Sechs Stunden, neun Gänge, 460 Jahre
Naturköchin Rebecca Clopath lädt bereits zum zehnten Mal zu einer sogenannten Esswahrnehmung in Lohn. Sie und ihr dreiköpfiges Team bekochen zwölf Gäste während sechs Stunden mit neun Gängen. Eine Reise für die Sinne, aber auch zurück zu den Wurzeln der Bündner Küche. Basis ist das 460-jährige «Ein schön Kochbuch» aus Chur.
Naturköchin Rebecca Clopath lädt bereits zum zehnten Mal zu einer sogenannten Esswahrnehmung in Lohn. Sie und ihr dreiköpfiges Team bekochen zwölf Gäste während sechs Stunden mit neun Gängen. Eine Reise für die Sinne, aber auch zurück zu den Wurzeln der Bündner Küche. Basis ist das 460-jährige «Ein schön Kochbuch» aus Chur.
Das Grau der Regenwolken hat das Schamser Tal an diesem Montagmorgen fest im Griff. Diese Stimmung verstärkt die ohnehin schon herrschende Ruhe in Lohn. Das auf 1585 Meter über Meer gelegene Bergdorf hat zurzeit 50 Einwohner, die vorwiegend in der Landwirtschaft tätig sind. Und in einem dieser sechs Höfe ist auch die Küche von Naturköchin Rebecca Clopath beheimatet: Der Biohof Taratsch, den sie zusammen mit einem Geschäftspartner von ihren Eltern übernehmen wird. Und dort lädt Sie an diesem Montag zu einer ihrer Esswahrnehmungen. Das mag nach Kurs klingen, ist aber im Grunde genommen ein Essen über viele Stunden mit schier unzähligen Serviergängen. Kulinarisches Thema ist eines der ältesten Kochbücher der Schweiz namens «Ein schön Kochbuch», erstmals erschienen im Jahre 1559 in Chur.
An der Nase herumgeführt
Nach einer kurzen Begrüssung verschwindet Rebecca Clopath in die Küche. Dort wirken bereits ihre drei Angestellte, alles Freunde. Die zwölf Gäste werden gebeten, ein in Duftgeranien parfümiertes Tuch zu benutzen, um den Alltag hinter sich zu lassen. Aber vor allem, um Hände und Nasen für die kommenden Stunden zu wecken. Ein dunkles Gefäss, genauer gesagt eine getöpferte Tasse, wird serviert. In dieser riecht es nach Erdbeeren. Ist es wirklich ein «Erdbeeri-Shot» oder führt mich da meine Nase an ihr selbst herum? Und das wird sich so mancher Gast immer wieder fragen. Heute, an diesem zumindest in den Nasen der Gäste nicht mehr so grauen Montag.
Das geilste Lebensmittel
Der erste Gang wird serviert. Unter anderem mit einem während einer Stunde bei 85 Grad confierten Eigelb, das sich unter anderem auf Mangold Sauerkraut bettet. Man solle doch bitte versuchen, das ganze Ensemble auf einen Löffel zu bringen und zu essen. Trauen tut sich dies gut die Hälfte der Gäste.
«Zur Hauptmahlzeit gabs früher immer eine Schnitte Brot, lange auch als Teller-Ersatz», sagt Rebecca Clopath in einer ihrer zahlreichen Erzählungen zwischen den Gängen. Das Brot habe sich dann mit dem Speise-Saft vollgetunkt. Eine Art «Dessert» in einfacher Form, denn die Scheibe Brot wurde zum Schluss gegessen. «Brot isch schu z geilsta Lebensmittel», tönt es vom Nebentisch.
«Mhhh…»
Jeder Gast, immer wieder an diesem Tag
Raum und Zeit
Clopaths Schwester sorgt dank Jagdpatent für den Hauptinhalt des nächsten Ganges. Es gibt Murmeltier-Gewürzwurst. Wer sich jetzt aber gepresstes Fleisch im Darm vorstellt, liegt falsch. Das Fleisch ist zwischen zwei Lättchen Lärchenholz eingeklemmt. Diese wurden zuvor auf der Feuerring geröstet, was für zusätzlichen Geschmack sorgen soll. Neben der Fleisch-Holz-Kreation liegt ein Stück Wachholder-Strauch. Dieses wird beim Servieren leicht angezündet. Der Raum füllt sich in kurzer Zeit Zeit mit einem Geschmack, über welchen die Gäste geteilter Meinung sind: «Es schmeckt noch Kircha.» – «Nai, eher noch Wianachta, nit?». Fakt ist, dass er die Aromen dieses Ganges angenehm duftend ergänzt.
Njami-njami statt hex-hex
Für einen der nächsten Gänge werden wir gebeten, uns zum Feuerring im Garten zu begeben. Dort gibts Gemüse. Natürlich ist das nicht alles. Zurück in der Gaststube vermengen wir das Grünzeug mit verschiedenen Ölen, Tinkturen und Destillaten. Ein bisschen fühlt sich das an wie Zauberei in einem Märchen. Das Ergebnis ist aber eher Njami-njami statt hex-hex. Sowieso hört man ein zufriedenes «Mhhhhh» etliche Male an diesem Tag.
Es gibt Reis, Baby!
Die Stunden vergehen wie das soeben servierte Dessert auf der Zunge. Auf dem Teller liegt ein «Fior di latte» mit Safran, auf gelbem Randen-Mousse gebettet. Rebecca Clopath erwähnt, dass der Ort Mund im Wallis lange das Schweizer Safran-Monopol innehatte. «Irgendwie zu Unrecht, denn die Krokus-Art kann man an vielen anderen Orten in der Schweiz auch anbauen». Sogar im Nachbardorf Donat würde Safran angebaut. Zum gelben Teil mit Safran und Rande gesellt sich Milchreis. Und dieser besteht eben aus Milch und Reis, mehr nicht. Und hey, das Safran-Glacé wird mit Rosenbalsamico besprüht. Kurz fühlen wir uns wie in einem Hipster-Szeni-Lokal mitten in Stadtzürich.
Käsekultur und Zuckerkunst
Ende des 17. Jahrhunderts begann man mit dem Export des Bündner Käses. Spätestens seit dann ist dieser in seinen unzähligen Varianten fixer Bestandteil des kantonalen Kulturgutes. Und diesem widmen sich Clopath und ihr Team im zweitletzten Gang. Mittlerweile ist es vier Uhr nachmittags. Und es wird fast fünf Uhr, bis die «finalen Häppchen» serviert werden. Diese sind inspiriert durch die Bündner Zuckerbäcker, welche Leute in aller Welt mit ihren Backkünsten verzauberten.
Und es wird wieder grau
Ein Gast fragt nach Kaffee. Dies passe nicht ins Konzept der Esswahrnehmung wird ihm gesagt. Kaffee wachse (noch) nicht in den Alpen. Zudem würde er die Geschmäcker der letzten Gänge schlicht und einfach übertönen. Ein für den «Alltags-Kaffeetrinker» spezielles Angebot gäbe es trotzdem, falls der Wunsch da ist. Serviert würde Lupinen-Kaffee, der laut den Gastgebern sowieso viel besser im Geschmack ist. Im Rahmen des Menüs wird aber ein fein duftender Tee serviert – und auch der Sich-Kaffee-Wünschende-Gast ist zufrieden. Bezeichnend für der Abschluss eines unüblichen Essens, das mit seiner Kreativität über gut sechs Stunden die Sinne der Gäste geweckt und deren Mägen gefüllt hat. Nach diesem bunten Ausflug in die Vergangenheit (und sicherlich auch auch Zukunft) des Bündner Essens entlassen Rebecca Clopath und ihr Team uns zurück ins Graue Nass.
Die Essenswahrnehmung findet auf dem Biohof Taratsch in Lohn statt und kostet 290 Franken pro Person. Man sollte sich Zeit nehmen: Das Ganze dauert gut sechs Stunden. Mehr Informationen und Anmeldung auf https://rebecca-clopath.ch/event/1225-2/
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Aha, 6 Stunden essen für 290…
Aha, 6 Stunden essen für 290 Franken pro Person in Lohn GR, der ärmsten Gemeinde der Schweiz.
https://www.suedostschweiz.ch/politik/lohn-ist-aermste-gemeinde-der-sch…
Hier noch Schulfernsehen über den Zusammenhang Essen und Kleidung (Frage einer verblüfften Bengalin in diesem Video):
https://www.youtube.com/watch?v=jU1DqDd4jxw#t=2m2s