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Das Klima lässt den Glarner Bergwald öfter frieren

Der Bergwald holt auf. Zwei Wochen hat er in den letzten 50 Jahren gewonnen und treibt seine Blätter oder Nadeln nun nur noch drei Wochen später aus als im Talboden. Doch das hat negative Folgen für den Wald.

Fridolin
Rast
08.01.18 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Je höher in den Bergen der Baum wächst, desto später treibt er seine Blätter.
Je höher in den Bergen der Baum wächst, desto später treibt er seine Blätter.
YANN VITASSE / WSL

Freiwillige haben seit 1960 über 20 000 Beobachtungen gemacht. Sie haben notiert, wann im Frühling die Bäume ihre Blätter oder Nadeln austreiben, und Meteoschweiz hat die Beobachtungen gesammelt. Drei Forscher unter Leitung des Neuenburger Biologen Yann Vitasse haben die Daten von Buche, Fichte, Lärche und Nussbaum an der Forschungsanstalt Wald, Schnee und Landschaft (WSL) ausgewertet.

Resultat, so Vitasse: «Die Blattbildung beginnt generell immer früher.» Je höher in den Bergen, desto schneller sind die Bäume sogar geworden. Sichtbare Folge an den Glarner Berghängen: Die zeitliche Verschiebung zwischen höheren und tieferen Lagen im Gebirge ist kleiner geworden. Kaum ist der Frühling im Tal angekommen, so grünen auch schon die Bergwälder.

Bäume holen den Spätfrost ein

Anfang der 1960er Jahre verzögerte sich die Blattbildung der Bäume um etwa fünf Wochen pro 1000 Meter Höhenunterschied, hält er fest. Aber: «Heute beträgt dieser Unterschied nicht mehr als drei Wochen.» Die Forscher stellten fest, dass sich der zeitliche Abstand vor allem nach einem warmen Winter verringert.

«Der starke Frost von 2017 hat die Bäume sehr stark geschwächt.»

Doch gelegentlich im Frühling gibt es Kälteeinbrüche. Und hier wird es für die Bäume kritisch. Diese Spätfröste finden nun nicht einfach auch früher statt. «Damit sind die Bäume den Frösten in den höheren Lagen stärker exponiert», erklärt Vitasse. Der starke Frost von 2017 etwa habe die Bäume sehr stark geschwächt.

Der Wald leidet und reagiert

Passiert das nur gelegentlich, so sei es meist kein Problem. «Passiert es aber jedes oder jedes zweite Jahr, so schwächt es die Bäume.» Mit der Folge, dass der Schutzwald weniger stabil werden könnte. Umso mehr, als die Fichte, die vor allem in höheren Lagen den grossen Teil des Glarner Waldes ausmacht, auch aus anderen Gründen stark leidet. «Die Fichte ist zwar auch frostempfindlich, sie reagiert aber vor allem auf Trockenheit sehr empfindlich.» Führt die Klimaveränderung auch zu Trockenheit, so wächst die Gefahr für die Fichten und damit grosse Teile des Schutzwaldes.

Das Aufholen des Bergwaldes hat aber auch eine positive Folge: Wenn es im Tal blüht und der Pollen fliegt, so blühen auch schon Bäume weiter oben am Hang. Die Bäume könnten damit ihre Gene über eine grössere Höhe austauschen, als wenn die Blüte im Tal schon vorbei wäre, erklärt Vitasse.

Die Folge davon: Die Bäume können sich rascher anpassen an die neuen Bedingungen, welche die Klimaveränderung bringt.

Kälte vor dem Frühling muss sein

Die Veränderung lässt sich zum Teil damit erklären, dass die Bäume den Frühling erst spüren, wenn es eine Zeit lang zwischen 0 und 8 Grad warm ist. In der Höhe werde dieser frostfreie Wärmebereich öfter auftreten, so die Forscher. Gleichzeitig werde es in tieferen Lagen seltener so kühl sein. «Die Winterruhe der Knospen könnte damit in grosser Höhe immer früher beendet sein, in geringerer Höhe immer später.» Kommt dazu, dass die Tageslänge eine Rolle spielt, und diese ist noch kürzer, wenn es im Tal schon grünt. So könnten sich der Frühling im Tal und jener am Berg immer näher kommen.

«Das hätte Konsequenzen auf die Struktur und die Funktion von Waldökosystemen», erklärt Yann Vitasse. Besonders könnten sich die wechselseitigen Wirkungen von Pflanzen und Tieren verändern. So könnten die Gämsen, die im Frühling im Wald äsen, weniger Futter finden, vermutet er. Obwohl: Wie sich die Veränderung tatsächlich auswirkt, sei noch weitgehend unbekannt.

 

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