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Sich gehörlos Gehör verschaffen

Obwohl viele Menschen mit Hörbehinderungen heute gut in die Gesellschaft integriert sind, bestehen zwischen Hörenden und Hörbehinderten nach wie vor Hemmschwellen.

Südostschweiz
20.11.19 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Vizeweltmeister: An der Gehörlosen-Futsal-WM in Winterthur musste sich die Männerauwahl einzig Spanien geschlagen geben.
Vizeweltmeister: An der Gehörlosen-Futsal-WM in Winterthur musste sich die Männerauwahl einzig Spanien geschlagen geben.
SCHWEIZERISCHER GEHÖRLOSEN SPORTVERBAND

An der Gehörlosen-Futsal-Weltmeisterschaft in Winterthur schreibt das Schweizer Männerteam Geschichte. Die gehörlosen Fussballer mussten sich erst im Finalspiel Spanien mit 4:5 geschlagen geben. 

Diese ausserordentliche Leistung vollbrachten die Fussballer nicht heute und auch nicht gestern, sondern aus journalistischer Perspektive vor einer halben Ewigkeit, am vergangenen Samstag. Abgesehen von den Lokalmedien am Austragungsort der WM (Winterthur) berichtete kein Medium über das erfolgreiche Abschneiden der Schweizer Indoor-Fussballer.

Zum Vergleich: 2009 wurde die U-17-Nationalmannschaft in Nigeria Fussballweltmeister. Die darauffolgende mediale Präsenz war enorm und bescherte dem damaligen Trainer Dany Ryser die Auszeichnung zum Trainer des Jahres und die Fussballer wurden zum Team des Jahres gekürt.

Weshalb wird den Fussballern der Gehörlosen-Futsal-WM nicht die gleiche Ehre zuteil? Hat der Schweizer Futsal-Trainer Ado Peljto sein Team nicht vergleichbar gut gecoacht wie Dany Ryser? Alles nur wegen der Behinderung?

Inklusion statt Isolation

Ob viele oder wenige Medienberichte zu den Futsal-Vizeweltmeistern entstehen oder nicht, spielt am Ende des Tages eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger ist das Verständnis, dass es Menschen unter uns gibt, die an einer unsichtbaren Behinderung leiden, von der sich Nichtbetroffene nicht abschrecken lassen sollten.

«Viele Hörende standen bisher noch nie in Kontakt mit Hörbehinderten und wenn es mal soweit ist, türmen sich die Hemmschwellen von Sekunde zu Sekunde höher auf», sagt Ronny Bäurle. Er ist Leiter der Fachstelle Bilinguale Bildung für Gehörlose und Hörbehinderte in Graubünden. Bäurle selbst ist schwerhörig und kennt solche Begegnungen aus dem Alltag.

In der Arbeitswelt hapert es noch

«Früher war die Gebärdensprache verpönt und es gab kein Recht, sich diese Sprache anzueignen. Heute hat der Stellenwert der Gebärdensprache zugenommen. Es ist eine Sprache wie jede andere mit der man alles ausdrücken kann, es gibt sogar eine eigene Grammatik», sagt Bäurle, der selbst Gebärdensprachkurse leitet.

In der Arbeitswelt scheuen sich noch immer viele Arbeitgeber davor, Menschen mit einer Hörbehinderung einzustellen. Für Bäurle ist das eine der wichtigsten Stellschrauben, an der er unaufhörlich zu drehen versucht: «Die Arbeitswelt muss verstehen, dass Hörbehinderte arbeiten können und wollen.»

Während eine Hörbehinderung in den meisten Fällen nicht zum Bezug einer Invalidenrente berechtigt, bezahlt die IV Massnahmen, um Menschen mit einer Hörbehinderung im Arbeitsprozess zu unterstützen. Für Sitzungen mit mehreren Personen haben Hörbehinderte beispielsweise die Möglichkeit, Gebärdensprachdolmetscher bis zu einem monatlichen Maximalbetrag von 1763 Franken einzusetzen.

Solche Massnahmen gehen für Ronny Bäurle in die richtige Richtung. Selbst wenn auch morgen noch nicht ausgiebig über den Erfolg der Gehörlosen-Futsal-Vizeweltmeister berichtet werden sollte, konnte der eine oder andere für das Thema ein weiteres Mal sensibilisiert werden.

Das Gebärdensprache-Alphabet lernen:

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