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«Verrückt, wie krank dieses Virus macht»

Rebecca Egli ist Expertin Intensivpflege am Kantonsspital Graubünden. Sie ist eine von unzähligen Pflegekräften, die sich derzeit um Menschen kümmern, die schwer an Covid-19 erkrankt sind und intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Egli, die seit zehn Jahren auf der IPS in Chur arbeitet, gibt uns einen Einblick in ihren Alltag.

08.04.20 - 14:39 Uhr
Leben & Freizeit

«Meine Schicht begann heute um 7 Uhr, ich war aber schon etwas früher hier, um noch in Ruhe einen Kaffee zu trinken. Danach folgte die Übernahme von der Nacht- an die Frühschicht und die Einteilung der Patienten. Normalerweise betreue ich zwei Patienten, aber da wir derzeit viele Kollegen einarbeiten, war ich heute ‘nur’ für einen Patienten zuständig. Ich schaute mir den ärztlichen und pflegerischen Verlauf des Patienten an und las mich in seine Krankengeschichte ein. Danach kleidete ich mich für das Isolationszimmer an: Schutzmantel, Gesichtsmaske, Schutzbrille und zum Schluss die Handschuhe. Dann ging ich ins Zimmer, in dem derzeit vier Covid-19-Patienten liegen. Dort fing ich mit der sogenannten Antrittskontrolle bei ‘meinem’ Patienten und seinem Überwachungsplatz an. Dabei wird der Patient untersucht sowie Infusionen, Geräte und Materialen genau überprüft. Danach folgte die Kontrolle der Labor- und Blutwerte sowie die Körperpflege meines Patienten. Die Visite mit dem Oberarzt und dem Assistenzarzt wurde direkt am Bett durchgeführt.

Alle 16 Stunden drehen wir zu viert einen Covid-19-Patienten vom Bauch auf den Rücken. Heute hatten wir eine Patientin, welche die Rückenlage überhaupt nicht vertrug. Da mussten wir rasch reagieren.

Die Arbeit nimmt einen im Moment sowohl körperlich und als auch psychisch mit. Obwohl ich ja den ‘normalen’ IPS-Betrieb und dessen Arbeit seit Jahren kenne und schon viel erlebt habe, ist diese Situation jetzt schon etwas aussergewöhnlich.

Aussergewöhnlich ist auch, dass vier Patienten in einem Zimmer liegen, die alle isoliert werden müssen und alle schwer erkrankt sind. Am meisten beschäftigt mich die Angehörigensituation. Sie sie dürfen nicht auf der Station vorbeikommen, dürfen nicht zu ihren Verwandten ins Zimmer und sich an ihr Bett setzen. Wir kommunizieren täglich mit den Angehörigen bei Bedarf über Face-Time und wenn sie es möchten, gehen wir mit dem Handy auch zum Bett des Patienten. Alle ertragen diesen Anblick aber nicht. Dass die Angehörigen von Covid-19-Patienten keine Möglichkeit haben, vorbeizukommen, finde ich persönlich etwas vom Schlimmsten und Belastendsten.

Als ich letzte Woche auf dem Heimweg war, habe ich schon mal eine Träne ‘verdrückt’. Es ist verrückt, wie krank dieses Virus macht. Und ich gebe zu, ich habe im Januar nie gedacht, dass es uns hier auch so erwischen könnte. Wenn ich aber nach Italien oder Spanien blicke, können wir uns glücklich schätzen, nicht in dieser Situation zu sein. Wir hier sind gut vorbereitet.

Um 15.30 Uhr war mein Dienst heute zu Ende, ich habe an die Spätschicht übergeben. Ich war froh, konnte ich die Schutzkleidung endlich ausziehen, denn mit der Zeit wird es warm und die Brille drückt nach den vielen Stunden auf der Nase. Auf dem Heimweg an der frischen Luft und beim Gespräch mit Kollegen, wo sich zwar alles auch nur um Corona dreht, tanke ich neue Kraft.»

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