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Schiedsrichter müssen in hektischen Situationen die Ruhe bewahren

Daniel Wijngaard über das Schiedsrichterwesen, Ambitionen und den Zusammenhalt, auch unter Schiedsrichtenden.

Bündner Woche
18.11.22 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
In Gelb: Daniel Wijngaard als Schiedsrichter auf dem Fussballfeld.
In Gelb: Daniel Wijngaard als Schiedsrichter auf dem Fussballfeld.
zVg

von Riccarda Hartmann

Sie stechen heraus. Eigentlich. Mit ihren neonfarbenen T-Shirts. Andersfarbig als die restlichen 22 Personen auf dem Fussballfeld. Doch während dem Spiel sieht man sie nicht, auch wenn sie da sind und eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Den Schiedsrichter respektive die Schiedsrichterin beachtet man eigentlich erst, wenn eine Entscheidung getroffen wird, die einem nicht gefällt. Daniel Wijngaard studiert Business Innovation im Master und pfeift am Wochenende Spiele in der dritten Liga.

Herr Wijngaard, angenommen Sie stehen gerade auf dem Spielfeld kurz vor dem Anpfiff. Was geht Ihnen durch den Kopf?

Daniel Wijngaard: Beim Anpfiff ist es hauptsächlich Freude. Die Vorfreude auf das Spiel. Gedanken und Hoffnungen, dass alles gut läuft. Dass es ein gutes Spiel wird, ohne irgendwelche Vorfälle, die man im Fussball lieber nicht sieht.

Haben Sie so etwas wie ein Ritual?

Ein wirkliches Ritual habe ich nicht. Bei mir hat sich ein bisschen eingebürgert, dass ich immer vor dem Match eine halbe Banane esse und in der Pause die andere Hälfte. Das ist eigentlich das Einzige, was bei mir routinemässig jedes Mal gleich ist (lacht). Die halbe Banane hat sich ergeben, weil ich nicht zu viel essen möchte vor einem Match, aber auch nicht zu wenig. Das Ziel ist, dass ich die Halbzeit durchkomme. Nach dem Match kann ich dann mehr essen.

Wie sind Sie dazugekommen, Schiedsrichter zu werden?

Bei mir ist es nicht so wie bei vielen anderen, die früher schon Fussball gespielt haben. Ich habe nur in der Freizeit ein bisschen Fussball gespielt, nie in einem Verein. Nach einem Weilchen habe ich doch das Gefühl gehabt, dass ich mehr mit Fussball zu tun haben möchte. Es gab dann eigentlich verschiedene Optionen. Einerseits Spieler, Trainer oder eben Schiedsrichter. Weil ich in St. Gallen studiere und trotzdem auch gerne in Graubünden bin, wo mein Zuhause ist, sind die ersten beiden – Trainer und Fussballspieler – dann schnell weggefallen. Als Schiedsrichter bin ich eigentlich relativ flexibel. Ich kann mein Training dort machen, wo ich gerade bin. Durch die Spiele bin ich im ganzen Verbandsgebiet unterwegs. Also auch im Bündnerland. Schiedsrichter ist die naheliegendste Option für mich gewesen. Und schlussendlich auch die richtige Wahl. Mit dem Studium ist es gut vereinbar, weil ich mein Training selbst bestimmen kann. An den Wochenenden habe ich meine Matches.

Und wie sieht so ein Schiedsrichtertraining aus?

Das kommt ein bisschen darauf an. Bei mir ist es viel Ausdauertraining. Sei es Lauftraining, reines Joggen oder Velofahren. Einmal in der Woche mache ich zudem Krafttraining. Aber ich habe nicht ein Training, das ich jedes Mal wieder aus der Schublade ziehe. Es kommt darauf an, wie es gerade im Studium läuft. Meistens bin ich alleine im Training.

Gibt es irgendwelche witzigen Anekdoten, die Ihnen in den Sinn kommen?

Ja, da gibt es eine. Ich erinnere mich, als ich ausnahmsweise nicht alleine trainiert habe und sich ein paar Schiedsrichter aus dem ganzen Verbandsgebiet – aus der ganzen Ostschweiz – getroffen haben, um ein Training zu machen. Wir haben uns in Winterthur getroffen und ein Fifa-Assistent war auch dabei, Bekim Zogaj. Ein paar von uns haben nicht gewusst, wer er ist. Irgendwann hat er ein bisschen erzählt, was für Einsätze er gerade gehabt hatte. Er hatte ein Spiel gepfiffen, Dänemark gegen Belgien in der Nations League, wenn ich mich richtig erinnere. Er hat von dem Spiel erzählt und irgendwann hat jemand gefragt, was das für ein Spiel gewesen sei und ob das die U18 war. Dann hat Bekim Zogaj gesagt, um welche Liga es sich handelte. Spätestens dann haben alle gewusst, wer er ist. Das war lustig. Auch weil Bekim Zogaj nahbar und bodenständig ist, obwohl er so weit oben im Einsatz steht. Das zeichnet, glaube ich, einen guten Schiedsrichter auch aus.

Was macht einen Schiedsrichter sonst noch aus?

Also sicher einmal die Freude am Fussball. Man muss ein bisschen fussballverrückt sein. Ich habe früher, als ich noch nicht Schiedsrichter gewesen bin, zum Teil am Wochenende den ganzen Tag nur Fussball geschaut. So drei oder vier Spiele. Wichtige Punkte sind zudem, in hektischen Situationen die Ruhe bewahren und die Übersicht nicht verlieren. Auch kritikfähig muss man sein. Es gibt sehr viele Dinge auf dem Platz, die man hört und man muss dann sagen: Nein, das ist nicht berechtigt. Aber es gibt zum Teil auch Kritik, die berechtigt ist und die man nach dem Spiel selber reflektieren muss. Und sich dabei eingestehen muss, dass man vielleicht einmal nicht einen guten Tag gehabt hat oder dass man in dieser Situation besser etwas anderes gemacht hätte. Und ohne eine gewisse Entscheidungsfreudigkeit geht es auch nicht, weil man innerhalb von Sekunden Entscheidungen treffen muss.

Haben Sie Träume und Ambitionen als Schiedsrichter?

Klar, es gibt die Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter, die anfangen und sagen, «ich möchte irgendwann in der Super League pfeifen». Bei mir ist es eigentlich eher so, dass ich mir Ziele «step by step» setzte. Ich bin am Anfang von 2022 in die dritte Liga gekommen. Der nächste Schritt wäre für mich zweite Liga oder zweite Liga interregional. Langfristig habe ich mir als Ziel gesetzt, dass ich irgendwann einmal meine Erfahrungen und mein Wissen an junge Schiedsrichtende weitergeben möchte. Aber konkrete Ambitionen, wie beispielsweise irgendwann den Fifa-Batch zu haben, besitze ich keine. Ich nehme es, wie es kommt.

Daniel Wijngaard: «Der Zusammenhalt ist riesig.»
Daniel Wijngaard: «Der Zusammenhalt ist riesig.»

Wie könnte man denn in eine höhere Liga aufsteigen?

Du fängst bei den C-Junioren an, die sind 13 oder 14 Jahre alt, und periodisch kommt ein Coach vorbei und dieser beurteilt dich und entscheidet dann, ob du ein Spiel in der nächsten Stufe pfeifen kannst. Der Coach gibt dir einen sogenannten Vorschlag. Bei den C-Junioren und B-Junioren reicht ein Vorschlag. Irgendwann braucht es zwei Vorschläge. Mit dem Vorschlag ist es aber noch nicht gemacht. Dieser geht dann zu der Schiedsrichterkommission, die schlussendlich entscheidet, ob sie dich ein Niveau höher nehmen. Um aufzusteigen, braucht es drei Dinge: Eine gute Leistung von dir, einen Coach, der einen Vorschlag abgibt und die Schiedsrichterkommission, die dich neu qualifiziert.

Schauen Sie ein Fussballspiel anders?

Ich schaue definitiv anders. Das ist mir vor allem am Anfang aufgefallen. Ich habe extrem auf den Schiedsrichter geschaut. Wo steht er? Wie bewegt er sich im Spiel? Und ich habe die Entscheidungen sozusagen für mich selbst beurteilt. Um zu lernen, denn schlussendlich sind das alles Situationen, die man in der eigenen Karriere auch haben kann. Und wenn man dann Situationen sieht und wie ein erfahrenerer Schiedsrichter oder eine Schiedsrichterin damit umgeht, kann das für einen selbst in einem Spiel einfacher sein, solche Situationen zu beurteilen. Vorher habe ich vom Bekim Zogaj gesprochen. Immer, wenn ich sehe, dass er an der Linie steht – also wenn er Assistent ist – dann freue ich mich für ihn. Dann schaue ich das Spiel speziell gerne.

Fussball ist ein Teamsport und wird oft als verbindend bezeichnet. Wie sehen Sie das als Schiedsrichter?

Wir als Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter haben auch einen grossen Zusammenhalt untereinander. Wenn man einmal ein schlechtes Spiel gehabt hat, dann kann man irgendjemandem schreiben und dann muntern wir uns gegenseitig wieder auf. Das ist sehr viel wert. Das Verbindende ist auch hier gross.

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