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Arm, aber selbstbestimmt

Frédéric Zwicker, Kolumnist der «Linth-Zeitung», äussert sich zur kommenden Abstimmung.

Linth-Zeitung
13.11.18 - 12:28 Uhr
Leben & Freizeit
Kolumnist Frédéric Zwicker über die Selbstbestimmungsinitiative.
Kolumnist Frédéric Zwicker über die Selbstbestimmungsinitiative.
PRESSEBILD

Wir Schweizer sind wichtig. Wahrscheinlich sind wir die Wichtigsten auf der Welt. Was heisst da wahrscheinlich? Immerhin sind wir die Reichsten auf der Welt. Vielleicht würden die Polen oder die Guatemalteken oder die Isländer von sich selber ebenfalls behaupten, sie seien die Wichtigsten. Aber sie lägen damit falsch. Geht ja gar nicht, wenn wir Schweizer schon die Wichtigsten sind. Nicht nur, aber ein bisschen durchaus auch, weil wir die Reichsten von allen sind. Denn zu den Reichsten wird man bekanntlich nur, wenn man alles richtig macht. Keine Frage. Und wenn man alles schön richtig macht, will man nicht, dass einem jemand anderes sagt, was man zu tun hat. Wäre ja noch schöner.

Deshalb also die Selbstbestimmungsinitiative. Frau Martullo sagte in der «Arena», kein anderes Land stelle internationales vor nationales Recht. Sie verschwieg dabei zwar, dass Länder wie beispielsweise Deutschland, Frankreich oder Österreich im Gegensatz zur Schweiz über ein Verfassungsgericht verfügen, welches geplante Bundesgesetze auf ihre Verträglichkeit mit der Verfassung prüft. In diesen Ländern könnten also keine Gesetze verabschiedet werden, die mit der Verfassung und damit mit abgeschlossenen Völkerrechtsverträgen kollidieren, wie das in der Schweiz in jüngerer Vergangenheit geschehen ist. Aber Frau Martullo darf selbst bestimmen, was sie sagt und was sie nicht sagt.

«Früh übe sich, wer Bürger eines selbstbestimmten Landes werden will!»

Wir Schweizer sind die Wichtigsten. So viel ist klar. Aber noch wichtiger als wir Schweizer für uns Schweizer sind ja eigentlich wir St. Galler für uns St. Galler, sind die Glarner für die Glarner, die Rapperswil-Joner für sich und die Molliserinnen für die Molliserinnen. Wieso also bei der Selbstbestimmungsinitiative Halt machen? Wieso nicht kantonales Recht über Bundesrecht, Gemeinderecht über Kantonsrecht, individuelles Recht über Gemeinderecht? Wieso eigentlich nicht das Recht des jüngsten Familienmitgliedes über das der älteren? Früh übe sich, wer Bürger eines selbstbestimmten Landes werden will!

Die Befürworter sagen, die Selbstbestimmungsinitiative bewahre uns vor der EU. Das ist zwar frei erfunden, denn über einen EU-Beitritt wird immer zwingend das Volk abstimmen müssen, weil jeder Beitritt zu einer supranationalen Gemeinschaft dem obligatorischen Referendum unterliegt. Aber wen kümmerts? Wir wollen mehr Selbstbestimmtheit!

Mehrere unabhängige Untersuchungen kommen zum Schluss, die Selbstbestimmungsinitiative fördere Rechtsunsicherheit und schade damit der Wirtschaft. Wir würden uns mit der Initiative das Recht verschaffen, Verträge zu brechen, die wir abgeschlossen haben. Wäre das nicht toll? Wir Schweizer sind ohne die Selbstbestimmungsinitiative zu den Reichsten der Welt geworden. Wenn wir sie annehmen, werden wir ärmer. Na und? Die selbstbestimmte Armut ist zweifellos die edelste Armut!

Kontaktieren Sie unseren Autor zum Thema: redaktion@linthzeitung.ch

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