×

Wenn Asylbewerber ihre grosse Chance packen

In der Chasa Muntanella in Valchava leben rund 40 Asylbewerber. Für sechs Männer konnte Leiter Werner Braun in diesem Winter eine Saisonstelle finden. Die Arbeitgeber sind sehr zufrieden mit ihnen. Eine Erfolgsgeschichte.

12.03.18 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Werner Braun ist Leiter der Asylunterkunft Valchava.
Werner Braun ist Leiter der Asylunterkunft Valchava.

von Fadrina Hofmann und Béla Zier

Zwei Jahre lang lebt Awet Tewelde bereits in der Schweiz. «Jetzt darf ich endlich richtig arbeiten», sagt er. In seiner Heimat Eritrea war der 28-Jährige beim Militär. Im Hotel «Walther» in Pontresina ist er seit Dezember als Officemitarbeiter angestellt. «Awet ist kein Mann der grossen Worte, aber er ist fleissig, pflichtbewusst, ehrlich und stets freundlich», sagt Hotelier Thomas Walther. Er sitzt an diesem Morgen mit seinem neuen Mitarbeiter in der leeren Bar. Der Leiter des Zentrums für Asylsuchende in Valchava, Werner Braun, ist zu Besuch gekommen und möchte hören, wie sein Schützling sich macht. Ein Lächeln macht sich auf Brauns Gesicht breit, als Walther weiter ausführt, dass Tewelde mittlerweile in zwei Betrieben eingesetzt wird und nebst der Reinigungsarbeiten jetzt auch bereits Salate anrichtet oder Desserts vorbereiten darf.

92 Mitarbeiter aus elf Nationen hat Walther. Einen Asylbewerber hat er aber zum ersten Mal eingestellt. «Mir geht es darum, jemanden eine Chance zu geben», sagt Walther. Jeder Mensch wolle zu etwas nutze sein, jeder habe ein Recht auf Würde. «Der Mensch wird krank, wenn nichts zu tun ist», meint auch Braun. Umso wichtiger sei ihm, die Bewohner der Chasa Muntanella so rasch wie möglich in den Arbeitsprozess integrieren zu können. Diese Wintersaison ist es ihm gelungen, sechs junge Männer in Betrieben und Hotels im Oberengadin und in Davos zu platzieren.

Mit Blick zurück in die Zukunft

«Die Arbeit gefällt mir sehr gut, aber ich will zurück in meinen Beruf, mich weiterentwickeln», sagt Shinwari Zalmanoor in ganz passablem Hochdeutsch. Seit Dezember steht der aus Afghanistan geflüchtete 33-Jährige in der Küche des Davoser Après-Ski-Lokals und Restaurants «Bolgen Plaza». Er spült Geschirr, verrichtet Reinigungs- und einfache Küchenarbeiten. In seiner Heimat sei er Rechenlehrer gewesen: «Ich will in der Schweiz als Lehrer arbeiten, ich weiss, das ist ein grosses Ziel.» In den Augen von Zalmanoor liegt eine Traurigkeit. Er lächelt für das Foto, und für Werner Braun, den er mit «Pappa» begrüsst.

In der «Bolgen Plaza»-Küche arbeitet auch Ahmad Pana, den Braun ebenfalls unter seine Fittiche genommen hat. Ihm versichert der 23-Jährige: «Es ist alles tipptopp.» Braun fragt nach: «Ist im Kopf alles okay?» Pana nickt. Später erklärt Braun seine Frage dem Redaktor damit, dass der Asylsuchende in seiner Heimat Schreckliches erlebt haben soll. «In Afghanistan war ich Verkäufer», sagt Pana mit Stolz. In der Schweiz will er eine Ausbildung machen, was genau, weiss er noch nicht. Die Landsleute Zalmanoor und Pana legen sich offensichtlich ins Zeug. «Es läuft gut», bestätigt «Bolgen Plaza»-Koch Tariq Wohlbrück. Bei der Verständigung müsse man ab und zu nachhaken, aber es gebe keine Probleme.

Sprache ist das Kernproblem

Ronny Müller und Abdukadir Abdiwaed verstehen sich. Für das Bild legt Chef Müller seiner Küchenhilfe Abdiwaed spontan den Arm auf die Schulter. «Es läuft sehr gut, er ist arbeitswillig», berichtet Müller, der mit seinem Geschäftspartner Tobias Jäkel in Klosters das «Gemsli-Hotel Alte Post» führt. Zwar gebe es ein paar Probleme bei der Verständigung, aber das löse man dann Schritt für Schritt auf Deutsch oder Englisch. «Seine Motivation ist perfekt, er macht alles, was man ihm aufträgt mit Freude», sagt Müller. Und er stellt klar: «Es ging überhaupt nicht darum, eine günstige Arbeitskraft einzustellen. Wir haben Küchenhilfen gesucht, aber es kamen keine Bewerbungen und wir brauchten jemanden.»

Dem vor zwei Jahren aus Somalia in die Schweiz geflohenen Abdiwaed gefällt die Arbeit in der Küche gut. Von seinem einnehmenden Lächeln lässt sich sein Mentor Braun aber nicht beirren und hält ihm gleich im Hotel noch eine Standpauke wegen der nach wie vor mangelhaften Deutschkenntnisse. Als Chef weiss auch Müller darum: «Das grösste Problem ist die Sprachbarriere.» Der asylsuchende Abdiwaed ist sich bewusst, dass sein Deutsch noch längst nicht ausreicht, um seine Zukunftsvision umzusetzen: «Ich will gerne eine Lehre machen.» Das hervorragende Zwischenzeugnis, das ihm Müller schriftlich ausgestellt hat, könnte Türöffner für Abdiwaeds Traum sein, einen Ausbildungsplatz zu erhalten.

Ziel ist ein Ausbildungsplatz

Barcad Cisman, der ganz leidlich Deutsch spricht, weiss genau, was er will und was nicht: «Ich will eine Lehre machen, aber nicht im Restaurant, sondern als Bäcker, Dachdecker, Elektriker, Maler oder Schreiner.» Seine Zielstrebigkeit freut Werner Braun, der ihn scherzhaft «Dr. Cisman» nennt. Der aus Somalia stammende Asylsuchende arbeitet, ebenfalls als Saisonkraft, in der Davoser «Bowling Bistro Bar 101». Dort ist er in der Speisezubereitung tätig und wird für Reinigungsarbeiten eingesetzt. Seine Chefin, Geschäftsführerin Sarah Guenat, ist voll des Lobes: «Die Erfahrungen sind sehr positiv, sein Engagement ist wirklich gross und er arbeitet sehr gut.»

«Ich mag meine Chefin, wenn ich etwas nicht verstehe, wird mir das auf Hochdeutsch erklärt», sagt der zielstrebige 20-Jährige, der vor drei Jahren in die Schweiz gekommen ist. Cisman hatte sich selbstständig beworben, für ihn musste sich Braun nicht um einen Job kümmern. «Sie müssen lernen, selbstständig zu sein, ich fordere Eigeninitiative», sagt «Pappa» Braun über seine Schützlinge, die nach Ende der Wintersaison aus Davos und Klosters in die Asylunterkunft nach Valchava zurückkehren werden.

Suresh Sivalingam hat Glück. Er hat soeben erfahren, dass seine Arbeitgeber im Hotel «Suvretta House» in St. Moritz Interesse zeigen, auch nach der Wintersaison weiterhin mit ihm zusammenzuarbeiten. Sivalingam strahlt über beide Ohren. «Ich bin sehr gerne hier und möchte diese Chance unbedingt packen», sagt der aus Sri Lanka stammende Mann. Er wurde Mitte Dezember als Hausbursche angestellt, in seiner Heimat war er Elektriker. «Suresh hat immer ein Lachen im Gesicht, ist ausgeglichen und erledigt seine Aufgaben zu unserer vollen Zufriedenheit», meint General Manager Peter Egli. Das sei nicht selbstverständlich, wenn man seinen bedrückenden Hintergrund als Flüchtling berücksichtige.

Im «Suvretta House» hat es bisher noch nie Asylbewerber gegeben. Egli spricht von einem positiven Start. Sivalingam sei «ein Glückstreffer». «Bürokratische Hürden gab es keine zu überwinden», betont der Hotelier. Das Unternehmen versuche stets, Perspektiven auch für jene zu bieten, welche keine spezifische Ausbildung hätten. «Es kommt auf den Ehrgeiz und die Leistung des Mitarbeiters an», betont Egli. Aufstiegsmöglichkeiten gebe es in jeder Position.

Ein positiver Start

Braun ist nach seiner Besuchstour sehr zufrieden. «Ich habe nur Stellen für diejenigen Männer gesucht, die bereits das hausinterne Modulverfahren erfolgreich durchlaufen haben», erklärt er. Das «System Braun», wie er es selbst bezeichnet, ist als Verhaltenstraining zu verstehen. Themen wie Zuverlässigkeit und Höflichkeit werden in der Chasa Muntanella in Valchava ebenso angegangen wie Hygiene oder Ordnung. «Die Bewohner müssen sich anstrengen, um den Anforderungen des Modulsystems zu genügen. Der Wille zu arbeiten muss wirklich vorhanden sein», erläutert Braun. Ziel sei schliesslich, die Asylbewerber gut auf den Schweizer Arbeitsprozess vorzubereiten. Diese erste Wintersaison war für den Heimleiter ein Testlauf. «Für die nächste Wintersaison hoffe ich, mindestens 20 bis 30 Asylbewerber in Saisonstellen platzieren zu können», sagt er.

Fadrina Hofmann ist als Redaktorin für die Region Südbünden verantwortlich. Sie berichtet über alle gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Themen, die in diesem dreisprachigen Gebiet relevant sind. Sie hat Medien- und Kommunikationswissenschaften, Journalismus und Rätoromanisch an der Universität Fribourg studiert und lebt in Scuol im Unterengadin. Mehr Infos

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.

Herzlichen Dank für diesen sehr guten Artikel! Sie sind so, so wichtig, diese ersten Arbeitserfahrungen. Alles ist schwierig: von der fremden Sprache, über die unbekannten Anforderungen, bis zum korrekten Arbeitsverhalten nach oft jahrelanger Arbeitslosigkeit... Grosses Dankeschön an die Betriebe, die trotz allem eine Chance für den Einstieg ins Arbeitsleben bieten und auch Verständnis haben, wenn nicht alles auf Anhieb reibungslos klappt! Für die Facebook-Gruppe "Bündner helfen Flüchtlingen", Monika Wartenweiler

Mehr zu Leben & Freizeit MEHR