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«Erinnerungen kostbarer als Gegenstände»

Lucia Studerus Widmer aus Kempraten bezeichnet sich selber als leidenschaftliche Sammlerin. Ihr Schmuckstück ist klein und unscheinbar, aber es erzählt eine unerhört welthaltige Geschichte.

Linth-Zeitung
18.11.18 - 04:34 Uhr
Leben & Freizeit
Eine persische Silberdose ist Lucia Studerus' Schmuckstück.
Eine persische Silberdose ist Lucia Studerus' Schmuckstück.
ELVIRA JÄGER

von Elvira Jäger

Worum handelt es sich bei Ihrem Schmuckstück?
Es ist eine kleine Silberdose aus Persien. Ich habe sie vor vielen Jahren von einer Schulfreundin geschenkt bekommen. In den Jahren 1976/77 besuchten wir gemeinsam die Handelsschule. Die Freundin hiess Fariba Yaftabadi und stammte aus Teheran. Wir haben uns rasch angefreundet und machten jeweils am Mittwochnachmittag zusammen Hausaufgaben.


Wie ging es mit dieser Freundschaft nach der Handelsschule weiter?
Die Familie kehrte in den Iran zurück, und unser Kontakt brach während der iranischen Revolution ab.


Wissen Sie etwas über die Gründe, warum Ihre Freundin Ihnen gerade dieses Silberdöschen geschenkt hat?
Ich hatte damals ein Medaillon, das man aufklappen konnte, und darin war ein Foto von meinem damaligen Freund und heutigen Mann. Das hat Fariba sehr fasziniert; gleichzeitig war sie auch etwas irritiert darüber, wie frei ich meinen Freund auswählen konnte. Ich habe in jenem Jahr erlebt, wie sie sich mehr und mehr von ihren Traditionen gelöst und «modernisiert» hat. Vielleicht war das Geschenk ein Symbol dafür.


Was ist auf dem Deckel der Dose zu sehen?
Leider kann man das ursprüngliche Motiv, eine persische Miniatur mit zwei Reitern, nicht mehr erkennen. Auch der Spiegel, der innen angebracht war, ist kaputt. Mir wurde nämlich die Handtasche und damit auch die Dose gestohlen. Glücklicherweise wurde beides wieder gefunden, aber jemand ist offensichtlich darauf herumgetrampelt und hat die Dose ziemlich zerstört.


Haben Sie sie flicken lassen?
Ja, Walter Mörgeli, Goldschmied im Atelier Domeisen, hat sie wieder hergestellt, so gut es ging.


Haben Sie Ihre Freundin Fariba je wiedergesehen?
Nein. Aber vor vier Jahren geschah das Unglaubliche: Mein Telefon klingelte, und sie war dran. Sie rief aus dem Iran an, wo sie meine Telefonnummer gesucht und gefunden hatte. Ich habe ja meinen Namen bei der Heirat behalten, und es gibt wohl nur eine Lucia Studerus in der Schweiz.


Werden Sie sich treffen?
Fariba möchte, dass ich sie besuche, aber der Iran gehört nicht gerade zu meinen bevorzugten Reisezielen. Wir tauschen einstweilen Mails und Fotos aus.


Was bedeutet Ihnen die Dose heute?
Sie zeigt mir, dass Erinnerungen kostbarer sind als Gegenstände. Vielleicht hat das mit dem Älterwerden zu tun, das ja immer auch Abschiednehmen bedeutet. Beim Abschied von einem geliebten Menschen oder in anderen schwierigen Situationen merkt man, wie kostbar Erinnerungen sind.


Woher kommt Ihre Sammelleidenschaft?
Sicher zum Teil von meiner Mutter. Sie hat vieles aufbewahrt, was für mich heute sehr wichtig ist. Für die Zeit nach ihrem Tod hatte sie für jedes von uns Geschwistern Couverts mit persönlichen Erinnerungsstücken vorbereitet. Das waren etwa erste Briefe von uns Kindern oder Zeitungsausschnitte. Zeugnisse, die einen Teil unseres Lebens dokumentieren.


Machen Sie das für Ihre Tochter auch?
Ja, meine Tochter wünscht sich ausdrücklich, dass ich möglichst alles von ihr aufbewahre.

Lucia Studerus Widmer wurde 1960 in Einsiedeln geboren und ist gelernte Buchhändlerin. Fast 29 Jahre lang war sie Leiterin der Stadtbibliothek, und seit über 30 Jahren führt sie in der Rapperswiler Altstadt ein eigenes Rahmenatelier, die Galerie im Bild. Lucia Studerus ist verheiratet und hat eine Tochter. Sie wohnt in Kempraten.

Jedes Wochenende stellen hier mehr oder weniger bekannte Persönlichkeiten aus der Region ihren Lieblingsgegenstand – sozusagen ihr Schmuckstück – vor.

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