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150 Jahre Postkarte - Und der Schweizer Trick, der sie bunt machte

Vor 150 Jahren wurde in Österreich die erste Postkarte aufgegeben. Sie war noch ohne Bild. Aber am reise- und knipsfreudigen Ende des 19. Jahrhunderts mauserte sie sich rasch zur Ansichtskarte. Dank einer Schweizer Erfindung sogar bunt - ganz ohne Farbfilm.

Agentur
sda
01.10.19 - 09:00 Uhr
Leben & Freizeit
Vor 150 Jahren wurde in Österreich die erste Postkarte aufgegeben. (Symbolbild)
Vor 150 Jahren wurde in Österreich die erste Postkarte aufgegeben. (Symbolbild)
KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/WALTER STUDER

Die Einführung der «Correspondenzkarten» im Oktober 1869 durch die österreichische Post war ein Renner. Schon nach vier Wochen wurde das millionste Exemplar verkauft und kein Jahr später erfolgte die Zulassung in der Schweiz.

Die Karte war ein echt demokratisches Kommunikationsinstrument: kein teures Papier, kein Couvert, Briefmarke schon vorgedruckt und der Text kurz und ohne Floskeln, gleichsam eine analoge Version der SMS.

Diese Postkarte passte zum allgemeinen Innovations- und Beschleunigungsschub in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, zu dem auch das Reisen gehörte. Das Bedürfnis entstand, die Daheimgebliebenen zu grüssen und mithin neidisch zu machen. Die mittlerweile verbreitete Fotografie ermöglichte das Versenden von Aufnahmen aus dem Urlaubsort, die daselbst käuflich zu erwerben waren: «Seht her, so schön hab ich's hier!»

Goldmedaille für eine Zürcher Erfindung

So ganz authentisch waren diese Ansichtskarten indes nicht, es fehlte die Farbe. Ein massentaugliches Farbbildverfahren war noch nicht erfunden. Foto-Ansichtskarten wurden Abzug für Abzug per Hand koloriert, oft mittels Schablonen, damit's schneller ging.

Da trat der Zürcher Lithograph Hans Jakob Schmid auf den Plan und erfand für seinen Arbeitgeber Orell Füssli das Photochrom-Verfahren. Dabei wurde das Schwarz-Weiss-Negativ auf bis zu 16 lichtempfindlich gemachte Steine projiziert, die danach in verschiedenen Farben gedruckt wurden. Weil die Farbe transparent war, konnte mit 16 Steinplatten eine fast unendliche Zahl an Farbnuancen generiert werden. Für das Verfahren gab's an der Pariser Weltausstellung 1900 eine Goldmedaille.

Eine Manie bedroht die Volksgesundheit

Die Photochrom-Abzüge zeigten das «warme Leben der Wirklichkeit», schwärmte die NZZ. Doch die Bilder waren mehr, gleichsam wirklicher als wirklich: Das Blau der Flüsse und Seen war blauer, der Himmel dramatischer, die Bäckchen der Damen rosiger, als man es kannte. Das verlieh den Bildern, die nun kostengünstig als Ansichtskarten aus aller Welt erhältlich waren, einen ganz besonderen, poetischen Zauber.

Die Hälfte der Postkarten sahen gar nie eine Post von innen, sondern wurden direkt an Sammler verkauft. Bis zum Ersten Weltkrieg herrschte eine regelrechte Postkartenmanie. Auf dem Höhepunkt 1913 wurden in der Schweiz 112,5 Millionen gedruckter Postkarten umgesetzt.

Der österreichische Schriftsteller Karl Kraus gab zu Bedenken, der «ungeheuerlich ausgearteten Ansichtskartensport» schade der Volksgesundheit. Das Hobby war so weit verbreitet, dass ihm 1898 der bekannte Berliner Operetten-Komponist Paul Lincke einen «Karten-Sammler-Marsch» komponierte.

Der Welthit von der Limmat

Der Auslöser des Hypes, Orell Füssli, spaltete das Photochrom-Geschäft 1889 in eine Tochterfirma ab und daraus ging 1895 die Aktiengesellschaft Photoglob & Co hervor, die Lizenzen unter anderem nach London und Detroit vergab.

Photochroms der höchst produktiven Detroit Publishing fielen beispielsweise einem kleinen Buben namens Walker Evans in die Hände. Er frass den Narren daran und legte bis zu seinem Tod 1975 eine Sammlung mit 9000 Photochroms an. In die Foto-Geschichte ein ging Evans aber mit eigenen, schwarz-weissen Arbeiten: den ikonischen Aufnahmen, die er während der Grossen Depression Mitte der 1930er Jahre machte.

Evans war einer von vielen berühmten Philokartisten, Postkartenliebhabern. Ein anderer war beispielsweise der deutsche Komiker Karl Valentin.

Kurze, aber grandiose Blütezeit

Während Evans seine epochemachenden Bildreportagen schoss, hatte sich die Zürcher Photoglob längst aus den Weltmärkten zurückgezogen. Man beschränkte sich nun auf Europa, später die Schweiz. Dank dem Tourismus lief das Ansichtskartengeschäft immer noch auf Hochtouren - ab 1930 nicht mehr mit Photochrom-, sondern mit echten Farbfotos.

Photoglob hat immer wieder mit kleineren Unternehmen fusioniert und diversifiziert. Sie verkauft mittlerweile beispielsweise auch gegenständliche Souvenirs, aber sie ist immer noch nach eigener Angabe der grösste Postkartenverlag.

Die Photochrom-Postkarte ist ebenfalls nicht gestorben. Nach einer vorübergehenden Sammelwelle von den 1970er bis in die 1990er Jahre ist der Handel zwar etwas eingebrochen, aber es gibt immer noch Vereine und Fanclubs wie die «Ansichtskartensammler-Vereinigung Schweiz». Historische Photochroms - erkennbar am goldenen «P.Z.» (Photoglob Zürich) in der Bildunterschrift - sind schon ab 5 Franken zu haben.

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