, dass ein Springer einen langen Sprung nicht stehen konnte und stürzte. Das moderne Profil der Schanze wurde durch die internationale Springerelite sehr geschätzt. Mehrere hochklassige internationale Wettkämpfe pro Winter zeigten auf, dass Davos als Springerhochburg brillieren konnte. Die Bolgenschanze gehörte in den Anfangszeiten zusammen mit der Erzenbergschanze in Langenbruck (BL) zu den grössten Schanzen der Schweiz. Beide wurden für eine Maximalsprunglänge von 75 Metern gebaut. Bei den Veranstaltungen mangelte es auch nicht an Zuschauern. Wer nicht im Schnee stehen wollte, konnte eingepackt in den weichen Fellen der Pferdeschlitten die Sprünge verfolgen. Sogar auf der anderen Seite des Landwassers verfolgten Zuschauer die Sprungkonkurrenz. Sie sparten, sehr zum Leidwesen der Veranstalter, den Eintrittspreis.

Skispringen auf der neuen Schanze, aufgenommen um 1930.
Skispringen auf der neuen Schanze, aufgenommen um 1930.
zVg/Dokumentationsbibliothek Davos

Der moderne Sprungstil entstand in Davos

Der bedeutendste Davoser Skispringer war Andreas Däscher. Er wurde in seiner Karriere neunmal Schweizer Meister und nahm viermal an olympischen Winterspielen teil. Dabei erreichte er 1956 in Cortina d‘ Ampezzo den sechsten Platz. Nicht zuletzt durch ihn konnte sich eine neue Skisprungtechnik weiter entwickeln.

Seit 1912 setzte sich der «Vorlagen-Stil» durch. In der Luft ruderte der Springer mit den Armen vor dem Körper. Däscher sprang 1950 als Erster an einem internationalen Wettkampf mit nach hinten angelegten Armen. Dieser «Fisch-Stil» war aber vom internationalen Verband nicht zugelassen, es gab Abzüge bei der Haltungsnote. Erst ab 1953 etablierte sich diese Sprunghaltung zunehmend, denn es wurden gute Resultate erreicht. Bis in die 1960er-Jahre wurde aber von einigen Springern immer noch die Variante mit den ausgestreckten Armen bevorzugt. Aus dem Stil mit den nach hinten gerichteten Armen entstanden in den späteren Jahren die heute praktizierten Sprunghaltungen.

Überreste der alten Bolgenschanze von 1908, aufgenommen im September 1988.
Überreste der alten Bolgenschanze von 1908, aufgenommen im September 1988.
zVg/DBD, W. Oswald

Was übrig blieb

Bis in die 1950er-Jahre wurde mehrfach vergeblich versucht, mit St. Moritz und Arosa eine gemeinsame Tournee zu veranstalten. Als 1964 die Erneuerung der Schanze anstand, konnte der Ski Club aus Kostengründen nicht mehr mit­machen. Auch der Kurverein konnte und wollte für den Betrieb und den Unterhalt der Anlage nicht aufkommen. Der Schanzenbau wurde immer teurer, nur mit grossen Anlauftürmen und viel Aufsprungfläche war man noch konkurrenzfähig. Da aber das Skispringen kein Breitensport war, wollte man nicht mehr investieren. So war nun das Ende der Schanze gekommen, und das Areal wurde dem alpinen Skisport überlassen. Die Skischulen erhielten mehr Platz. Auch die neuen Sportarten waren froh, denn der Schanzenauslauf eignete sich gut für die Erstellung einer Halfpipe. Darum ­waren bald «Skisprünge» der modernen Art an der International Snowboarding Federation (ISF) Snowboard WM 1995 zu bewundern. Die Sprünge am Bolgen sind heute anders, aber sie blieben.

Rico De Boni stellt der DZ diesen Text freundlicherweise zur Verfügung.

Quellen: Jahrbücher des Schweiz. Skiverbandes 1909/1932; Karl Erb: 100 Jahre Ski Club Davos/2003

Die Halfpipe am Bolgen, aufgenommen bei der ISF-Snowboard-WM 1995.
Die Halfpipe am Bolgen, aufgenommen bei der ISF-Snowboard-WM 1995.
zVg/DBD, W. Oswald

K-Punkt

Der K-Punkt war ursprünglich der «kritische Punkt» einer Schanze. Die K-Punkt-Weite galt als maximale Sprungweite, bei der noch eine sichere und schöne Landung möglich war. Auf der Jagd nach Siegen und neuen ­Rekorden sprangen die Athleten immer häufiger und immer weiter über den K-Punkt hinaus. Der K-Punkt verlor dadurch seinen Charakter als kritischer Punkt und wurde nun «Konstruktionspunkt» genannt. Dieser wird als Ausgangspunkt für die Berechnung der Weitenpunkte in der Sprungwertung herangezogen. Die beiden Davoser Schanzen mit K 53 und K 74 ge­hörten zu den mittleren Schanzen. Seit der Saison 2004/2005 dient als Schanzenmass die «Hillsize» (HS). Das ist die Distanz zwischen Schanzentisch und dem Ende des Landungs­bereiches.

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