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Ein Hut für jede Gelegenheit

Goggs – Der schwarze Hut für feierliche Anlässe. Ein Bowler, oder eben Goggs, wie er im Glarnerland heisst.

Südostschweiz
20.04.20 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Paul Rüegg mit einem Mini-Goggs.
Paul Rüegg mit einem Mini-Goggs.

von Gabi Heussi

Dieser Goggs würde auf einen Puppenkopf passen. Er misst lediglich rund 15 Zentimeter. Paul Rüegg hält ihn liebevoll in den Händen. Sein Vater, Otto Rüegg, hat ihn eigens für das Geschäft von Paul und Margrit Rüegg aus einem alten Hut selber hergestellt.

Dieser Goggs begleitete Paul Rüegg und seine Frau Margrit durch das halbe Leben. Der kleine Goggs ist da. Das Herrenspezialgeschäft Goggs ist Vergangenheit. Lebt nur noch in den Erinnerungen von Paul Rüegg und seinen vielen ehemaligen Kundinnen und Kunden. Im Sommer 1994 schloss sich die Ladentüre mit einem leisen «Bing» ein letztes Mal. «Es war eine Erleichterung.»

Vom Pelzkragen zur Herrenmütze

Ab 1919 verkauft Kaspar Blumer-Hefti am Rathausplatz Pelzwaren. Für die elegante, modische Dame gibt es den wärmenden Fuchs. In seinen gläsernen Knopfaugen spiegelt sich der blaue Himmel über Glarus, mittendrin der Glärnisch. Damit die Hände immer schön warm bleiben, hat Kaspar Blumer selbstverständlich auch den passenden Pelz-Muff. Und für den Herrn gibt es da die Pelzmütze und wärmende Handschuhe.

Mit dem Tod von Kaspar Blumer wird der Laden 1920 frei. Witwe Blumer möchte das Unternehmen nicht weiterführen.

In Bern lebt zu dieser Zeit Otto Rüegg bei seiner Stiefschwester. Otto hat bei seinem Schwager das Handwerk des Mützenmachens gelernt. Er vernimmt von seinem in Zürich lebenden Grossvater, dass in Glarus ein Ladenlokal zu mieten ist und entscheidet sich, die Chance zu packen und sich selbstständig zu machen. Zusammen mit seiner Frau Ida, eine geborene Villiger, zieht er ins Glarnerland und eröffnet das eigene Unternehmen «Otto Rüegg, Nachfolger von Kaspar Blumer».

Neben den Pelzwaren nimmt er seine Mützen, Hüte und anderen Kopfbedeckungen ins Sortiment. Das Geschäft floriert, Kopfbedeckungen gehören zum guten Ton und finden grossen Anklang bei den Glarner Herren. Kein Sonntagsanzug ohne den passenden Hut. Die Männer schätzen die Auswahl, das fundierte Wissen die Geschicklichkeit von Otto Rüegg. Passt er doch jeden Hut der Kopfform seines Trägers an.

Er ist aber nicht das einzige Unternehmen in Glarus, das Hüte anbietet. Eine Modistin stellt am Kirchweg Damenhüte her und so beschränkt sich Otto Rüegg auf Kopfbedeckungen für Herren. Gerne würde er das Geschäft und damit das Haus am Rathausplatz käuflich erwerben. 35 000 Franken kostet es. Er kratzt sein ganzes Geld zusammen, findet Geldgeber – aber schlussendlich fehlen ihm 3000 Franken. Aus dem Kauf wird nichts.

Auf an die Bärengasse

Da ein Schneider in der Bärengasse sein Atelier aufgibt, entschliesst sich Otto Rüegg, dorthin zu ziehen. Er baut das Haus seinen Vorstellungen entsprechend um und eröffnet am 1. Dezember 1920 seinen eigenen Laden mitsamt Atelier. Ida Rüegg arbeitet zusammen mit der Angestellten, die ein Leben lang einfach Didi genannt wird, vornehmlich im Atelier, im hinteren Gebäudeteil. Die beiden Frauen nähen Hutbänder, Futterstreifen und passen Hüte auf die gewünschte Kopfgrösse an.

Neben ihrer Arbeit im Atelier zieht Ida Rüegg-Villiger ihre drei Söhne, Hans, Paul und Röbi auf.

Vor allem Paul und Röbi geniessen die Freiheit, wenn Mutter mal einen Moment nicht auf sie aufpassen kann. Barfuss rennen sie durch Glarus und wissen manch eine Dummheit anzustellen. Wenn die beiden aber zu übermütig werden und allzu stark über die Stränge hauen, dann spricht der Vater ein Machtwort und verteilt Strafen. Was nichts anderes bedeutet, als dass Paul und Röbi hinter die Nähmaschinen im Atelier gesetzt werden. Jetzt heisst es, Futterstreifen nähen. «Und wehe, die Nähte sind nicht haargenau genäht!», droht Vater Rüegg. Die Buben ziehen ihre Köpfe ein und nähen still vor sich hin.

Die Futterstreifen werden schlussendlich in Militärmützen genäht. Auch die für die Glarner Sekundarschüler obligatorischen Kadettenmützen näht Otto Rüegg. Dafür kauft er lediglich den Mützenschirm ein, der Rest wird in seinem Atelier hergestellt.

Als die Hutmacherin aus Näfels stirbt, darf Rüegg auch die Mützen der Klosterschüler von Näfels herstellen. So packt Vater Rüegg regelmässig Hutschachteln mit diesen Mützen ein, schnürt sie auf seinen Solex und fährt damit nach Näfels. Auch Paul Rüegg kommt in den Genuss, mit Vaters Solex Schachteln auf dem Packträger ins Unterland zu fahren. Es macht Spass, den Wind um die Ohren pfeifen zu lassen. Eine Freiheit, die Paul geniesst.

Schmetterlinge im Bauch

Bevor der junge Paul die Sekundarschule in Glarus verlässt, wird er konfirmiert. Bereits im Konfirmanden-Unterricht fällt ihm eine Mitkonfirmandin auf. Küfer Heer hat eine hübsche und charmante Tochter. Margrit Heer, die nur gerade zwei Häuserreihen weiter südlich in Glarus aufgewachsen ist, und fast jeden Tag beim Mützenmacher vorbei zur Schule marschiert, löst bei Paul ein Kribbeln im Bauch aus.

Im Konfirmanden-Unterricht wird etwas geliebäugelt, mehr nicht. Und dann, nach der Konfirmation, an dem alle Konfirmanden zum ersten Mal auf den Tanz gehen dürfen, tanzen die beiden im «Mariasee» in Weesen miteinander. Der Funke springt, die Schmetterlinge flattern – aber noch ist Zurückhaltung angesagt.

Der ältere Bruder, Hans, lernt in Bern Mützenmacher und kommt ins elterliche Unternehmen. Zwar floriert das Geschäft mit Kunden wie der Polizei, Bahn und Grenzwache, aber einen weiteren Mützenmacher kann der Vater nicht gebrauchen.

So absolviert Paul seine Lehre beim Optiker Leuzinger in Glarus als Feinmechaniker. «Vielleicht hab ich den Beruf erlernt, der eigentlich der Traum meines Vater Otto gewesen ist», sinniert heute Paul Rüegg.

Sein Augapfel Margrit macht in Glarus, im Kaufhaus Schubiger, ihre Ausbildung zur Verkäuferin. Drei Jahre nach ihrem ersten Tanz sind die beiden Verliebten in der Allmeind in Glarus beim Skifahren. Und da passiert es – der erste Kuss. 1957 heiraten Paul und Margrit in Glarus und schon bald wird aus dem Paar eine Familie.

Während Paul wieder im Glarnerland arbeitet, finden sie in einem Einfamilienhaus in Mollis ein eigenes Zuhause.

Mit jedem beruflichen Aufstieg wird Paul unglücklicher. Der Tag kommt, an dem er seine Frau fragt: «Was würdest du sagen, wenn wir Vaters Geschäft übernehmen würden?» Margrits Augen strahlen: «Da bin ich sofort dabei.»

Das eigene Geschäft

Vater Rüegg ist bereits über 70 und gibt sein Unternehmen gerne ab. Rüegg Junior erwirbt am Kirchweg neben der Bijouterie Cattin das Geschäftshaus von der ehemaligen Modistin, Fräulein Manhart. Der Laden wird umgebaut und erhält ein Vordach, damit die Kunden auch bei Regenwetter im Trockenen stehen können, wenn sie die modischen Auslagen im Schaufenster betrachten wollen. Zu einem eigenen Geschäft gehört auch das eigene Logo. Pauls Cousin aus Bern ist kreativ und schlägt vor: «Wie wärs mit Göggs?». «Göggs nicht, aber Goggs», entscheiden Rüeggs.

Am Samstag, 14. November 1970 eröffnen Paul und Margrit Rüegg-Heer das Herrenspezialgeschäft Goggs. Vaters Sortiment wird erweitert mit Herrenhemden, Pullovern, Socken und Unterwäsche. So steht denn in einem Inserat zur Eröffnung verheissungsvoll: «erstklassige Unterwäsche für jeden Mann! Was aber bietet sie Frauen?» Den Frauen wird versprochen, dass sie diese Unterwäsche siedend heiss waschen dürfen.

Die Pelzwaren aber, die kommen nicht in das Sortiment am Kirchweg, denn der Trend weg vom Pelz hat bereits eingesetzt.

Während die Freude über das neue Geschäft bei den Eltern überwiegt, sind die drei inzwischen halbwüchsigen Kinder nicht gleich glücklich. Ihre Augen werden gross, als sie das erste Mal das neue Heim in Glarus begutachten. Alt und gebraucht sind die Zimmer. Ihr Vater verspricht ihnen, dass sie dafür die Wände ihrer Zimmer bemalen dürfen. Bevor die Familie einzieht, kommt wenigstens eine Zentralheizung ins Haus, denn der Holzofen reicht nicht mehr aus. Auch die zukünftige Kundschaft wird ihre Hemden nicht im kalten, ungeheizten Verkaufslokal anprobieren wollen.

Neben den Kleidern bietet Goggs auch Nähmaschinen an. Paul Rüegg übernimmt die Vertretung von Singer-Nähmaschinen. Seine Ausbildung zum Feinmechaniker hilft ihm dabei enorm. Aber auch die unzähligen Strafstunden, damals in Vaters Atelier an der Bärengasse, fruchten jetzt. Sind die Ärmel der Hemden dem Kunden zu lang, versetzt Paul Rüegg die Manschetten höchstpersönlich selber. Ist ein Hemd zu weit, platziert er einen Einnäher, so als hätte das eine Schneiderin genäht. Goggs ist ein Begriff. So wird Paul Rüegg im Laden oft mit «Grüezi Herr Goggs», angesprochen, was ihn sichtlich stolz macht.

Das letzte «Bing»

Schnell findet sich eine breite Kundschaft im Goggs ein, die das modische Flair und das handwerkliche Geschick von Rüeggs zu schätzen weiss.

Als die letzte Modistin im Kanton ihr Handwerk aufgibt, stehen auch Damenhüte im Schaufenster. Als rote Damenhüte gross in Mode sind, stehen zwei Glarnerinnen im Goggs. Vor ihnen sind zwei rote, prächtige Hüte auf dem Ladentisch. Flink sagt die eine: «Also, wenn Sie diesen hier nicht nehmen, kaufe ich ihn.» Und schon ist der Handel perfekt. Die flinkere der beiden Damen hat ihren Hut. Die andere begnügt sich mit dem verbleibenden Kopfschmuck.

Damit die Hüte auch nach einem Regen in Form bleiben, nehmen sich Rüeggs immer die Zeit, jeden verkauften Hut zu imprägnieren. Eine Dienstleistung, die geschätzt wird. «Ich habe kürzlich einen Hut gesehen, der fürchterlich schlapp machte», erzählt eine Kundin im Laden, während sie auf die Imprägnierung wartet.

Nach Hunderten von Hüten, Hemden, Socken und Unterhosen spürt auch der Goggs die Mobilität. Auch die Glarnerinnen und Glarner kaufen immer häufiger im Versandhandel und ausserhalb des Kantons. Der Jahresumsatz sinkt drastisch. Das Geschäft verkaufen wollen sie nicht, denn eine Existenz bietet es nicht mehr.

So beschliessen Rüeggs ein Jahr vor ihrer Pensionierung, das Geschäft zu schliessen und sich dem Ruhestand zu widmen.

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Muss sagen :interessierte Geschichte von einem alten Glarner Geschäft.Auch finde ich es witzig:die Geschichte vom Maria See in Weesen.Früher war es Tradition am Palmsonntag nach Weesen zugehen um zu tanzen.Habe selber noch einmal im Maria See in Weesen Musik gemacht bevor es geschlossen wurde.Unsere Band spielte vielfach am Samstag Abend +am Sonntag Nachmittag in der Maria Halde.Aber auch im Löwen in Glarus machten wir Musik an diesen Tagen . Abwechselnd mit dem Ramiro Ricci Quartett.Noch zur Anmerkung:In Weesen spielte dann zu dieser Zeit vielfach das Orchester Tom Blumer im Maria See.

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