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19 Kinder folgen den nächtlichen Spuren einer Kirchenmaus

19 Kinder verbringen eine Nacht in der Stadtkirche Glarus. Dort lauschen sie den vielen Geschichten, die die Kirchenmaus Linus zu erzählen hat.

Südostschweiz
27.08.18 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit

Von Natasha Lanz

Für ein paar Sekunden ist es ruhig in der Kirche. Gedämpft drängen die Geräusche des Sound of Glarus in das reformierte Gotteshaus. Auf die Frage: «Hört ihr das Sound of Glarus?», sind die 19 Kinder ruhig geworden und begannen zu lauschen. «Ich höre es!» , ruft eines der Kinder, und die Stille ist wieder vorbei.

Am Freitagabend um 18 Uhr versammeln sich 17 Kinder mit ihren Eltern bei der reformierten Kirche Glarus. Die Eltern tragen Schlafsäcke und Matten, während ihre Kinder sich bereits zueinander gesellen. Denn sie werden die ganze Nacht gemeinsam in der Kirche verbringen. Viele der Kinder kennen sich bereits gegenseitig, andere finden schnell Anschluss. Im Inneren werden sie von drei der Organisatorinnen begrüsst, die sie durch die Nacht begleiten werden. Drei Tische und ein kleines Buffet stehen bereit. Die Kinder und ihre Eltern bringen ihr Gepäck in die zugewiesenen Schlafplätze. Es sind zwei Balkone. Von oben kann man hinunter zur kleinen Orgel blicken.

Die meisten beginnen bereits mit dem Aufstellen ihrer Schlafplätze. Während die Eltern die Matten aufpumpen, prahlen die Kinder mit der Grösse ihrer Matten. Nach und nach versammeln sich die Kinder bei den Tischen. Von ihren Eltern haben sich die meisten schnell verabschiedet. Selbst die Jüngsten brauchen nicht lange. Die Vorfreude scheint das mögliche Heimweh zu überwiegen. Es sind aber noch nicht alle da. «Zwei kommen noch nach», sagt Dagmar Doll, Pfarrerin und eine der Organisatorinnen, als sich alle zur Begrüssung versammeln. Sie stellt auch die anderen Leiterinnen, Catherine Etter und Beatrix Künzli vor.

Direkt nach der Begrüssung beginnt das Abendessen. Zuerst muss aber geklärt werden, ob die vegetarischen Würste von einem der Mädchen im Wasser gekocht werden können. Doll und Künzli einigen sich auf Ja und beginnen mit dem Vorbereiten der Hotdogs und dem Verteilen des Gemüsedips. An den Tischen beginnen die Gespräche, und die Kinder lernen sich besser kennen. «Oh, es hat Elmer Citro! Ich liebe Citro», sagt Charlotte Freund zu ihrem Bruder Amadeus, als sie die Getränkeauswahl sieht. Das zugezogene Geschwisterpaar hat sich direkt in das Glarner Getränk verliebt.

Auf der Suche nach Geschichten

Nachdem alle ihren Hunger mit Hotdogs gestillt haben, beginnt die erste Aktivität. Alle stellen sich bei der kleinen Orgel in einen Kreis, wo sie eine Handpuppe in Form einer Maus begrüsst. «Hallo, ich bin Linus die Kirchenmaus», stellt sich die Maus vor. Die verfressene Maus erzählt von ihrem Alltag in der Kirche und schickt die Kinder auf einen kleinen Geschichtenparkour. Jedes Kind bekommt ein Lesezeichen mit einer anderen Farbe drauf. Basierend darauf werden sie in drei Gruppen eingeteilt. Die rote Gruppe beginnt mit der Geschichte bei der kleinen Orgel. Danach müssen sie aufgrund von Tipps die nächste Geschichte suchen. Bei der Orgel stellt Dagmar Doll die Fenster mit den Aposteln vor und lässt die Kinder die Pfarrkleidung ausprobieren, welche natürlich allen zu gross ist. Erst nachdem jeder mal Pfarrer sein durfte, beginnt sie mit der Geschichte eines stummen Pfarrers, der der Grund für die grimmigen Gesichtsausdrücke der Aposteln sei. Am Ende sendet sie die Kinder mit dem Tipp «sucht den Hundekorb» auf den Weg zu einem anderen Ort in der Kirche.

Die beiden anderen Geschichten drehen sich um Tiere. Zuerst liest Beatrix Künzli zusammen mit den Kindern das Tagebuch einer Hündin, die, nachdem sie verloren ging, zur Pfarrhündin wurde. Danach klettern die mutigen Abenteurer auf den Kirchturm, um im Gebälk die Fledermaus Rufus zu treffen. Während sie der Geschichte von Catherine Etter lauschen, erzählen sie auch ihr eigenen Begegnungen mit Fledermäusen.

Orgelklänge und Geisterstunde

Als Abschluss treffen sich alle drei Gruppen bei der grossen Orgel. Doll liest den versammelten Kindern die Geschichte von Ludwig und seinem Pompadonium, einem schrecklichen Instrument, das er spielen lernen muss. Nach der Geschichte (in der «Pompadonium» schnell mal zu «Pompadingsbums» wurde) durften die Kinder selbst mal ein schweres Instrument ausprobieren: die grosse Orgel. Immer zu dritt erfüllen sie die grosse Kirche mit ihrer «Musik».

Es ist etwa 23 Uhr, als alle Geschichten fertig sind. «Ihr habt 15 Minuten, um euch fürs Bett vorzubereiten», sagt Doll. Und so beginnt das Rennen zu den Badezimmern und das Vorbereiten der Schlafplätze. Nach schlafen ist den Kindern aber nicht zumute. Selbst die Sechsjährigen sind noch munter. «Warten wir, bis Geisterstunde ist!», sagt Frederik Doll, Sohn von Dagmar Doll, der ebenfalls in der Kirche schläft. Und so warten die Kinder. Die Lichter bleiben an, bis um Mitternacht die Glocken läuten. Nach und nach schlafen dann auch die muntersten Kinder ein. Aber nicht, bevor sie über den vergangenen Tag geredet haben.

Bereits um sieben Uhr sind aber fast alle wieder wach. Kaum aus den Schlafsäcken raus, rennen sie durch die Kirche und spielen bereits wieder Fangen. Offizielles Ende des Anlasses ist um 9 Uhr, also gibt es noch genug Zeit für Frühstück. Bei Cornflakes und Nutellabrötchen reden die Kinder und Leiterinnen über die vergangene Nacht. «Um Mitternacht gab es gar keinen Glockenschlag!» – «Vielleicht haben die Geister die Glocke angehalten.»

Für Doll war der Abend ein Erfolg. «Wir würden es gerne wieder einmal machen», sagt sie. Die Kirche füllt sich mit lauten Gesprächen, als die Eltern nach und nach kommen, um ihre Kinder abzuholen. Aufgeregt erzählen sie von ihren Erlebnissen, und es ist klar, dass die meisten gern wiederkommen würden.

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