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«Die Menschen sollen sich für ihre Privatsphäre einsetzen»

Die Menschen werden heutzutage von Kameras überwacht. Können diese Überwachungen umgangen werden? Die Tomilser Produktdesignerin Paula Caviezel hat drei Objekte entworfen, die aufzeigen, wie sehr Gesichter verändert werden müssen, um unerkannt durch Gesichtserkennungssoftwares zu rutschen.

Anna
Panier
27.06.20 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit

Instagram wird zum Arbeitgeber, Likes sind die neuen Leistungsnachweise und Finger-Scans ermöglichen den Zugriff aufs Handy, ins Haus oder Auto. Die Welt ist und wird immer digitaler, das ist unumstritten. Teil dieser Entwicklung ist auch die Gesichtserkennungssoftware, beziehungsweise die Überwachung durch Kameras. Eine Möglichkeit davon ist, unsere Gesichter zu erkennen und dadurch gewisse Zutritte in Gebäude zu erhalten, à la Science-Fiction-Film. Auf der anderen Seite überwachen uns diese Kameras permanent und können beispielsweise Verbrecher aufspüren. Eine innovative Erfindung, würde man meinen. Aber der erste Schein trügt. Denn nebst diesen positiven Aspekten gibt es auch Schattenseiten.

Eine Schwäche für Gesichter

Diese aufzuzeigen, hat sich Paula Caviezel, Produktdesignerin aus Tomils, zur Aufgabe gemacht. In ihrer Abschlussarbeit im Bachelor Objektdesign hat sie sich mit der Thematik Gesichtserkennung auseinandergesetzt und gezeigt, wie sehr sich ein Gesicht verändern muss, damit es nicht mehr erkannt wird. Sie wollte das Thema zugänglich machen, damit sich mehr Menschen dafür interessieren. «Ich bin der Meinung, dass wir unbedingt auf unser Recht auf Anonymität und Privatsphäre im öffentlichen Raum bestehen müssen und das bevor es uns genommen wird.»

Die gelernte Augenoptikerin ist in Tomils aufgewachsen und hat schnell gemerkt, dass ihr das Handwerkliche Freude bereitet. Nach der gestalterischen Berufsmaturität in Chur hat sie an die Hochschule Luzern gewechselt, wo sie nun ihre Bachelorarbeit geschrieben hat. «Da ich gelernte Augenoptikerin bin, interessieren mich Gesichter, deren vielfältige Ausdrücke und die Individualität sehr. Über das Gesicht wird die Seele nach aussen getragen.» Es sei also schnell klar gewesen, dass sie sich in ihrer Arbeit mit dem Thema Gesicht auseinandersetzen wollte. «Ich habe mich schliesslich für das Thema Gesichtserkennung entschieden, da mich dieses sehr fasziniert aber gleichzeitig auch schockiert.»

Zu Beginn der Arbeit widmete sich Caviezel vor allem dem technischen Hintergrund und forschte nach, wie ein Gesichtserkennungssystem überhaupt funktioniert. «Ich wusste vorher grundsätzlich nichts über die Technik. Also habe ich Kontakt mit Informatikern aufgenommen.» Dabei ist Caviezel auf den Chaos Computer Club, eine Hackervereinigung, gestossen. «Mit einem Mitglied konnte ich ein Gespräch führen, welches sehr spannend und hilfreich war.»

Nach der Theorie-Phase ging es für Caviezel weiter zum Praktischen. «Als Erstes habe ich ein System auf meinem Laptop installiert. Dieses diente dazu, herauszufinden, wie viel vom Gesicht bekannt sein muss, damit mich das System erkennt», erklärt Caviezel und fügt an: «Die Erkenntnisse aus diesen Tests haben den weiteren Weg, also die Objekte, welche ich später hergestellt habe, bestimmt.

Paula Caviezel führte verschiedene Tests durch, um herauszufinden, wie viel vom Gesicht sichtbar sein muss, um weiterhin von einem System erkannt zu werden.
Paula Caviezel führte verschiedene Tests durch, um herauszufinden, wie viel vom Gesicht sichtbar sein muss, um weiterhin von einem System erkannt zu werden.
SAMIRA EUGSTER

Diese Objekte waren dann der nächste Schritt. Bei der Herstellung sei wichtig gewesen, dass sich diese Objekte stetig verändern. Die Erklärung von Caviezel: «Klar war, dass etwas Statisches nichts bringt. Denn das Gesichtserkennungssystem arbeitet mit künstlicher Intelligenz und lernt darum immer dazu. Etwas was sich also nicht verändert, würde mit der Zeit erkannt werden.» Caviezel griff darum und auch aufgrund ihres Vorwissens als Augenoptikerin auf optische Mittel wie Spiegelung, Verkleinerung und Vergrösserung sowie der prismatischen Wirkung zurück. Entstanden sind schlussendlich drei Objekte, welche das Gesicht jeweils auf eine andere Art und Weise unkenntlich machen.

Das erste Objekt ist transparent und erinnert an eine Maske. Durch die Reflexion werden die Kameras der Gesichtserkennungssysteme geblendet. Die Person ist nicht erkennbar.

Die Objekte seien extra auffällig gestaltet, um auf die Problematik aufmerksam zu machen.
Die Objekte seien extra auffällig gestaltet, um auf die Problematik aufmerksam zu machen.
SAMIRA EUGSTER

Das zweite Objekt ist transparent und hat eine prismatische Wirkung. Das Gesicht darunter wird verzerrt und bleibt unkenntlich.

Das Objekt besteht aus Plexiglas, welches während der Coronakrise schwierig zu besorgen war.
Das Objekt besteht aus Plexiglas, welches während der Coronakrise schwierig zu besorgen war.
SAMIRA EUGSTER

Das dritte Objekt erinnert an Brillengläser. Tatsächlich wurden dafür Linsen gebraucht, welche die Gesichtsmerkmale grösser oder kleiner erscheinen lassen. Sprich, die wahren Gesichtszüge sind nicht zu erkennen.

Für das optische Mittel der Vergösserung und Verkleinerung hat sich Paula Caviezel auch aufgrund ihrer Ausbildung als Augenoptikerin entschieden,
Für das optische Mittel der Vergösserung und Verkleinerung hat sich Paula Caviezel auch aufgrund ihrer Ausbildung als Augenoptikerin entschieden,
SAMIRA EUGSTER

Zum Nachdenken anregen …

Ziel dieser Objekte und der ganzen Arbeit sei es, auf das Thema Gesichtserkennung aufmerksam zu machen. «Natürlich gibt es ja nicht nur schlechte Seiten dieses Systems, aber es gibt eben auch viele Nachteile.» Zum Beispiel könne es zu Fehlerkennungen kommen. Ebenfalls kritisch sei der Fakt, dass die Systeme von Menschen programmiert und daher fälschlicherweise als neutral bezeichnet werden. «Die Systeme sind genauso diskriminierend und rassistisch wie Menschen. Es ist also falsch, wenn von neutralen Gesichtserkennungssystemen die Rede ist», so Caviezel. Besonders Personen, die sehr viel Zeit in den sozialen Medien verbringen, sollten darum besser über dieses Thema aufgeklärt werden. Genau an diesen Orten würden nämlich Daten geklaut oder verkauft. «Die Menschen sollen sich für ihre Privatsphäre einsetzen.»

… und weiter forschen

Blickt Caviezel auf die vergangenen Wochen zurück, ist sie sehr zufrieden mit ihrer Arbeit. Es habe aber auch einige Herausforderungen gegeben, wie die anfänglichen technischen Schwierigkeiten. «Für das Installieren der Testsoftware brauchte ich schon rund eine Woche. Ich musste programmieren und mich mit technischen Anwendungen auseinandersetzen, die ich vorher nicht kannte.» Eine weitere Herausforderung stellte die Coronakrise dar. «Wegen des Lockdowns musste ich viel von zu Hause aus erledigen und hatte Probleme, das Material für die Objekte zu besorgen. Denn unter anderem brauchte ich dafür Plexiglas und das war zu dieser Zeit ja besonders beliebt als Spuckschutz.» Glücklicherweise habe aber alles geklappt und sie wurde im Abfalllager eines Plexiglasherstellers fündig.

Diese Schwierigkeiten zu meistern, haben sich aber allemal gelohnt. Denn Paula Caviezel ist für verschiedene Auszeichnungen nominiert und hat bereits den «Swiss Design Association Award» gewonnen. Dass ihre Arbeit nun solchen Anklang finde, damit habe sich aber nicht gerechnet. «Ich wusste ja nicht, was schlussendlich herauskommt. Aber natürlich ist es das Ziel, dass viele Menschen auf dieses Thema aufmerksam werden.» Caviezel wolle darum auch noch weiter an dem Projekt arbeiten und ihre Recherchen vertiefen. «Ich könnte mir vorstellen, eine Art Publikation rauszubringen, um noch genauer die Tests aufzuzeigen und über das Thema aufzuklären. Schlussendlich ist es nämlich so, dass es eben doch viel braucht, bis wir Menschen unerkenntlich sind und das ist wahnsinnig.»

Anna Panier arbeitet als Redaktorin bei Online/Zeitung. Sie absolvierte ein Praktikum in der Medienfamilie Südostschweiz und studiert aktuell Multimedia Production im Bachelor an der Fachhochschule Graubünden in Chur. Mehr Infos

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