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«Wir mussten das Sofa opfern für den Flügel»

Alfons Amweg ist Klavierbaumeister und stimmt als solcher unter anderem sämtliche Klaviere und Flügel in den Schulhäusern von Rapperswil-Jona. Seinen eigenen, rund 125-jährigen Steinway-Flügel hat er so repariert, dass er noch ganz nahe am Original ist.

Linth-Zeitung
02.02.19 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
«Jeder Klavierbauer träumt von einem tollen Instrument.» Alfons Amweg an seinem Steinway aus dem Jahr 1893.
«Jeder Klavierbauer träumt von einem tollen Instrument.» Alfons Amweg an seinem Steinway aus dem Jahr 1893.
ELVIRA JÄGER

Von Elvira Jäger

Sie wissen fast auf den Tag genau, wie alt Ihr Flügel ist. Weshalb?

Ich habe einen Beleg der Firma Steinway, der ihn als Nummer 406 ausweist. Dieser Flügel kam im November 1893 nach Zürich zur Instrumentenbaufirma Hug.

Was wissen Sie sonst noch über seine Geschichte?

Ich habe ziemlich schlüssige Hinweise darauf, dass der Klangkörper noch in New York gebaut wurde, die Mechanik aber bereits von Steinway Hamburg stammt. Diese europäische Niederlassung wurde 1880 gegründet. Es brauchte jedoch Jahre, bis dort ein Holzlager für die Produktion bereitstand. Ausserdem sind die wuchtigen Füsse meines Flügels typisch amerikanisch. Nur sechs Instrumente vor meinem Flügel hat Steinway übrigens eine üppig verzierte Sonderanfertigung produziert, die heute im Whitney-Museum in New York zu sehen ist. Es macht mich schon ein bisschen stolz, dass mein Flügel und dieser Museums-Steinway sich in der Fabrik vielleicht «begegnet» sind.

Wie ist Ihr Schmuckstück zu Ihnen gekommen?

Die Firma Jecklin, bei der er inzwischen gelandet war und bei der ich damals gearbeitet habe, wollte ihn entsorgen, weil er so kaputt war. Ich hatte mir schon lange einen Flügel gewünscht und musste nur den Transport organisieren. So kam er vor rund 20 Jahren zu mir und ich habe ihn in meiner Freizeit repariert. Die Lackierung und die Klaviatur aus Elfenbein habe ich belassen, das gibt dem Instrument eine wunderschöne Patina, wie ich finde. Besaitung und Mechanik sind neu. Man soll das Instrument brauchen können, ich restauriere nicht fürs Museum.

Haben Sie die Stunden gezählt?

Es waren wohl an die 150 Arbeitsstunden. Mir war wichtig, dass das Instrument so nah wie möglich ans Original herankommt. Das ging deshalb gut, weil der Flügel vorher noch nie revidiert und somit auch noch nie verschandelt worden war.

Spielen Sie täglich auf Ihrem Flügel?

Ich bin höchstens ein leidlicher Pianist, vor allem bin ich ja Klavierbaumeister. Mein erstes Instrument ist Akkordeon. Dieser Flügel ist mein Genussinstrument, ich spiele zum Plausch oder wenn ich als Chorsänger etwas einüben muss. Jeder Klavierbauer träumt von einem tollen Instrument, und der Steinway ist die höchste Liga. Den gebe ich nicht mehr her.

Wenn man Ihre Stube betritt, fällt er einem auch als Erstes auf.

Ja, er ist ein Blickfang für alle unsere Besucher. Kinder wollen natürlich immer sofort in die Tasten greifen, und das dürfen sie auch.

Aber er braucht ordentlich Platz.

Wir mussten sogar das Sofa «opfern» für den Flügel, und auch der Fernseher steht bei uns nicht in der Stube. Diesen Kompromiss musste meine Familie eingehen.

Als Klavierbaumeister und -stimmer haben Sie sicher das absolute Musikgehör.

Nein, aber ich habe ein gut geschultes Gehör. Mein Beruf ist zu 97 Prozent Handwerk, auch wenn er gerne ein wenig romantisiert wird. Ich muss mich in erster Linie auf die Mechanik einlassen. Die Kunst kommt erst ganz zum Schluss.

Jedes Wochenende stellen hier mehr oder weniger bekannte Persönlichkeiten aus der Region ihren Lieblingsgegenstand – sozusagen ihr Schmuckstück – vor.

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