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Der Advokat mit der Axt

Nur wenige kennen Schloss Baldenstein im Domleschg. Hier wohnten ungestüme Haudegen, empfindsame Forscher und starke Frauen. Der heutige Schlossherr hat uns das Heim seiner Familie gezeigt.

Ruth
Spitzenpfeil
28.11.18 - 10:32 Uhr
Leben & Freizeit

Wenn er so dasteht vor seiner Burg, könnte man ihn sich auch in einem anderen Jahrhundert vorstellen. Bestimmt wüsste er vortrefflich, die Streitaxt zu führen, wie so viele seiner Vorgänger als Herren auf diesem Schloss bei Sils im Domleschg. Andreas Conrad von Baldenstein würden wir ihn gerne nennen, doch leider haben es seine Vorfahren verpasst, das «von Baldenstein» als Namensbestandteil eintragen zu lassen.

Andreas Conrad lacht, wenn man ihn mit dem Ritter vergleicht, der um das Jahr 1200 auf einem strategisch günstigen Felsvorsprung über der Albula einen Wehrturm baute, den ältesten Teil des Schlosses. Das mit der Axt lässt er aber durchaus gelten. «Einmal die Woche sollte auch ein Anwalt etwas Sinnvolles machen, zum Beispiel Holz hacken», meint er verschmitzt.

Die Sache mit dem Turm

Etwas später sehen wir den Ertrag seines liebsten Hobbys im neuen Steinofen prasseln. Das Schloss wird nämlich heute noch weitgehend mit Holz geheizt. Und für das Rohmaterial sorgt der Besitzer eigenhändig aus den dazugehörenden 20 Hektaren Wald. Die «kühne Burg», was Baldenstein bedeutet, ist vor allem eines: das Heim seiner Familie. Die drei Söhne sind derzeit wegen ihrer Ausbildung nicht immer anwesend. Im Winter reduziere sich das Leben in der Burg ohnehin auf wenige Räume im ersten Stock, erklärt Conrad. Auf dem Sofa im Verbindungsraum dazwischen sitzt er dann abends gerne mit seiner aus Bali stammenden Ehefrau Ni Ketut Temon. Und genau hier hat er jetzt diese moderne, effiziente Feuerstelle bauen lassen.

«Der Denkmalschutz wäre wahrscheinlich nicht einverstanden; aber den habe ich erst gar nicht gefragt», sagt Conrad. Da blitzt der streitbare Geist des Schlossherren auf. Mit den kantonalen Hütern des baulichen Erbes hat er sich offenbar einige Scharmützel geliefert. Da war etwa die Geschichte mit dem Turm. Auf den historischen Darstellungen von Baldenstein trägt der Bergfried ein Zeltdach. Die neugotischen Zinnen wurden erst nach dem Brand von 1877 fabriziert. Conrads Vater hatte immer davon geträumt, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen, was schliesslich sein Sohn in Angriff nahm. Doch die Hoffnung auf Zuschüsse vom Staat musste Conrad schnell ad acta legen. Im Gegenteil: der Denkmalschutz legte sich quer. «Aber es ist schwierig, einem Juristen etwas zu verbieten», sagt Conrad, der lange am Kantonsgericht tätig war und heute am Regionalgericht Viamala. Nach einigem Hin und Her zog er den Umbau auf eigene Faust – und eigene Kosten – durch.

Einen einheitlichen Baustil weist Baldenstein aber ohnehin keinen mehr auf. Dazu wurde über die Jahrhunderte viel zu viel angefügt und geändert. Beeindruckend ist aber nach wie vor, wie sich die Anlage in die Landschaft fügt und wirkt wie aus dem Felsen gewachsen. Es sei schon etwas anderes als eine Eigentumswohnung mit Ikea-Möbeln, meint Conrad. Ein solches Eigentum bedeute besondere Verantwortung – und besondere Anstrengung. Seine Vorfahren hätten noch von dem leben können, was das Land hergab. Diese ökonomische Basis sei entzogen. «Heute lebt das Schloss von mir.»

Onkel Thomas und Tante Meta

Doch wer sind denn nun diese Vorfahren, die einen überall an den Wänden von Gemälden herab anblicken – abwechselnd mit den Buddhas und exotischen Wesen aus der Heimat von Conrads Frau? Die Ritterrüstung im Treppenhaus wurde ziemlich sicher von keinem getragen. Es ist ein Accessoire, das man erst viel später anschaffte. Doch so manch ungestümen Haudegen hat es unter den Herren von Baldenstein durchaus gegeben. Allen voran ist da Jacob Ruinelli, ein Kampfgenosse von Jürg Jenatsch, der vermutlich mit dabei war, als im nahen Schloss Rietberg im Jahr 1621 der Pompejus von Planta ermordet wurde. Sechs Jahre später forderte Ruinelli «in erhitzter Weinlaune», wie es in den Chroniken heisst, seinen Freund Jenatsch in Chur zum Duell und wurde von diesem erstochen.

Nun war Ruinellis Schwester Perpetua an der Reihe. Durch ihre Heirat kam Baldenstein in die Familie der Rosenroll, welche durch An- und Umbauten dem Schloss seine heutige Form gaben.

Die Conrads gibt es auf dem Schloss «erst» seit rund 230 Jahren. Den direkten Vorfahren des heutigen Besitzers begegnet man im Arbeitszimmer, wo sich die Spuren der Zeiten auf herrlich chaotische Weise überlagern. Der erste war Ur-Ur-Ur-Grossvater Francesco Conrad, der aus dem Veltlin stammend Schloss Baldenstein 1782 kaufte. Er war ein äusserst fähiger Geschäftsmann, aber auch politisch aktiv als Commissario von Chiavenna und Landvogt von Fürstenau. 1802 rang er bei Napoleon – vergeblich – um die Rückerstattung der beschlagnahmten Güter im Veltlin.

Francescos ältester Sohn wurde mit ganz anderen Fähigkeiten berühmt. Er war ein Naturforscher, begnadeter Zeichner und Begründer der alpinen Ornithologie. Er hatte einen einzigen Sohn, doch das unglückliche Fränzchen, dessen Bild uns im Arbeitszimmer so eigenartig berührt, starb schon mit sechs Jahren. Deshalb ging die Linie mit dem jüngeren Bruder Franz Dietegen weiter; der Ornithologe wird bis heute in der Familie nur der «Onkel Thomas» genannt.

Doch auch die Frauen dürfen nicht vergessen werden. Da ist etwa «die Tante». Der Ur-Grossvater Andreas Conrads – seines Zeichens Regierungsrat und vieles mehr – war mit einer von Salis-Marschlins verheiratet. Deren jüngere Schwester Meta war die erste promovierte Historikerin der Schweiz, Frauenrechtlerin und Nietzsche-Freundin. Die zwei Wappen, die vom Hof aus neben dem Eingang zu sehen sind, verweisen aber auf zwei andere starke Frauenfiguren: Alma Vital, die Grossmutter Conrads sowie seine heute meist auf Gran Canaria lebende Mutter Laetitia. Und bald soll noch ein drittes dazukommen; das Wappen von Ni Ketut Temon hat ein balinesischer Künstler gestaltet. Es wartet jetzt im grossen Saal neben den im Winter eingestellten Gartenmöbeln und den Eishockeyausrüstungen der Söhne auf die Einsetzung.

Die weiteren Schlösser mit allen Bildern hier im Dossier.

Ruth Spitzenpfeil ist Kulturredaktorin der «Südostschweiz» und betreut mit einem kleinen Pensum auch regionale Themen, die sich nicht selten um historische Bauten drehen. Die Wahl-St.-Moritzerin entschloss sich nach einer langen Karriere in der Zürcher Medienwelt 2017, ihr Tätigkeitsfeld ganz nach Graubünden zu verlegen. Mehr Infos

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