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Ritterrüstung inklusive

Als Bub hat Wolfram Kuoni die Rettung von Casti Aspermont hautnah miterlebt. Jetzt ist er selbst Schlossherr in Sagogn. Auch wenn er nicht ständig dort lebt, engagiert er sich mit viel Herzblut für das Bündner Erbe.

Ruth
Spitzenpfeil
05.03.19 - 22:07 Uhr
Leben & Freizeit

Auf den ersten Blick bringt man das Casti Aspermont nicht so recht mit dem Bild aus den Märchenbüchern in Einklang. Doch die Quellen bis hin zum Schweizerischen Kunstführer sind sich einig: Das hier ist ein richtiges Schloss. Es liegt nicht majestätisch erhöht, sondern dicht an der Strasse im Ausserdorf von Sagogn. Spätestens, wenn man drinnen unter Kreuzgewölben hindurchgeht, die wuchtigen Truhen bestaunt und über uralte Steinstufen in den prächtigen Saal mit der langen Tafel gelangt, drängt sich die herrschaftliche Historie auf. «Zu gern würde ich jetzt sagen, wir sind hier im Rittersaal», meint der heutige Schlossherr Wolfram Kuoni lachend. Aber Martin Bundi habe ihn ermahnt, korrekt von der «Junkerstube» zu sprechen. Der Bündner alt Nationalratspräsident und Historiker erforschte als geborener Sagogner die Geschichte der Region akribisch.

1672 steht als Jahreszahl auf dem reich verzierten Türstock des Täferzimmers mit den ernsten Porträts der früher hier lebenden Geschlechter. Zu der Zeit hatte sich auch in Graubünden der letzte Ritter schon längst verabschiedet – ob Cunos Todesritt über den Felsen von Hohenrätien bloss eine schaurige Sage ist oder nicht. Eine glänzende Ritterrüstung prangt aber trotzdem in einer Ecke des Prunkraums von Aspermont; auf weitere stösst man beim Hausrundgang.

Kuoni gibt sein historisch inkorrektes Faible gerne zu. Er erinnert sich noch gut, wie er als Kind im halb verfallenen Gebäude herumgestreift war und die Einzelteile seiner ersten Rüstung im Estrich fand. Sie steht heute im Erdgeschoss des sogenannten Saalbaus, des ältesten Teils des Schlosses. Dorthin kommt der heute am Zürichsee lebende Kuoni mit seiner Familie mindestens einmal im Monat, oft mit Freunden. Zuweilen fänden auch die Verwaltungsratssitzungen seiner Anwaltskanzlei in der Junkerstube statt, verrät er. Insgesamt 14 verwinkelt angeordnete Zimmer sind es in diesem Trakt, geschmackvoll aus Alt und Neu eingerichtet. Man merkt, die Wohnung ist ein Zuhause, nicht nur ein gelegentlicher Ferienaufenthalt. Dabei ist Kuoni nicht etwa hier aufgewachsen. Zum ersten Mal übernachtet hat der 52-Jährige in dem Gemäuer erst im Jahr 2005. Trotzdem war das Schloss ein Teil seiner Jugend.

Abenteuer Sanierung

Er war elf Jahre alt, als sein Vater, damals Bündner Verwaltungsgerichtspräsident, durch eine Zeitungsanzeige auf die aussergewöhnliche Immobilie aufmerksam wurde. Jahrelang völlig vernachlässigt war das Schloss in einem desolaten Zustand. Aber irgendwie liess es den Magistraten nicht mehr los. Er kaufte es und stürzte sich in das Abenteuer einer grundlegenden Sanierung. Dabei stand es nie zur Debatte, dass er mit seiner Frau, der bekannten Kulturjournalistin Gisela Kuoni, und den drei Kindern von Domat/Ems hierher ziehen würde. Doch während zehn Jahren wurde Aspermont zu seinem Lebensmittelpunkt.

Wolfram Kuoni drückt uns eine 130-seitige Publikation in die Hand, die er 2002 im Verlag Bündner Monatsblatt herausgegeben hat. Darin ist aus kundiger Feder alles zusammengetragen, was die Talgeschichte weiss und was das Schloss selbst über sich preisgegeben hat. Die erste Erkenntnis ist, dass Sagogn nicht immer nur das unbedeutende Dörfchen war, das abseits der Achse Flims–Ilanz idyllisch in der Sonne liegt. Im Gegenteil, stellte es einst die wichtigste Eingangspforte ins Oberland dar, war gar der wesentliche Bestandteil der Schenkung an das Kloster Disentis im berühmten Testament des Bischofs Tello von 765, einem der wichtigsten Zeugnisse der frühen Geschichte Graubündens.

Als Kuoni 20 Jahre nach seinem Vater eine weitere Bauetappe in Angriff nahm, um die Hauptwohnung nach einer langen Vermietung für sich selbst umzugestalten, forschte er mit seiner Frau Maria in den Eingeweiden des Hauses auch nach Spuren aus dieser Zeit. Dendrochronologische Untersuchungen an einem Balken bestätigten aber nur, was man schon angenommen hatte, nämlich dass der Ursprung der Hof eines bischöflichen Verwalters, eines Aspermont aus Jenins oder Zizers, um 1390 war.

Anders als bei den Burgen im Domleschg ist der Turm nicht der älteste Teil des Schlosses. Was heute in Sagogn am meisten beeindruckt, wurde als sechsstöckiges Wohnhaus erst im Barock um 1710 angebaut, und zwar von italienischen Einwanderern.

Die Castelli waren eine enorm wohlhabende Familie aus dem Veltlin, deren Mitglieder irgendwann begannen, sich strategisch geschickt mit Bündnerinnen zu verheiraten. So gewannen sie auch hier Einfluss und Ämter. Das meiste, was heute an Antiquitäten im Schloss etwas hermacht, stammt von ihnen – oder wurde von Vater Kuoni auf seinen Einkaufstouren zusammengetragen. Doch auch geistige Reichtümer wurden auf Aspermont angehäuft. Wolfram Kuoni ist vor allem fasziniert von der Leistung derer von Jochberg im 16. Jahrhundert. Dies waren gebildete Humanisten, die dem jungen Dreibündestaat in vielfältiger Weise dienten. Bemerkenswert ist die Urteilssammlung des Gallus von Jochberg, welche um 1570 die Grundlage eines neuen Rechtsverständnisses legte.

Wenn wir schon bei Geistesgrössen sind, die für Aspermont wichtig waren, darf einer nicht fehlen. Die Kuonis waren grosse Verehrer des Architekten Rudolf Olgiati. Empfängt einen heute beim Betreten des Schlosses neben all der Historie auch erfrischende Modernität, so ist das ihm zu verdanken. Wie er insbesondere durch klug eingesetzte Betonkuben den Castelli-Turm in sechs Wohnungen mit allem zeitgemässen Komfort umbaute, ist vorbildhaft. Gestalterisch austoben konnte er sich auch wegen eines Vorfalls, der zuerst dramatisch war. Wegen der Grabungen für einen Öltank brach ein Gebäudeteil zum rückwärtigen Garten hin ein. Hier kann man nun die berühmten Olgiati-Bögen an einem stimmigen Anbau mit grossen Fenstern bewundern.

Bündner Enthusiasmus

Auch der jetzige Schlossherr plant wieder Neuerungen – mit dem heutigen Bündner Architekturstar Gion A. Caminada. Unter anderem gibt es einen neuen Zugang zum sogenannten Musiksaal, wo immer wieder öffentlich Konzerte stattfinden und diese Woche etwa die Musiker Corin Curschellas und Peter Conradin Zumthor an einer Aufnahme arbeiten. Kuoni investiert in Sagogn, seit er den Besitz im Jahr 2000 vom Vater übernommen hat. Damals habe er bei der UBS Investment Bank gearbeitet, und manchmal hätten seine Kollegen gefragt, warum er keine schnellen Autos fahre. «Meine Boni sind alle in Aspermont», antwortete er damals lachend. Politisch und kulturell engagiert er sich in verschiedenster Form. Dabei liebt Kuoni, der beruflich oft im Ausland weilt, die alte Heimat über alles. «In Zürich bin ich fast ein bisschen penetrant mit meinem Bündner Enthusiasmus», sagt er. Von diesem ist auch sein achtjähriger Sohn Andreas angesteckt. «Er kann nicht genug kriegen vom Snowboarden in Laax und von den Geschichten um Ritter Cuno.»

Die weiteren Schlösser mit allen Bildern hier im Dossier.

Ruth Spitzenpfeil ist Kulturredaktorin der «Südostschweiz» und betreut mit einem kleinen Pensum auch regionale Themen, die sich nicht selten um historische Bauten drehen. Die Wahl-St.-Moritzerin entschloss sich nach einer langen Karriere in der Zürcher Medienwelt 2017, ihr Tätigkeitsfeld ganz nach Graubünden zu verlegen. Mehr Infos

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