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Von Verdingbuben und liederlichen Mädchen

Zu sehen ist dann auch wieder die Sonderausstellung «Vom Glück vergessen». Viele Besucher und Schulkinder haben sie bereits erlebt, viele weitere sollen folgen.

Barbara
Gassler
29.12.22 - 16:52 Uhr
Leben & Freizeit
Curdin studiert die Akten in der Gefängniszelle.
Curdin studiert die Akten in der Gefängniszelle.
zVg

Besuche im Heimatmuseum sind ­inzwischen eine von der Davoser Lehrerschaft gern genutzte Alternative zum normalen Schulalltag. An Ausstellungen wie «vom Korn zum Brot» oder «vom Schaf zur Wolle» hatten Schulklassen sogar mitgearbeitet, und heute stehen dazu im Heimatmuseum stufenspezifische Führungen zur Verfügung.

Seit der Eröffnung der gegenwärtigen Sonderausstellung, die sich den fürsorgerischen Zwangsmassnahmen im Kanton Graubünden widmet, besuchten bereits dreizehn Klassen das Heimatmuseum, und für das Wintersemester sind viele weitere angemeldet. Doch auch für Klassen von ausserhalb von Davos hat es noch Platz. «Da es sich um ein grundsätzlich belastendes Thema handelt, legen wir grossen Wert darauf, die Kinder auf einer ihrer Entwicklung entsprechenden Stufe abzuholen», sagt Helene Elmer, ­Leiterin von «Schule und Museum». Abgedeckt werden damit die im Lehrplan 21 vorgesehenen Themen Vorurteil, Entmündigung und Ausgrenzung.

Die armselige Küche der Grossfamilie beeindruckt Giuliano und Lukas.
Die armselige Küche der Grossfamilie beeindruckt Giuliano und Lukas.
zVg

Die Oberstufenschüler und Schülerinnen erleben die Ausstellung auf der Erwachsenenebene und werden mit Geschichten konfrontiert, wie sie die Betroffenen in den jeweiligen Kartonzellen erzählen. Das sind Berichte von Menschen, die das von der Gesellschaft und Politik bis in die 1980er-Jahre systematisch begangene Unrecht noch am eigenen Leibe erfahren hatten. Die anschliessenden Präsentationen und Diskussionen zeigen, wie beeindruckt die Jugendlichen von diesem traurigen Kapitel der Schweizer Geschichte sind.

Die Mittelstufenkinder werden mittels Bildern in die Thematik eingeführt und hören die Geschichten der Betroffenen auf einer ihrem Alter angepassten Stufe. Leselektüren wie «Schwabenkinder» und «Die schwarzen Brüder» eignen sich ideal zur Nacharbeit in der Schule.

Mit dem Betrachten von Bildern beginnt die Begegnung mit dem Thema 
Mit dem Betrachten von Bildern beginnt die Begegnung mit dem Thema 
zVg

Die etwas Jüngeren werden aufgefordert, sich vorzustellen, wie es wäre, zum Mittagessen mit einer wässrigen Suppe und einer kalten «Gschwelti» abgespiesen zu werden. Oder in einem Heim über keinerlei Privatsphäre verfügen zu können. «Wir sprechen über Kinderrechte und schaffen den Bezug zur Gegenwart, indem die Kinder diese Situationen mit der eigenen vergleichen», sagt Elmer. Die Kinder würden erkennen, zu welchen Auswüchsen die Bemühungen um eine Erziehung zu gottesfürchtigen und wertvollen Gliedern der Gesellschaft geführt hätten.

Die Kleinsten wiederum nähern sich dem Thema über Astrid Lindgrens Erzählung «Sonnenau». «Beeindruckend darin ist die Aussage des Bauern ‹Kinder können sehr gut arbeiten, wenn man sie nicht spielen lässt›», sagt Elmer. Wichtig ist auch hier das versöhnliche Ende.

Auch für die «Grossen»

Zwar nutzt «Schule und Museum» die Sonderausstellung «Vom Glück vergessen» für pädagogische Zwecke, doch eigentlich richtet sie sich an ein erwachsenes Publikum. Es wird aufgezeigt, durch ­welche Brille die oft überforderten Amtsstellen in Not geratene Familien betrachteten, und wie mit allen Mitteln versucht wurde, aus ihnen dennoch gottesfürchtige und nützliche Mitglieder der Gesellschaft zu machen. So ist die ganze Ausstellung aus Verpackungskarton gebaut. Einerseits werde damit die Sichtweise auf das Kind als wertlose, entsorgbare Ware dargestellt, sagt Elmer. «Karton zeigt aber auch die Zerbrechlichkeit der Kindheit auf.» Ergänzt wird die Schau der ­Lebenssituationen der «versorgten» Kinder mit authentischen Dokumenten.

Offen jeweils Sonntag bis Mittwoch von 15 bis 17 Uhr.

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