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«Ein ganz aussergewöhnliches Objekt»

Mark Wüst leitet das Stadtmuseum Rapperswil-Jona und hat unter seinen Ausstellungsobjekten ein ganz besonderes Schmuckstück.

Linth-Zeitung
08.12.18 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Mark Wüst, Leiter des Stadtmuseums, präsentiert sein Schmuckstück, einen mittelalterlichen Abtstab.
Mark Wüst, Leiter des Stadtmuseums, präsentiert sein Schmuckstück, einen mittelalterlichen Abtstab.
ELVIRA JÄGER

von Elvira Jäger

In einem Museum gibt es viele Schmuckstücke. Warum haben Sie ausgerechnet diesen Abtstab ausgewählt?

Weil er echt aussergewöhnlich ist. Man muss weitherum suchen, um einen vergleichbaren Abtstab zu finden; möglich wäre das etwa in Martigny oder im Kloster Engelberg. Ich zeige dieses Schmuckstück unseren Besuchern bei jeder Führung, denn es ist ein kunsthistorisch und materiell sehr wertvolles Objekt.

Wie alt ist der Stab?

Er stammt aus dem Jahr 1230, ist also beinahe 800-jährig – und somit, abgesehen von einigen Fundstücken aus der Römerzeit, das älteste Objekt im Stadtmuseum.

Beschreiben Sie den Abtstab doch kurz.

Es handelt sich eigentlich um die Krümme eines Abtstabs. Der Stab war aus Holz und ist nicht erhalten, der obere Teil jedoch hat überlebt. Er ist aus vergoldetem Kupfer mit verschiedenfarbigen Motiven aus Email.

Weiss man, woher er stammt?

Aus Limoges, in Zentralfrankreich. Die dortige Manufaktur war berühmt für Emailarbeiten an liturgischen Objekten und exportierte solche Kunstwerke nach ganz Europa.

Wie kam der Stab nach Rapperswil?

Er stammt aus dem Kloster Rüti, das 1525 im Zug der Reformation aufgehoben wurde. Abt Felix Klauser floh ins katholische Rapperswil und nahm den Stab, die Mitra und ein Paar seidene Pontifikalschuhe mit. Das Haus, in dem sich heute der Schwanensaal befindet, gehörte dem Kloster und hiess Rütihaus. Der Abt wohnte dort und starb 1530. Im Jahr 1561 verstarb der letzte Mönch. Er vermachte die erwähnten Objekte der Stadt; sie können alle heute noch im Stadtmuseum besichtigt werden.

Wollte Rüti sie nie zurückhaben?

In der Tat gab es vor zehn Jahren einen kleinen Kulturstreit. Damals feierte Rüti 800 Jahre seit der Gründung des Klosters und hätte den Stab gerne zurückgehabt. Die Behörden argumentierten, eigentlich sei das Kloster ja gar nie offiziell aufgehoben worden. Man setzte sich zusammen und einigte sich darauf, dass die Objekte für die Jubiläumsausstellung nach Rüti ausgeliehen wurden. Danach kamen sie wieder nach Rapperswil zurück.

Was genau ist auf der Krümme zu sehen?

Es sind Darstellungen von hoher Symbolkraft. In der Spirale ist ein Greif zu sehen, ein Löwenkörper mit einem Vogelkopf. Das ist ein Symbol für göttliche Macht. Der Gegenpol ist am Schaft dargestellt: eine Schlange mit Drachenkopf, also das Böse. Auch unter dem Knauf sind drei Schlangen zu sehen.

Typische Darstellungen also?

Typisch vor allem für das Hochmittelalter. Man wählte in dieser Zeit häufig Fabeltiere, um etwas auszudrücken. Die Menschen damals verstanden diese Botschaften sehr gut.

Weiss man eigentlich, wie der Stab aus Frankreich an den Zürichsee gekommen ist?

Nein, darüber ist nichts Genaues verbürgt. Ich nehme an, dass der Abt vom guten Ruf der dortigen Manufaktur wusste und einen oder zwei Mönche ausschickte, um so einen Stab für ihn zu kaufen.

Museumsleiter und Stadtarchivar
Mark Wüst leitet seit 2011 das Stadtmuseum Rapperswil-Jona und ist seit zwei Jahren auch Stadtarchivar. Er hat Geschichte und europäische Ethnologien studiert und lange im Museum Allerheiligen in Schaffhausen gearbeitet. Wüst stammt ursprünglich aus dem Luzernischen und wohnt in Zürich.

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