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Hiesige Stiftung bekämpft in Indien sexuelle Ausbeutung

Die Stiftung Usthi aus Rapperswil-Jona setzt sich für misshandelten Mädchen in Indien ein. Kein einfaches Unterfangen – denn auch Stiftungsmitarbeiter sind vor Gewaltdrohungen nicht gefeit.

Linth-Zeitung
03.10.18 - 04:33 Uhr
Leben & Freizeit

von Jérôme Stern

Die Stiftung Usthi aus Rapperswil-Jona setzt sich für Kinder und Frauen in Indien ein. Und das tut sie seit 40 Jahren erfolgreich. Seit der damalige Swissair-Captain Kurt Bürki angesichts der unsäglichen Lebensumstände der Strassenkinder in Kalkutta die Stiftung ins Leben gerufen hat, hat sie zwölf Schulen und Waisenhäuser gegründet. Weit über 30 000 Kindern konnte die Stiftung Ushti so eine Ausbildung und dadurch ein selbstständiges Leben ermöglichen (diese Zeitung berichtete mehrfach).

Gegen sexuelle Ausbeutung

Trotz des 40. Geburtstags war 2017 für die Stiftung und deren neue Geschäftsführerin Tanja Lirgg ein schwieriges Jahr. «Bei uns herrschte praktisch permanenter Ausnahmezustand», sagt Lirgg. «Es begann schon im Januar, als indische Behörden das Bankkonto für eines unserer Projekte blockierten.» Damit sei der Geldtransfer von der Schweiz zum indischen Partner unmöglich geworden. Sechs Monate habe es gedauert, bis Indien das Bankkonto wieder freigab.

«Mafiöse Strukturen und Verbrecher fürchten um ihre Einnahmequelle.»

Tanja Lirgg, Geschäftsführerin Stiftung Usthi

Alles andere als einfach ist auch das neueste Projekt der Stiftung, welches sie im vergangenen Jahr gestartet hat: Ziel des Vorhabens ist es, Mädchen und junge Frauen vor sexueller Ausbeutung und Menschenhandel zu schützen.

Dabei wird die Stiftung mit einer dunklen Seite der indischen Gesellschaft konfrontiert. Seit Hunderten von Jahren werden junge Mädchen von ihren eigenen Familien als Tempelsklavinnen verkauft. Einer Gottheit geweiht, werden die sogenannten «Devadasi» systematisch sexuell ausgebeutet. Zudem ist es ihnen verboten, zu heiraten oder eine Schule zu besuchen. Auch Menschenhändler haben bei diesen Praktiken ihre Finger im Spiel: Sie verkaufen die Mädchen aus den Tempeln an Bordelle oder Privathaushalte.

Gesetz wird ignoriert

Gegen diese Tradition anzugehen, sie nicht ungefährlich, betont Lirgg. «Denn dabei ist viel Geld im Spiel. Mafiöse Strukturen und organisierte Verbrecher fürchten um ihre Einnahmequellen.» Dabei sei der Brauch seit einigen Jahren offiziell verboten.

Bei ihrer Arbeit holte die Stiftung die «Devadasi» aus den Tempeln heraus oder sprach sie auf der Strasse an. 2017 hat die Stiftung 65 Mädchen in stiftungseigenen Waisenhäusern unterbringen können. «Dort werden die Opfer medizinisch und psychisch betreut», erklärt Lirgg. Da Usthi am gleichen Ort auch Berufsbildungsprogramme betreibe, könnten die Mädchen anschliessend diese Angebote nutzen.

Seit Hunderten von Jahren werden junge Mädchen in Indien von ihren Familien als Tempelsklavinnen verkauft. Einer Gottheit geweiht, werden dann die sogenannten «Devadasi» systematisch sexuell ausgebeutet.

Besonders positiv ist laut Lirgg der Umstand, dass die Mädchen in den Waisenhäusern auf andere Kinder treffen. «Die Kinder wissen nichts von der Vergangenheit der Mädchen und begegnen ihnen ohne vorgefasste Meinung.» Laut Lirgg sind solche Begegnungen für die traumatisierten Opfer sehr wertvoll. Denn für diese sei die Vergangenheit mit vielen Schamgefühlen verbunden. Es sei erfreulich, dass das neueste Usthi-Projekt schon jetzt gute Resultate bringe, so die Geschäftsleiterin: «Die Mädchen können relativ schnell wieder Fuss fassen.»

Geheim und weit weg

Zur Sicherheit der Mädchen werden diese möglichst weit weg von den Tempeln untergebracht. Wichtig sei, dass die Nachbarn nicht wüssten, woher die Mädchen stammten. Gleichwohl sei das Projekt in Hyderabad nicht ungefährlich, weil Racheakte durch Menschenhändler zu befürchten seien. «Wir haben beträchtlich hohe Mauern um die Waisenhäuser, zudem werden diese rund um die Uhr bewacht.» Die Drohungen, welche die Stiftung deswegen erhielt, haben sich zumindest bis jetzt als haltlos erwiesen.

Laut Lirgg wird die Anzahl der Tempelsklavinnen auf 250 000 geschätzt. «Diese Tradition wird trotz Verbot immer noch praktiziert. Auch heute werden ständig neue Mädchen in die Tempel verkauft.» Bei ihrem Projekt wird die Stiftung zwar «moralisch» durch die Behörden unterstützt. «Aber finanziell sind wir auf uns alleine gestellt.»

Jedes Schicksal ist wichtig

Stört sich Lirgg nicht an der Tatsache, dass ihre Stiftung mit dem Projekt nur einem verschwindend kleinen Prozentsatz der betroffenen Mädchen helfen kann? «Nein», sagt sie mit bestimmter Stimme. «Es ist immer noch besser als nichts dagegen zu tun.» Dann fügt Lirgg das Credo des Stiftungsgründers Kurt Bürki an: «Wir erreichen vielleicht nur einen kleinen Prozentsatz der Opfer. Aber für diejenigen beträgt der Erfolg dafür 100 Prozent.»

Die Finanzen der Stiftung Usthi
Im vergangenen Jahr wendete die Stiftung Usthi auf. Projektpartner vor Ort steuerten 17 Prozent zu den Gesamtkosten bei. So betragen diese zusammen mit den Kosten für das Fundraising 15 Prozent der Gesamtkosten. Der Gesamtertrag konnte im 40. Jahr des Bestehens um 7 Prozent aus 761 574 Franken gesteigert werden. Die Stiftung finanziert sich ausschliesslich durch Spendengelder aus privater und öffentlicher Hand.

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