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Existenzängste im Bündner Frauenhaus

Das Frauenhaus Graubünden steckt in finanziellen Nöten. Selbstverschuldet ist diese Misere nicht. Das Problem ist das aktuelle Finanzierungsmodell.

Pierina
Hassler
31.03.21 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Starke Symbolik: Immer wieder zünden Menschen in der Schweiz Kerzen gegen Gewalt an Frauen an.
Starke Symbolik: Immer wieder zünden Menschen in der Schweiz Kerzen gegen Gewalt an Frauen an.
LEO DUPERREX/KEYSTONE

Von Pierina Hassler und Jasmin Schnider

Das Frauenhaus Graubünden erhält vom Kanton jedes Jahr 110'000 Franken. Dazu kommt noch Geld von der Opferhilfe Graubünden. Der Rest sind Spenden. Was wie eine einfache Rechnung aussieht, ist für das Frauenhaus eine kaum zu lösende Aufgabe. «Der Kantonsbeitrag reicht bei Weitem nicht», sagte Annemarie Grünig, Leiterin des Frauenhauses, gegenüber Radio Südostschweiz. Der jährliche Aufwand betrage rund 570'000 Franken. Trotz kantonaler Unterstützung müsse die Institution rund 285'000 Franken Spenden auftreiben – pro Jahr. Die Suche nach Gönnerinnen und Gönnern sei sehr aufwendig, so Grünig. «Zudem ist es enorm schwierig, eine Organisation so zu führen. Es fehlt uns die Planungssicherheit.»

Ohne Institutionen miteinander vergleichen zu wollen ist es trotzdem so, dass die Notschlafstelle in Chur vom Kanton jährlich mit knapp 700 000 Franken unterstützt wird. Grünig mag diesen Betrag der Notschlafstelle von Herzen gönnen. «Aber die Zahl ärgert mich schon ein wenig, wir sind schliesslich auch eine Kriseninterventionsstelle.»

Grünig hat natürlich recht. Die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) definiert Frauenhäuser so: «Sie sind ein anerkanntes Angebot im Bereich von Opferschutz und Krisenintervention von gewaltbetroffenen Personen und ihren Kindern.»

Grosse Existenzängste

Häusliche Gewalt nimmt zu. Im Kanton Graubünden sogar ganz besonders. Die Fallzahlen sind von 2019 auf 2020 um 30 Prozent gestiegen. Umso wichtiger sind funktionierende Betreuungs- und Schutzangebote. Der Kanton Graubünden macht zumindest auf dem Papier einen guten Job. «Graubünden kennt bislang eine beim kantonalen Sozialamt angesiedelte Koordinationsstelle gegen häusliche Gewalt», sagt SP-Grossrätin Silvia Hofmann. Diese orchestriere die interdisziplinäre und professionelle Zusammenarbeit unter anderem mit der Beratungsstelle für gewaltausübende Personen, der Kantonspolizei und dem Frauenhaus.

Die Wichtigkeit eines Frauenhauses muss also nicht doppelt und dreifach unterstrichen werden. Der Kanton hat in Sachen Unterstützung auch keine Wahl. Er muss schlicht seine Pflichten gegenüber der Istanbul-Konvention erfüllen (Ausgabe vom Montag). Und genau deshalb sagt Frauenhausleiterin Grünig: «Dass der Betrag so gering ausfällt, ist für uns schon nicht nachvollziehbar.» Das Gefühl von Existenzängsten komme durchaus auf. Noch klarer drückt es Riti Sharma, ad Interim Präsidentin des Frauenhauses, aus: «Mit den Geldern des Kantons kann der Betrieb nicht aufrechterhalten werden.»

Zur Kantonssache gemacht

Silvia Vetsch ist Geschäftsleiterin des Frauenhauses St. Gallen und im Vorstand der Dachorganisationen der Frauenhäuser der Schweiz und Liechtensteins. Der Beitrag des Kantons Graubünden an das Bündner Frauenhaus irritiert sie zwar, kommentieren will sie ihn aber nicht. Nur so viel: «Der Kantons St. Gallen geht davon aus, dass Frauenhäuser Kantonssache sind.» Und das heisst: «Seit dem 1. Januar 2020 finanziert uns der Kanton vollumfänglich.»

«Mit den Geldern des Kantons kann der Betrieb nicht aufrecht erhalten werden.»
Riti Sharma, Frauenhaus Graubünden

Der Kanton St. Gallen ist eine Ausnahme. Tatsache ist aber: Graubünden unterstützt sein Frauenhaus mit deutlich weniger Geld als andere Kantone. Vergleiche sind zwar schwierig zu ziehen. Das Frauenhaus Graubünden gehört zu den Kleinen. Und um die Sache noch komplizierter zu machen, gibt es auch unterschiedliche Finanzierungsmodelle.

Grosse Spendenaktion

In einigen Kantonen sind die Frauenhäuser über Subjektbeiträge (Opferhilfe, Sozialhilfe und Klientinnenbeiträge) finanziert. In anderen Kantonen wird ein Anteil mittels Objektbeiträgen der öffentlichen Hand finanziert (Pauschalbeiträge, Defizitbeiträge oder Sockelbeiträge). Daneben machen Spendenbeiträge teilweise einen erheblichen Anteil an der Finanzierung aus. In Graubünden ist es eine Mischung zwischen Subjekt- und objektorientierter Abgeltung durch den Kanton.

Laut einer Studie der Forschungs- und Beratungsstelle Infras im Auftrag der SODK wies das Frauenhaus Graubünden 2013 mit 49 Prozent den schweizweit grössten Spendenanteil auf. Neue Zahlen fehlen zwar, aber aktuell ist die Situation nicht viel besser. Und apropos kleines Frauenhaus: Laut Istanbul-Konvention muss ein Land pro 10'000 Einwohnerinnen und Einwohner eine einfach zugängliche Schutzunterkunft bieten. Mit seinen drei Plätzen im Frauenhaus kommt der Kanton dieser Verpflichtung definitiv nicht nach.

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