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Mit Lockstoffen auf Käferfang

Er ist klein und gefrässig: Der «Stinkkäfer» aus China, die Marmorierte Baumwanze, fällt mit Vorliebe über Obstbäume her. Mit Fallen wollen Experten ergründen, ob die Schädlinge auch im Linthgebiet heimisch sind. Auf dem Joner Bächlihof will man auf die Plagegeister vorbereitet sein.

Linth-Zeitung
10.10.18 - 04:33 Uhr
Leben & Freizeit
Vorsorge: Obstbauer Stefan Bächli zeigt eine Falle für die Marmorierte Baumwanze.
Vorsorge: Obstbauer Stefan Bächli zeigt eine Falle für die Marmorierte Baumwanze.
BILD MARKUS TIMO RÜEGG

von Ramona Nock

Wie eine Laterne hängt sie inmitten grüner Zweige. Doch was da so unscheinbar in den Birnbäumen baumelt, ist eine Falle. Sie soll Schädlinge anlocken – und zwar jene, die derzeit bei Obstbauern zuoberst auf der roten Liste stehen. Die Rede ist von den Marmorierten Baumwanzen, im Fachjargon «Halyomorpha halys» genannt. Die daumennagelgrossen Tierchen fallen mit Vorliebe über Obstbäume her. Vor allem Birnen-, Äpfel-, und Zwetschgenbäume stehen auf ihrem Speiseplan.

Bei Stefan Bächli in Jona sind es die Williamsbirnen, die als Standort für die Falle ausgesucht wurden. Duftstoffe, sogenannte Pheromone, sollen den aus China eingeschleppten Schädling anlocken. «Es geht darum, herauszufinden, ob sich die Marmorierte Baumwanze bereits irgendwo bei uns in der Obstanlage tummelt», sagt Bächli. Bislang hat er Glück gehabt: Höchstens ein paar Spinnen haben sich in der Falle verirrt. Trotzdem macht Bächli regelmässig Kontrollgänge. Denn der Schädling aus China, der sich von Zürich aus auszubreiten droht, sei durchaus ernst zu nehmen.

Die Falle auf Bächlis Anlage ist Teil eines kantonsweiten Monitorings, das diesen Sommer gestartet ist. Koordiniert wird es von der Forschungsanstalt Agroscope. An vier Standorten im Kanton St. Gallen sollen die Fallen Auskunft darüber geben, ob und in welchem Ausmass die Marmorierte Baumwanze auf dem Vormarsch ist. Nebst Rapperswil-Jona gehören Obstanlagen in Bad Ragaz, Steinach und Flawil zu den ausgewählten Betrieben.

Nicht zu früh aufatmen

Eine erste Zwischenbilanz fällt positiv aus: «Sowohl direkt in den Fallen als auch in der unmittelbaren Umgebung wurden über den Sommer keine Marmorierten Baumwanzen gesichtet», sagt Richard Hollenstein vom Landwirtschaftlichen Zentrum Flawil. Auch haben ihn seither keine Meldungen von St. Galler Obstbauern erreicht, bei denen der Schädling die Früchte befallen hat. «Eine gute Nachricht», sagt er, vor allem im Hinblick auf den warmen Sommer. Dieser war für die Baumwanzen nämlich ideal, um sich zu vermehren. Dass bisher keine grossen Käferpopulationen gesichtet wurden, heisse aber nicht, dass der Schädling im Kanton noch nicht angekommen sei, sagt Hollenstein. Denn dass sie sich auch in hiesigen Betrieben bemerkbar macht, ist laut dem Fachmann «eine Frage der Zeit». Das Monitoring sei eine präventive Massnahme, um den Schädling im Auge zu haben – und mehr über ihn zu erfahren.

Der «blinde Passagier»

Die Marmorierte Baumwanze trat bisher vor allem im Grossraum Zürich auf. Dort sorgte sie letztes Jahr erstmals für wirtschaftlich relevante Schäden auf grossen Obstanlagen. Seither haben die Obstbauern schweizweit ein neues «Schreckgespenst». «Schuld» ist der Chinagarten in Zürich: Dorthin gelangte das gefrässige Tierchen, als Ende der 90er-Jahre eine Fracht Ziegelsteine aus China eintraf. Mit an Bord: der Stinkkäfer als blinder Passagier. Seither hat sich der Schädling kontinuierlich ausgebreitet: 2017 war das erste Jahr, in dem er in grosser Zahl aufgetreten ist.

Und das zeigt sich so: Die Früchte, an denen sich die Marmorierte Baumwanze festsaugt, bekommen Dellen, verkümmern und taugen bestenfalls noch als Mostobst. Denn die Wanzen stechen die reifenden Früchte an, injizieren über den Saugrüssel eine Flüssigkeit – und saugen dann den Saft ab. Die Krux an den Schäden: Sie sehen anderen Baumkrankheiten zum Verwechseln ähnlich. So können die Dellen bei Birnen auch ein Hinweis auf Birnensteinigkeit, eine Viruskrankheit, sein.

Schädling macht hilflos

Was die Marmorierte Baumwanze anrichten kann, davon hat sich Bächli gleich selbst ein Bild gemacht. Er hat betroffene Obstanlagen im Kanton Zürich besucht und sich über den «Neuling» informiert. «Man fühlt sich ein wenig hilflos, wenn eine Baumwanze solche Schäden anrichten kann», sagt er. «Der Ertrag auf der Obstanlage ist schliesslich unser Lohn.»

Die Fallen auf dem Bächlihof und den anderen Obstanlagen sollen noch ein, zwei Wochen hängen bleiben. Im nächsten Frühling sei eine Fortsetzung des Monitorings geplant, sagt Richard Hollenstein. Spätestens dann, so prognostiziert er, dürften sich die Schädlinge auch hierzulande blicken lassen.

Keine Gefahr geht von den «Stinkkäfern» im Winter aus: Dann nämlich verkriechen sie sich in Schlupflöchern und Kellerritzen. Ein strenger, kalter Winter, der einen Teil der Baumwanzen abtöten würde, wäre für die Obstbauern von Vorteil, sagt Hollenstein. Dass aber eine ganze Käferpopulation über die kalte Jahreszeit zugrunde gehe, sei eher unwahrscheinlich.

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