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Er gibt dem Auto Stoff

Bei ihm stehen häufig Autos, die älter sind als er selber. Warum Autosattler Toni Nafzger ihnen so viel Zuwendung gibt und was er selber fährt.

Fridolin
Rast
22.07.18 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit

Er verzeiht ihnen gewisse Schwächen, ein bisschen gegen seine präzise Art. Toni Nafzger sagt bedächtig: «Ganz dicht sind sie ja nie.» Die Autos aus den 1950er-Jahren, besonders die britischen. Ist aber auch nicht so schlimm: «Denn am liebsten fahren die Engländer ihre Sportwagen auch bei Regen mit offenem Verdeck und stilecht in Belstaff-Jacke.»

Von Kinder- bis Sportwagen

Das bordeauxrote Cabriolet bei ihm in der Autosattlerei ist ein Jaguar XK 140 Drophead Coupé von 1955: «Dieses Bijou hat ein Autofan von Grund auf renoviert und pflegt es sehr. Da kommt etwas zusammen an Zeit- und Geldbedarf.» Nafzger hat im Zug der Renovation vor ein paar Jahren das Stoffverdeck erneuert. Nun braucht es hinten einen neuen Teppich – woher das Wasser kommt, ist unklar, weil ein solcher Oldtimer eben nie ganz dicht ist.

Nafzger arbeitet gern an Oldtimern – «und ich bin mit Jahrgang 1962 auch schon fast Oldtimer», sagt er: «Aber wir optimieren und reparieren öfters auch Töffsättel. Gelegentlich sogar Kinderwagen.» Ein Verdeck aus den 1950er Jahren wartet auf die Reparatur zwischendurch. «Das sieht originalgetreu aus, aber wenn der Wagen nicht nur ausgestellt würde, müsste ich es neu beziehen.»

Wie Phönix aus der Asche

Ein Bijou ist auch ein glänzend-taubenblau frisch lackierter VW Käfer von 1958. Der Blick durch die Öffnung ohne Heckscheibe zeigt Nafzgers Liebe zum Detail: Exakt parallel stehen der Türgriff und die Fensterkurbel an der Beifahrertür, leicht schräg nach hinten. Kein Wunder, kommen seine Kunden auch von weit her nach Ennenda.

«Dann denk ich: ‹Diese alten Engländer wieder ...›, doch oft sind auch es echt raffinierte Details.»

Die Heckscheibe wird Mitarbeiterin Sara Läderach montieren helfen müssen. Vorher haben sie den Interieurstoff über den Falz nach aussen angeklebt, das muss vor der Montage von Heckscheibe samt Gummidichtung sein. Nun reinigt Läderach nochmals die Türverkleidungen – Handarbeit mit Seifenlauge, Handwaschbürste und Tuch.

Der Käfer ist die Deluxe-Ausführung mit Teppich statt Gummimatte. Mit Faltdach samt aufwendigem Innenhimmel. Mit Winkern seitlich oben am Fahrzeug, bis 1960 statt der später üblichen Blinker eingebaut. «Der Eigentümer hat den Käfer von einer Ruine aus restauriert und in den originalen Zustand versetzt», erzählt Toni Nafzger über den Netstaler, der seit Jahrzehnten ein Käfer-Fan ist.

Während der Besitzer mit der Erfahrung aus früheren Restaurierungen viel geschweisst hat, hat der Autosattler die Sitze neu bezogen. Mit taubenblauem Originalstoff, der wieder produziert wird. Mit Schablonen, die er selber anfertigt, damit auch alles faltenfrei sitzt am Sitz. Und originalgetreu mit raffinierten Pfeifennähten, die exakt von der Rückenlehne in die Sitzfläche übergehen. Alles Handarbeit bis auf das Nähen auf einer Industrie-Sattler-Nähmaschine, die auch Leder nähen kann.

Sternschnuppenreiter

Nein, selber fährt Nafzger die kostbaren Stücke nur sehr selten, das überlässt er lieber den Eigentümern. In der Werkstatt schiebt er sie wenn nötig von Hand herum. «Ich habe Freude an der Arbeit daran, aber die Zeit reicht nicht für alles.» Und jeder Oldtimer hat ein Stück Eigenleben: «Das muss man kennen, und damit experimentieren will ich nicht.»

Nafzgers eigener Oldtimer ist ein britisches Motorrad. Eine 500er BSA A7 SS von 1962. «SS» wie Shooting Star oder Sternschnuppe. Früher hat er den Service selber gemacht, er war als Jugendlicher angefressen von der Töffmechaniker-Arbeit und hat sie als Hobby behalten. Mit einem BMW-Motorrad von 1989 ist er 140 000 Kilometer gefahren: «Ein guter Reisetöff und bis auf die Zündung noch mechanisch wie die BSA.» Auch die BMW steht noch in der Werkstatt, und auch da kann man eben noch selber schrauben: «Der Aufbau ist nachvollziehbar.»

Wie bei den Oldtimern, wo auch viel Handarbeit in der Produktion steckt. Damals habe man sich für die Details noch Zeit nehmen können, sinniert er: «Nur schon für das Interieur des Käfers, der ja kein Luxusauto war.» Wobei ... manchmal seien die Details von damals auch ein Murks. «Dann denk ich: ‹Diese alten Engländer wieder ...›, doch dann wieder sind es wirklich raffiniert ausgedachte Details.»

Diese Arbeit mit den Händen ist es, was ihn fasziniert. «Ich sehe am Abend mein Tagwerk, und die Freude der Kunden ist Teil meines Lohnes.» Muss auch, da blickt Nafzger nüchtern auf die Zahlen unter dem Strich. Wirklich alle Arbeitsstunden zu verrechnen, das sei ein wenig eine Traumvorstellung. Auch, weil die Konkurrenz unter den Autosattlern recht gross sei.

Vive la France

Der dritte Oldtimer in der «Autosattlerei Nafzger» ist eine Citroën 11 Légère von 1939. «La Traction», so genannt wegen ihres damals revolutionären Frontantriebs, tönt fast genauso wie L’attraction. Eine echte Attraktion, sogar zu mieten bei Familie Van Sprundel im Rhodannenberg im Klöntal, allerdings immer mit Fahrer. Picobello restauriert ist auch die 11 Légère, doch ihre Garage war zu wenig mäusesicher. So muss Toni Nafzger den Dachhimmel aus kamelhaarfarbener Wolle von Grund auf erneuern.

«Ein wunderbares Material», sagt er, der auch mit Widerspenstigerem zu tun hat. Etwa mit Wachstuch, das er originalgetreu für Autos aus den 1930ern verwendet. «Mit dem brettigen Stoff Rundungen perfekt anzupassen ist schon ein Kunstwerk», sagt Nafzger. Das Kunstleder der 1950er lässt sich immerhin mit dem Heissluftföhn wärmen.

Es leben Ennenda und Kanada

Als er die Lehre gemacht hat, hat der Autosattler-Beruf bereits offiziell Carrosseriesattler geheissen, und er hat ihn in einer kleinen Werkstatt in Bern gelernt. Von der Autosattlerei Bühlmann in Bern Bümpliz war die berühmte Gangloff mit ihren Cars, Bussen und Bergbahnen nicht weit. Sein Lehrmeister in Bern ist bald 80, und er hilft der Tochter immer noch im Betrieb. Auch Nafzger sagt, er werde wohl über die 65 hinaus arbeiten. Vielleicht einmal unter Regie von Sara Läderach, die vor Jahren bei ihm gelernt hat: «Das wäre schön, wenn es so weiterginge.»

Fünf Lehrlinge hat er seit 1993 ausgebildet, und die Chemie habe immer gestimmt, auch wenn die Jugendlichen in der Zeit schwierige Phasen durchmachen könnten. Aber heute müssen sie nach Zofingen in die Schule und werden «Fachmann/-frau Textil und Leder, Fachrichtung Fahrzeuge». Das lässt ihn zweifeln, ob er noch einen sechsten ausbildet.

«Dazu gekommen bin ich zufällig», erzählt er. Hat mit seinem sechs Jahre älteren Bruder einen Töffausflug nach Steffisburg gemacht. Und dort hat ihn der Gewerbeschullehrer seines Bruders Hansruedi zu einer Schnupperlehre eingeladen. Hansruedi kam der Liebe wegen ins Glarnerland, und Toni hat ihm ausgeholfen, als er ins Spital musste. Toni blieb, «und als Hansruedi nach Kanada auswanderte, habe ich den Betrieb 1993 übernommen». Aufgewachsen ist er in Roggwil BE, doch nach 36 Jahren zieht es ihn nicht zurück: «Ich lebe an einem schönen Ort.» Einziger Nachteil sei die Strasse ins Glarnerland: «Wenn die Kunden am Feierabend Zeit haben, ist sie verstopft und der Weg zu mir umso länger.»

Freuden und Leiden eines Profis

Die Freude, wenn er die Vorstellungen der Kunden erfüllen kann, hat sich Toni Nafzger erhalten. Ja, ein ruhiger Typ sei er, aber manchmal nur äusserlich. Denn einen gewissen Ärger hat er gelegentlich auch. Über «nicht so erfreuliche» Reparaturen, wenn Kunden den Preis nicht zahlen wollen, der für Arbeit nach seinen Qualitätsvorstellungen nötig ist. Oder wenn Sprüche kommen wie: «Wenn ich Zeit hätte, hätte ich es selber gemacht.»

Wenn er Zeit hat neben der Arbeit, macht Nafzger mit seiner Freundin Ausfahrten auf dem Töff. Oder er setzt sich aufs Bike oder steht aufs Surfbrett. Fit bleiben will er ja auch. Ferien machen die beiden im Spätsommer oder Herbst, wenn seine Kunden mit dem Oldtimer reisen. Und nicht im Frühling, wenn sie ihn aus der Garage holen und dabei Arbeit für den Autosattler entdecken.

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