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Natur reguliert Wildbestände ganz von alleine

Im Schweizerischen Nationalpark können die Tiere in aller Ruhe den Winter verbringen. Futter finden sie trotz des vielen Schnees genügend.

15.01.19 - 17:37 Uhr
Leben & Freizeit
Lawinengefahr: Steinböcke suchen die sonnigen Hänge zum Verweilen.Bild SNP
Steinböcke suchen die sonnigen Hänge zum Verweilen.
SNP

Zur Arbeit fahren konnte Hans Lozza, Leiter Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit beim Schweizerischen Nationalpark gestern früh noch nicht. Wie auch am Montag waren Schiene und Strasse zwischen Brail und Zernez wegen Lawinengefahr gesperrt. Lozza lebt in Zuoz, sein Bürotisch steht in Zernez. Er nahm diese Situation gelassen, so wie er auch die Situation des Wildes im Nationalpark als unproblematisch sieht. «Bis jetzt war es ein ganz normaler Winter», sagt er. Die Parkwächter seien unterwegs gewesen und hätten festgestellt, dass die Tiere durchaus noch genügend Futter finden.

«Im Vergleich zum letzten Jahr hat es weniger Schnee», so Lozza. Um den 22. Januar 2018 sei die Situation weit schlimmer gewesen, weil neben der hohen Schneemenge auch noch Regen dazukam und harte Schneeschichten entstanden seien. Im Frühjahr hätten die Parkwächter dann weitaus mehr Kadaver gefunden, als in anderen Jahren. «Vor allem der Bestand der Rehe hat stark gelitten», erzählt Lozza. Von den Hirschen im Ofenpassgebiet hätten ebenfalls nur wenige überlebt. «In den vergangenen Jahren gab es oberhalb des Hotels ‘Il Fuorn’ immer genug Nahrung, aber im vergangenen Jahr war diese Fläche bis Ende März komplett schneebedeckt. Die Tiere dort waren eingeschneit.»

«Das gehört zur Natur»

Auch in solchen Fällen greifen die Parkmitarbeiter nicht ein. «Das gehört zur Natur. Hier geht es um das Prinzip: Survival of the Fittest. Das müssen wir Menschen akzeptieren.» Die Kritik von Personen, die jetzt ein Handeln von den Naturschützern fordern, kann Lozza nicht verstehen. «Das ist ein falsches Naturverständnis.» Natur funktioniere nicht auf diese Weise. Der Mensch sei nicht der Retter der Welt. Das hätten die Wildtierfütterungen von früher gezeigt, die nur zu Problemen geführt hätten: Massensterben, Krankheiten etc.

Gemäss Lozza sind die Alpentiere grundsätzlich für den Winter gewappnet. «Wenn sie nicht gestört werden, sind Winter, wie wir sie jetzt haben, normal.» Das Amt für Jagd und Fischerei Graubünden hat deshalb aufgerufen, das Wild wegen der hohen Schneemassen in Ruhe zu lassen.

Im Nationalpark wird das Wild im Winter nicht gestört, zumal die Wege geschlossen sind. «Die Tiere versammeln sich auch an Orten, welche das Überleben erleichtern und nicht dort, wo es am meisten Schnee hat», erklärt Lozza. Im bekannten Trupchun-Tal halten sie sich beispielsweise an den Sonnenhängen auf. Ab und zu geht hier eine Lawine nieder, und dann findet das Wild wieder Nahrung.

Dass vereinzelt einmal ein Hirsch bis zum Dorf gelangt, gibt es immer wieder mal. «Da ist es einfach wichtig, dass die Tiere keine Nahrung finden, also dass der Kompost abgedeckt ist», meint Lozza. Auch sollten die Anwohner aus Mitleid kein Futter für die Tiere auslegen. «Wir haben viele im Winter geschützte Wälder. Die Tiere sollen sich an Orte zurückziehen, wo sie Schutz finden.» Wichtig sei, dass die Schutzzonen respektiert werden und konsequent Bussen verhängt werden, wenn dies nicht der Fall sei.

1999 gab es viele Opfer

Der Schweizerische Nationalpark betreibt die Forschungsarbeit natürlich auch im Winter. Die Bestände und Schneesituationen der vergangenen Jahrzehnte sind dokumentiert und erlauben einen Vergleich. Im Winter 1999 beispielsweise ist ein Drittel der Steinböcke in Lawinen umgekommen. «Man hat bis zu 60 Steinböcke in einer Lawine gefunden», erzählt Lozza. Nach ein paar Jahren habe sich die Population aber wieder erholt.

Ein ähnliches Beispiel ist die Population der Gämsen. Als der Nationalpark 1914 gegründet wurde, gab es rund 1500 Gämsen im Park. Heute gibt es immer noch 1500 Gämsen im gleichen Gebiet, obwohl hier keine Jagd erlaubt ist. Krankheiten, Lawinen, harte Winter haben die Selektion auf natürliche Weise vorgenommen.

Fadrina Hofmann ist als Redaktorin für die Region Südbünden verantwortlich. Sie berichtet über alle gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Themen, die in diesem dreisprachigen Gebiet relevant sind. Sie hat Medien- und Kommunikationswissenschaften, Journalismus und Rätoromanisch an der Universität Fribourg studiert und lebt in Scuol im Unterengadin. Mehr Infos

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