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«Vom Groove geimpft»: Alt-68er blicken zurück

Der eine politisiert heute bei der SVP, der andere sammelt Kunst. In einer Gesprächsrunde im Uzner Museum Zeitfalten blickten Alt-68er zurück und erörterten die Bedeutung des Aufbruchsjahres für die Gegenwart.

Linth-Zeitung
28.11.18 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Unter der Leitung von Peter Brunner (rechts) berichten Bruno Glaus, Alu Homann, Ruedi Gmür und Marina Smaldini (von links) darüber, wie sie das Aufbruchsjahr erlebt haben.
Unter der Leitung von Peter Brunner (rechts) berichten Bruno Glaus, Alu Homann, Ruedi Gmür und Marina Smaldini (von links) darüber, wie sie das Aufbruchsjahr erlebt haben.
ELVIRA JÄGER

von Elvira Jäger

Autos brannten 1968 im Linthgebiet keine. Auch öffentliche BH-Verbrennungen und andere Demonstrationen sind nicht dokumentiert. Dennoch spürten nicht wenige auch am Obersee Aufbruchstimmung. So der damals 19-jährige Bruno Glaus, der seinen Wegzug nach Zürich und seinen Austritt aus der katholischen Kirche als ungeheuren Befreiungsschlag erlebte.

Glaus, Rechtsanwalt und Kunstsammler, versammelte am Sonntagabend drei Gesprächsteilnehmer um sich, die wie er «vom 68er-Groove geimpft worden waren», danach aber ganz unterschiedliche Wege gingen: Ruedi Gmür, der als Landwirt heute für die SVP im Kaltbrunner Gemeinderat sitzt, die Basler Journalistin und Juristin Marina Smaldini sowie die Autorin Alu Homann aus Wädenswil.

«Ich trug die Blumen im Herzen, denn die Hände brauchte ich zum Arbeiten.»
Ruedi Gmür, Landwirt, Gemeinderat und Alt-68er aus Kaltbrunn

Homann, in Thüringen geboren und nach dem Krieg zur Flucht in den Westen gezwungen, sagt von sich, sie sei vom deutschen 68er Geist geprägt. Was sie damit meint, wird sofort klar, wenn sie von ihren Studienzeiten in Tübingen erzählt, wo sie und ihr Mann, der Sinologe Rolf Homann, Vorlesungen von linken Ikonen wie Ernst Bloch und Walter Jens besuchten. Bloch habe seine ungeheuer spannenden philosophischen Gedankenexperimente stets frei vorgetragen, sei dabei aber nur in den vordersten Reihen zu verstehen gewesen. Der nuschelnde Professor habe nämlich stets auch noch eine Pfeife im Mundwinkel hängen gehabt. Walter Jens hingegen sei ein brillanter Rhetoriker gewesen, scharf und witzig, manchmal verletzend, aber immer hinreissend präzise.

Braver Sozi

Etwas weniger weltläufig, aber dennoch spannend, ging es bei Bruno Glaus in Zürich zu und her. Er engagierte sich Mitte der 1970er Jahre bei den Zürcher Sozialdemokraten, «braven Sozis», die sich schon damals gegen die Verdrängung von günstigem Wohnraum wehrten. Die Frauenbewegung und eine völlig neue Kreativität sind für Glaus bis heute die wichtigsten Errungenschaften von 1968. Damals sei die Revolte gegen das Establishment von links gekommen, heute komme sie von rechts, bilanziert Glaus, der sich im Lauf der Jahre vom Sozi zum «wirtschaftsfreisinnigen Kultursozialdemokraten» wandelte. «Was damals Thomas Held war, ist heute Christoph Blocher. Von der Goldküste kommen beide.»

Hände zum Arbeiten

Die 68er Unruhen in Zürich erlebte Ruedi Gmür nur aus der Ferne mit, obwohl er zu dieser Zeit in der Stadt eine Kochlehre machte. Für die Hippie- bewegung habe er zwar Sympathien gehabt, aber: «Ich trug die Blumen im Herzen, denn die Hände brauchte ich zum Arbeiten.» Marina Smaldini demonstrierte in Basel und Kaiseraugst gegen die Atomkraft und engagierte sich in der linken Journalistengewerkschaft. Und Alu Homann, die inzwischen aus dem aufregenden Tübingen ins beschauliche Wädenswil gezogen war, staunte darüber, dass man in der Schweiz eine Lehrerin entlassen konnte, weil sie im Konkubinat lebte.

Was wäre aus Ihnen geworden, wenn es 1968 nicht gegeben hätte? Die Frage von Gesprächsleiter Peter Brunner, Kulturkommissionspräsident in Kaltbrunn und 1968 geboren, öffnete den Blick Richtung Gegenwart und Zukunft. «Ohne 1968 wäre ich wohl so langweilig geworden wie ich damals die meisten Menschen empfand», meinte SVP-Mann Ruedi Gmür. Bruno Glaus fühlt sich angesichts der Weltlage heute oftmals wie Sisyphos und wünscht sich mehr Engagement. «Wir müssten doch längst alle auf die Strasse gehen und gegen die Saudis demonstrieren, die Journalisten ermorden lassen.»

Als Linke sei sie bisweilen irritiert, wenn Gesinnungsgenossen Missstände nicht zur Kenntnis nehmen wollten, weil es politisch nicht opportun sei, sie zu benennen, bekannte Marina Smaldini. Als Mitarbeiterin eines Arbeitsamtes habe sie viele solcher Missstände gesehen und angeprangert, jedoch ohne Erfolg. Alu Homann weitete auch in der Schlussrunde den Blick über die Schweizer Grenzen hinaus. Wenn sie heute noch einmal auf die Strasse gehen würde, dann um für den Zusammenhalt von Europa zu demonstrieren. Nach etwas mehr als 68 Minuten beendete Peter Brunner den nostalgisch-informativen Rückblick.

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