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Das Mysterium des warmen Brunnengüetli-Bachs in Linthal

Kalte 4,7 Grad misst das Wasser der Linth in Mollis. Die Lufttemperatur leigt bei minus drei Grad. 14 Grad warm ist dagegen der Brunnengüetli-Bach, der im Winter wärmer als im Sommer fliesst. Von wo das mysteriöse Wasser kommt, ist unklar. Eine Spurensuche.

Martin
Meier
25.03.18 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Heisse Angelegenheit: 14 Grad warm ist das Wasser im Winter.
Heisse Angelegenheit: 14 Grad warm ist das Wasser im Winter.
SASI SUBRAMANIAM

Die heisse Spur nimmt ihren Anfang auf dem Weg von Linthal ins Tierfehd, unterhalb der Chängelplangge, kurz vor der Reitimatt. Unter der rechten Strassenböschung entspringt da, wie von Elfenhand, aus dem Nichts an mehreren Stellen das sprudelnde Nass, das sich rasch zu einem ansehnlichen Mühlebach sammelt.

Hier, am Brunnengüetlibach, über den sich oft ein Dunstschleier legt, hier versammeln sich beim Eindunkeln augenfällig viele Wildtiere. Füchse, Dachse und Hirsche, weiss man im nahegelegenen Hotel «Tödi».

Im Sommer kälter als im Winter

Hier, am Ende oder aber am Anfang der Welt, scheint so einiges nicht mit realen Natürlichkeiten zu erklären zu sein. Augenfällig zeigt sich nämlich da auch das Bachbord – im Winter grasgrün, schneefrei. Wer die Feldarbeit nicht scheut, weiss warum. Warme Füsse bekommt, wer sich mit Gummistiefeln ins Fliessgewässer wagt. Bei einer Lufttemperatur von minus drei Grad misst die «Südostschweiz» die Wassertemperatur mit 14 Grad plus. Doch es kommt noch geheimnisvoller. Im Sommer entspringt der Bach dem Berg spürbar kühler als im Winter. Und zeitweise, wie verhext, nicht blau wie Gletschereis, sondern weiss wie Milch der Rindviecher, die oberhalb am Grünzeug grasen.

Seit 1862 wird geforscht

Gelehrte erforschen den Brunnengüetlibach und seine Geheimnisse schon lange. Nebulös bleibt, woher das Wasser kommt. Ungeklärt ist, wie es seinen Weg durchs Berginnere findet. Untersucht hat die «merkwürdige Quelle» 1862 erstmals die Naturforschende Gesellschaft Bern. Sie kommt zum Schluss, dass «die Wasser ohne Zweifel durch das stark zerklüftete Gebirge des Vorstegstocks sinken». Das Volk aber behaupte, so die Naturforscher, sie hingen mit dem Muttsee zusammen.

«Das Wasser könnte aus dem Tödimassiv stammen, wo das Gestein radioaktiv leicht strahlt.»

Mark Feldmann, Geologe

Zum gegenteiligen Resultat kommt da die Schweizerische Geomorphologische Gesellschaft 1956. Färbungen von Leon W. Collet hätten 1916 ergeben, dass die Brunnengüetliquellen aus dem Muttsee (2448 Meter über Meer) stammen. Dessen Abfluss (...) versickere im Muttenloch und folge dem gewaltigen Muttseebruch, der vom Val Ladral bis zu der Grüsswand hinunterreiche.

Ein Abfluss des Muttsees?

In jüngster Zeit wird allerdings wieder die bis heute vermessene 7880 Meter lange und 1070 Meter tiefe zusammenhängende Muttsee- und Marmorhöhle für den Seeabfluss in Betracht gezogen. Die Ostschweizerische Gesellschaft für Höhlenforschung ging zum Beispiel der Frage nach, woher das Wasser in den grossen Schächten der sogenannten Apokalypse stammt. Ein bedeutender Wasserfall ergiesse sich im Sommer über die mehreren Hundert Meter tiefen Schachtstufen, um in einer Tiefe von 650 Metern zu verschwinden, schreiben die Höhlenforscher nach ihrer jüngsten Exkursion. Die Wasserherkunft in der Muttseehöhle blieb allerdings ein Geheimnis. Ebenso das ersehnte dritte Parallelsystem neben der Muttsee- und Marmorhöhle.

Wasser radioaktiv aufgeheizt

Eine mögliche Erklärung hat da der Glarner Geologe Mark Feldmann. Er kann sich vorstellen, woher das Wasser des Brunnengüetlibachs kommt. «Aus dem Grundgebirge des Tödimassivs, das zum Teil aus Granit besteht, eine Gesteinsart, die radioaktiv leicht strahlt.» Was zur Folge habe, dass das Wasser natürlich aufgewärmt wird. «Die hohen Temperaturen machen sich dann vor allem im Winter bemerkbar, wenn wenig Wasser fliesst, weil die Niederschläge häufig als Schnee fallen», erklärt Feldmann. Im Sommer fliesse das Wasser kälter, weil es sich unter anderem auch mit Regenwasser durchmische. Feldmann: «So wissen wir, dass das Wasser von Bad Ragaz aus dem Tödigebiet stammt und sich in zehn Jahren auf 65 Grad aufheizt.»

Wie dem auch ist: Die Axpo als Kraftwerksbetreiberin hat vom Kanton die Auflage erhalten, «im Zusammenhang mit dem Brunnengüetlibach Abklärungen zu treffen», bestätigt Pressesprecher Tobias Kistner. «Diesen Auflagen gehen wir – wie im Fall von behördlichen Auflagen üblich – umgehend nach.»

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