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«Mein Herz schlägt für Brasilien»

Die Brasilianerin Magna Ammann lebt seit 22 Jahren in der Schweiz. Die Freude am Fussball haben ihre vier Brüder ihr schon früh genommen. Beim Spiel Schweiz – Brasilien wird sie trotzdem mitfiebern.

28.06.18 - 22:04 Uhr
Leben & Freizeit
Fest unter Freunden: Magna Ammann (3. von links) und ihre Freundinnen werden morgen mit Brasilien mitfiebern.
Fest unter Freunden: Magna Ammann (3. von links) und ihre Freundinnen werden morgen mit Brasilien mitfiebern.
DANIEL GRAF

Beim Aufstieg zur Schmerkner Rebhaldenstrasse ist das Kinderlachen schon von Weitem zu hören. Magna Ammann hat zum Fest geladen, gekommen sind vier brasilianische Freundinnen und eine ganze Kinderschar. Sie toben durch den Garten und spielen auf dem Riesentrampolin der Nachbarn.

Die Mütter hantieren derweil in der Küche, aus der es schon verführerisch riecht. Das Kochen macht den Frauen sichtlich Spass, eine erste Flasche Weisswein steht bereit und es wird viel geplaudert. Dass die Zubereitung des Menüs etwas länger dauert, stört niemanden. «Im Beruf kann ich durchaus pünktlich sein, aber in der Freizeit nehme ich es auch nach 20 Jahren in der Schweiz noch immer gelassen. So sind wir Brasilianer nun einmal», sagt Ammann und lacht.

«Wo sind die Strassenkinder?»

Genau genommen sind schon 22 Jahre vergangen, seit die 40-Jährige aus dem Norden Brasiliens in die Schweiz gekommen ist. An den Tag ihrer Ankunft erinnert sie sich noch, als wäre es gestern gewesen: «Das war am 11. Januar 1996 und draussen war es minus elf Grad kalt.» Die Kälte und der Schnee seien allerdings nicht das Erste gewesen, das ihr aufgefallen ist. Als ihr Mann Samuel sie auf dem Weg ins toggenburgische Starkenbach, wo er damals gelebt hat, auf den Schnee aufmerksam machte, erwiderte sie abwesend: «Ja, ich sehe es. Aber wo sind die Strassenkinder?»

In ihrer Heimat gab es davon viele. «Und vor 20 Jahren wussten wir in Brasilien noch kaum etwas vom Rest der Welt.» Dass es Orte gibt, an denen niemand auf der Strasse lebt, wäre ihr damals nicht in den Sinn gekommen.

Mit den Gepflogenheiten in der Schweiz vertraut gemacht hat sie ihr Mann. «Wir lernten uns in einem Schweizer Restaurant in Brasilien kennen, wo ich neben meinem Job als Zahnarztgehilfin im Service arbeitete, um mir Geld für die Autoprüfung zu verdienen.» Samuel Ammann arbeitete in dieser Zeit als Monteur in der Textilbranche und war beruflich in Brasilien. Zwischen den zweien funkte es schnell und schon ein halbes Jahr später entschieden sie sich, in die Schweiz zu ziehen. «Damals war ich bereits mit unserer ersten Tochter Jeannine schwanger, die dieses Jahr 22 wird», erinnert sich Ammann.

Die Heimat zu verlassen, sei ihr schwergefallen. «Wäre ich noch nicht schwanger gewesen, hätten wir uns vielleicht etwas mehr Zeit genommen.» Rückblickend sei ihr das halbe Jahr wie ein Traum vorgekommen. «Und als ich aufwachte, war ich in einem Dorf mit ein paar Häusern und zwei Restaurants im Toggenburg.» Sechs Jahre hielt sie es da aus, doch dann wurde es der temperamentvollen Brasilianerin zu langweilig: «Ich sagte meinem Mann, dass ich mehr Action brauche, und so zogen wir nach Tuggen.»

Sieben Stunden am Tag büffeln

Das Essen ist mittlerweile fertig, stolz präsentieren die Köchinnen ihr Werk auf dem mit brasilianischen Flaggen geschmückten Küchentisch: Feijoada, Farofa und Covi heissen die Leckereien, dazu gibt es Reis (Rezept siehe Infokasten). Eine weitere Flasche Wein wird entkorkt, die Frauen haben sich für den Festschmaus den Nachmittag freigenommen.

Nach ihrer Ankunft in der Schweiz habe Ammann täglich sechs bis sieben Stunden Deutsch gebüffelt. «Erst im Selbststudium, nach einem Jahr dann an einer Sprachschule.» Wer die Sprache nicht spricht, habe Mühe, sich zu integrieren. «Auch die Kommunikation mit meinem Mann war nicht immer einfach.» Trotzdem habe sie einen herzlichen Empfang erlebt.

Damit das Heimweh sie nicht zerriss, reiste das Paar am Anfang jedes Jahr mindestens einmal nach Brasilien. «Doch irgendwann wollten wir auch etwas anderes sehen und so wechselten sich Brasilien und europäische Destinationen ab.» Mit dem Kauf des Grundstücks an der Rebhaldenstrasse und dem Hausbau sei das Reisen dann auch finanziell nicht mehr so oft dringelegen. «Mittlerweile habe ich meine Familie in Brasilien schon seit drei Jahren nicht mehr besucht.» Doch dank Smartphones und Internettelefonie sei es inzwischen einfacher, dem Heimweh entgegenzuwirken.

Auch heute gibt es noch Dinge, die Ammann aus ihrer Heimat vermisst. «Die Leute haben zwar viel weniger Besitztümer und viel mehr Probleme. Trotzdem sind die Lebensfreude, die Hilfsbereitschaft und die Freude am Feiern in Brasilien viel ausgeprägter als in der Schweiz.» Hier ist sie dafür sehr dankbar für das funktionierende Staatswesen: «Die Strassen, das Gesundheits- und Sozialwesen, die Schule, der öffentliche Verkehr – in der Schweiz funktioniert einfach alles.» Klar bezahle man viel Steuern. «Dass muss man in Brasilien aber auch. Im Gegensatz zur Schweiz bekommen die Brasilianer vom Staat aber kaum etwas zurück.» Der perfekte Ort, um zu Leben, wäre für Ammann eine Kombination der beiden Länder. «Aber mit dem Wetter von Brasilien», sagt sie und lacht.

Herz schlägt für die Seleção

Beim Essen herrscht – aus Schweizer Sicht – heilloses Durcheinander. Es wird auf Portugiesisch und Deutsch geschwatzt, gelacht und getrunken. Die Speisen schmecken hervorragend. Fussball ist ein nebensächliches Thema. «Brasilien ist absolut fussballverrückt. Mir haben jedoch meine vier Brüder den Spass daran schon früh genommen», sagt Ammann. In ihrem Elternhaus habe es nur einen Fernseher gegeben. «Ich war zwar die Zweitälteste, aber wenn es ums Fernsehen ging, hatte ich keine Chance», sagt sie und lacht erneut. Fast Tag und Nacht sei Fussball gelaufen. «Das machte das Schlafen oder Lernen nicht einfacher.»

Lediglich wenn es um die Seleção geht, die brasilianische Nati, ist auch Ammann Feuer und Flamme. «Leider habe ich noch nie ein Spiel im Stadion gesehen.» Doch so, wie die Spiele in Brasilien in den Public Viewings auf der Strasse gefeiert würden, sei das auch gar nicht nötig. «Da ist die Stimmung genauso gut wie im Stadion», ist sie überzeugt.

Trotzdem würde sie das Live-Spiel gerne einmal noch nachholen. «Am liebsten gegen die Schweiz, dann könnte ich meine Herzensmannschaft Brasilien unterstützen, wäre aber auch nicht so traurig, wenn wir verlieren.» So wird es Ammann auch morgen Sonntag, 17. Juni, im ersten Gruppenspiel der Schweiz ergehen. Anpfiff ist um 20 Uhr.

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