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Die Neu-Glarner sind auch Alt-Glarner

Die Feuerwehr von New Glarus, USA, besucht das Glarnerland. Ihre Wurzeln machen die Amerikaner zu einer Touristengruppe, bei der ein Erinnerungsbild mehr ist als nur ein Bild.

Sebastian
Dürst
31.03.18 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit

Am Gründonnerstag ist der Himmel über Elm wolkenverhangen. Es ist so trist, dass man nicht einmal die Berge rund um das Dorf sieht. Tourguide Toni ist enttäuscht: Er wollte der Touristengruppe aus den USA doch so gerne am echten Objekt erklären, was das Besondere an der Tektonikarena Sardona ist. Weder Martinsloch noch Tschingelhörner lassen sich blicken, als die Gruppe mit dem Reisecar eintrifft.

Toni setzt zu einer längeren Entschuldigung für diesen Umstand an. Die noch etwas verschlafene Gruppe wird aber von den Toten abgelenkt: Gleich neben dem Tektonikarena-Besucherzentrum steht die Kirche Elm. Rund um die Kirche stehen dicht an dicht die Grabsteine, auf die es die Reisegruppe abgesehen hat. Auf diesen Grabsteinen gibt es Rhyners, Zentners, Elmers und Freitags. Die Kublys finden sogar einen Kubli und freuen sich sehr darüber.

Die amerikanische Reisegruppe ist nämlich nicht irgendeine amerikanische Reisegruppe. Es ist die Feuerwehr von New Glarus im Bundesstaat Wisconsin, die zehn Tage lang die Schweiz entdeckt. Drei der zehn Tage verbringen die Neu-Glarner im Glarnerland, und Elm ist der erste Halt.

Ein alter Hase organisiert

Captain Mike Nevil ist ein alter Hase, wenn es um die Organisation von Reisen in die Schweiz geht: Der Besitzer des New Glarus Hotel und Feuerwehroffizier hat einige Wintersaisons als Koch in Unterwasser gearbeitet. Und er ist schon einige Male mit Feuerwehr-Gruppen in die Schweiz gereist. Er hat eine bunte Gruppe zusammengestellt: Aktive und ehemalige Feuerwehrleute, Ehefrauen, Vater-Tochter- und Vater-Sohn-Gespanne. Es sind Truttmanns, Hendricksons, Pernots und Tschudis. Fast alle haben irgendwo in der Schweiz Wurzeln, die es zu entdecken gilt.

Sie alle sind hell begeistert vom Mittagessen vor dem Eingang zum Landesplattenberg, der nach der Führung in Elm auf dem Programm steht. Nicht nur weil die Steaks schmecken, sondern auch, weil es etwas aufgeklart hat. Man kann vom Plattenberg jetzt immerhin die gegenüberliegende Talseite sehen. Ein guter Ort, um Erinnerungen herzustellen. Wenn man die Gruppe beobachtet, könnte man sie für eine ganz normale Touristengruppe halten, die sich an der Schönheit der Glarner Natur erfreut. Es gibt aber auch die anderen Momente: Wenn einer von ihnen gedankenversunken ins Kleintal schaut, geht es nicht nur um die Natur, sondern auch um die eigenen Wurzeln: Die Glarner Berge sind für die Neu-Glarner mehr als nur ein Fotosujet.

Captain Doug Truttmann hat in New Glarus eine riesige Rinderfarm. Bis zu 1000 Tiere leben auf seinem Milchbetrieb. Er versteht, warum seine Vorfahren als Bauern in der Schweiz bitterarm geblieben sind. Während er auf seinem Land das ganze Futter für seine Tiere anbauen kann, müssen die Schweizer Bauern ihre Tiere auf den Alpen sömmern, damit das Futter im Tal für den Winter reicht.

Der Präsident hält eine Rede

Wenn New Glarus ruft, kommt Alt-Glarus. Zum Beispiel Gemeindepräsident Christian Marti: Am Donnerstagabend hält er auf dem Bergli eine Ansprache für die Feuerwehr New Glarus. Nicht nur die Nachnamen seien in den beiden Städten dieselben, sondern auch die Vorliebe für gutes Essen, sagt Marti.

Bevor es beim offiziellen Empfang im Glarner Feuerwehrdepot dieses gute Essen gibt, müssen die New Glarner aber noch etwas erledigen: Die Wolken haben sich nämlich noch weiter zurückgezogen, man kann vom Bergli aus sogar etwas Sonne am Schilt beobachten. Und das heisst: Fototermin. Die Feuerwehrleute aus Amerika posieren in ihren Uniformen, stolz tragen sie die US-Flagge auf der rechten Schulter. «Und die Schweiz tragen wir im Herzen», sagt einer von ihnen.

Das ändert sich beim Empfang durch die Feuerwehr Glarus. Die Feuerwehrleute aus New Glarus werden von Vize-Kommandant offiziell auch zu Offizieren der Feuerwehr Glarus ernannt. Und tragen mit den Glarner Gradabzeichen die Schweiz nicht nur im Herzen, sondern auch auf der Schulter. Die New Glarner kontern geschickt: Als frischgebackene Offiziere geben sie ihren Alt-Glarner Kameraden den unzweideutigen Auftrag, einen Gegenbesuch der Glarner Feuerwehr in New Glarus zu organisieren.

Am Karfreitag nehmen die New Glarner den Hauptort Glarus genauer unter die Lupe. Der Fussweg vom Hotel «Stadthof» zum Anna-Göldi-Museum dauert geschlagene 45 Minuten. Nein, nicht weil aus dem Karfreitag ein Katerfreitag wurde, sondern weil es der Fotosujets einfach zu viele sind, der Himmel ist so blau, wie er nur sein kann. Die angezuckerten Berge, der Springbrunnen im Volksgarten, die Hand-Skulptur, die Linth und auch der Hänggiturm in Ennenda werden zur Erinnerung gemacht. Erinnerungen, die mehr sind als nur Bilder.

Sebastian Dürst ist Redaktionsleiter der «Glarner Nachrichten». Er ist in Glarus geboren und aufgewachsen. Nach Lehr- und Wanderjahren mit Stationen in Fribourg, Adelboden und Basel arbeitet er seit 2015 wieder in der Heimat. Er hat Religionswissenschaft und Geschichte studiert. Mehr Infos

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