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Der Zürichsee wird die Sommerwärme nicht mehr los

Der Zürichsee hat sich in den vergangenen Jahren vor allem in der oberen Wasserschicht massiv erwärmt. Besonders deutlich wird diese Entwicklung im Herbst. Die ökologischen Auswirkungen sind problematisch.

Linth-Zeitung
01.11.18 - 15:00 Uhr
Leben & Freizeit
Am Beispiel des Zürichsees wird die Klimaerwärmung auf drastische Weise sichtbar.
Am Beispiel des Zürichsees wird die Klimaerwärmung auf drastische Weise sichtbar.
SABINE ROCK

von Martin Steinegger

Der Langzeittrend der Wassertemperatur im Zürichsee ist verrückt», sagt Thomas Posch. Der Professor erforscht an der Limnologischen Station der Universität Zürich in Kilchberg die ökologischen Prozesse im Zürichsee. Und ihm gefällt nicht, was sich seit einigen Jahren unter der Wasseroberfläche abspielt.

«In diesem Sommer konnten wir Ende August in einer Tiefe von zehn Metern eine Wassertemperatur von 25 Grad messen – das ist Rekord», sagt Posch. Und 2018 war kein statistischer Ausreisser. Neuste Daten des Zürcher Amtes für Abfall, Wasser, Energie und Luft (Awel) zeigen, dass die durchschnittliche Wassertemperatur des Sees seit den 1930er-Jahren kontinuierlich ansteigt. Betroffen davon ist vor allem die oberste Wasserschicht bis in eine Tiefe von rund 20 Metern.

Bald baden in den Herbstferien?

Besonders deutlich wird die Erwärmung im Herbst. In der Zeit zwischen 1950 und 1979 betrug die Durchschnittstemperatur des Sees im Oktober in fünf Metern Tiefe 14,5 Grad. In der Messreihe 2000 bis 2017 beträgt dieser Wert 16,9 Grad. Das Seewasser hat sich in besagter Tiefe also im Schnitt um rund 2,5 Grad erwärmt.

«Badebetrieb am Zürichsee in den Herbstferien» lautet der Titel der am Mittwoch vom Awel veröffentlichten Langzeitstudie. Völlig unrealistisch ist das nicht. Wenn sich der Erwärmungstrend in gleicher Weise fortsetzt, sind Badewassertemperaturen im Zürichsee in den Herbstferien schon in absehbarer Zukunft vorstellbar.

Was Badende freuen dürfte, ist aus ökologischer Sicht hochproblematisch. Seen sind träge Systeme. Das heisst: Temperaturveränderungen laufen stets verzögert zum Wetter ab. Ab September nimmt der See keine weitere Wärme auf, sondern er gibt Wärme an die Umgebung ab. Deshalb komme es im Winter jeweils auch zum speziellen Mikroklima am Zürichsee, sagt Posch. In der kalten Jahreszeit sorgt der warme See dafür, dass die Temperaturen im Uferbereich je nach Wetterlage bis zu 3 Grad höher liegen als im Umland. «Die oberste Wasserschicht wirkt wie eine riesige Batterie», so Posch.

Zudem ist die warme Wasserschicht auch ein schwer zu knackendes Bollwerk. «Ist der See einmal so erwärmt, schleppt sich das oftmals weit in den Winter hinein», erklärt Thomas Posch. Je wärmer der See im Herbst ist, desto schlechter durchmischen sich die Wassermassen im Frühjahr.

Durchmischung ist lebenswichtig

Eine gute und regelmässige Durchmischung ist aber für das Leben im See äusserst wichtig. Auf diese Weise gelangt Phosphat an die Oberfläche und Sauerstoff in die Tiefe. Dadurch wird das Wachstum von typischen Frühjahrsalgen wie Kieselalgen ermöglicht. Diese stellen eine gute Futterbasis für Wasserflöhe dar – die wiederum eine wichtige Nahrung für die Fische sind.

Kommt dieser Prozess nun ins Stocken, hat das negative Konsequenzen auf das ganze Ökosystem. Als Beispiel die Fische: Ihr potenzieller Lebensraum wird reduziert, da es in den tieferen Schichten nicht mehr genug Sauerstoff und in den oberen Schichten weniger Nahrung hat.

Es gibt jedoch auch Profiteure der Erwärmung. Ein Beispiel ist die Burgunderblutalge. Diese Alge, die streng genommen ein Bakterium ist, gedeiht vor allem in den oberen Wasserschichten, wo sie immer wieder in Form von roten, schlierigen Teppichen zu sehen ist. Die Burgunderblutalge stirbt ab, wenn sie im Winter im Rahmen der Zirkulation in tiefere Schichten transportiert wird.

Geschieht dies nicht oder weniger ausgeprägt, können diese Algen im Frühling zu einer dominierenden Art werden und andere Algen verdrängen. Da die Burgunderblutalge Gifte bildet, wird sie von Kleinstlebewesen als Nahrung verschmäht – was wiederum zulasten der Fische geht.

Verantwortlich für den Anstieg der Wassertemperaturen im Zürichsee ist die Erwärmung des Klimas. Daran gibt es gemäss Thomas Posch keinen Zweifel. Er wisse, dass viele Menschen nicht an den Klimawandel glaubten. «Unsere Datensätze zeigen aber, dass wir derzeit wirklich einen Klimawandel haben – der Wandel bei den Wassertemperaturen ist einfach ein Faktum», sagt der Wissenschaftler.

Durchatmen dank Kälteperiode

Immerhin: Im Winter 2017/18 hatte der Zürichsee erstmals seit mehreren Jahren wieder einmal eine gute Durchmischung. Dies dank der Kälteperiode im März und Februar. Aus Sicht des Sees – und der Lebewesen darin – ist also zu hoffen, dass der bevorstehende Winter zumindest die eine oder andere ausgeprägte Kälteperiode haben wird. Das beeinflusst zwar den langfristigen Erwärmungstrend nicht. Für die Lebewesen im See böte ein erneut kalter Winter jedoch Gelegenheit zum Durchatmen – im wahrsten Sinne des Wortes.

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