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Kein Kummer dank Frau Kummer

Wer nicht mehr selbst zur Pflege fahren kann oder will, kann auf die Unterstützung eines Fahrdienstes des Roten Kreuzes zählen. Weil die Nachfrage stetig grösser wird, sucht das Rote Kreuz noch Fahrerinnen oder Fahrer.

Südostschweiz
24.12.17 - 11:00 Uhr
Leben & Freizeit
Die happigste Fahrt war, als Kummer eine Frau vom Spital nach Hause zum Sterben fuhr.
Die happigste Fahrt war, als Kummer eine Frau vom Spital nach Hause zum Sterben fuhr.
MADELEINE KUHN-BAER

von Madeleine Kuhn-Baer

«Sie sind ein Engel», sagt Frau T.* in Chur zu Ruth Kummer. Es ist Dienstagvormittag, und Frau T. lässt sich nach ihrer Brustoperation das erste Mal bestrahlen. «Es hat mir grossen Kummer bereitet, wie ich nach Chur komme», erzählt sie. Da sie an Schwächeanfällen leide, sei es ihr nicht möglich, selber zu fahren oder die öffentlichen Verkehrsmittel zu benützen. Sie müsse das neurologisch noch abklären lassen.

Dank Ruth Kummer und dem Rotkreuz-Fahrdienst hat sich ihr Kummer zum Glück gelegt. Pünktlich um 9 Uhr ist die Weesnerin mit ihrem VW Golf in Mollis eingetroffen, um Frau T. abzuholen. Bei leichtem Nieselregen geht es auf die Autobahn. Die beiden unterhalten sich angeregt und stellen fest, dass sie früher fast Nachbarinnen waren. Sie tauschen Krankheitsgeschichten aus, verraten einander Hausmittelchen. «Es ist wie eine Gesundheitsstunde», schmunzelt Frau T. Hat die 71-Jährige Angst vor der Bestrahlung im Kantonsspital Graubünden? «Nein, eigentlich nicht. Man hat mir gesagt, es tue nicht weh, gehe rasch, und das Personal sei sehr nett.» Ruth Kummer bestätigt dies. Sie kennt die Situation, weil sie schon oft mit Krebspatienten nach Chur gefahren ist.

Kurzes Warten

Um 9.45 Uhr treffen wir beim Spital ein. «Ich begleite Sie», sagt Ruth Kummer, und Frau T. hängt sich bei ihr ein. Durch lange Gänge geht es zur Radiologie. Wir setzen uns, und schon bald wird Frau T. abgeholt.

Die Bestrahlung dauert tatsächlich nur knapp zehn Minuten. «Ich habe nichts gemerkt», sagt Frau T. Sie bekommt die Terminliste der insgesamt 16 Bestrahlungen. Diese finden auch zwischen Weihnachten und Neujahr statt. «Ich weiss nicht, ob ich jedes Mal mit Ihnen fahren kann. Aber Frau Fischer wird das schon richten», sagt Ruth Kummer.

Wir gehen zurück zum Auto, wo Ruth Kummer Frau T. beim Einsteigen hilft. Auf der Rückfahrt erzählen sich die beiden ihre Familiengeschichten. Man spürt, dass sich bereits eine gewisse Vertrautheit zwischen ihnen eingestellt hat.

Vor Maienfeld beginnt es leicht zu schneien. Im Glarnerland fallen dann grosse Flocken vom Himmel. Ruth Kummer aber lässt sich nicht beirren und steuert ihren Golf sicher nach Mollis. «Ich bin so froh. Sie sind wirklich mein Engel», sagt Frau T. nochmals.

Ehrenamtliches Engagement

Ruth Kummer engagiert sich seit fünf Jahren für den Rotkreuz-Fahrdienst. «Ich habe schon immer gerne etwas gemacht, mit dem ich jemandem helfen oder dienen kann», erzählt sie. Lange Zeit war sie Samariterin. Für den Rotkreuz-Fahrdienst meldete sie sich auf eine Ausschreibung hin. Ihr Engagement ist freiwillig, sie bekommt einfach eine Kilometerentschädigung. «Es ist auch eine Art Freizeitbeschäftigung, und ich habe so noch eine Aufgabe», sagt die Weesnerin.

«Wir sind aber kein Taxi», betont sie im Gespräch. «Wir holen die Leute nicht nur ab und bringen sie wieder zurück, wir begleiten sie.» Bekommt jemand zum Beispiel schlechten Bericht vom Arzt, muss sie sensibel darauf reagieren können. Ihre happigste Fahrt war, als sie eine Frau vom Spital nach Hause zum Sterben fuhr. «Da denke ich immer wieder daran. Aber es darf einen nicht zu sehr belasten, sonst kann man das nicht machen.»

Es gebe viel Erfreuliches in ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit. «Die Leute sind dankbar, ich lerne interessante Leute kennen, und es gibt gute Gespräche im Auto.» Längere Wartezeiten zwischen den Fahrten überbrückt sie mit Lesen, Spaziergängen oder Kaffeetrinken.

«Schenken wertvolles Gut»

Bei der erwähnten Frau Fischer handelt es sich um Denise Fischer, seit anderthalb Jahren Leiterin des Rotkreuz-Fahrdienstes. Diese plant und organisiert die Einsätze der aktuell 31 Fahrer und 12 Fahrerinnen, die zwischen 45- und 79-jährig sind. Alle fünf Jahre beurteilen Fahrlehrer deren Fahrtüchtigkeit, ab 70 Jahren alle zwei Jahre. Nach dem vollendeten 80. Lebensjahr endet das Engagement.

«Die Freiwilligen schenken mit Zeit und Mobilität ein wertvolles Gut. Ich bin sehr dankbar, dass es so viele Menschen gibt, die ich spontan einsetzen kann», sagt Denise Fischer. Die Fahrerinnen und Fahrer begleiten Menschen, welche auf Hilfe angewiesen sind, zum Arzt, ins Spital, zur Therapie oder zum Kuraufenthalt. Neben diesen medizinisch-therapeutischen Fahrten, welche den Hauptteil ausmachen, gibt es auch Fahrten für «partizipative-integrative Zwecke», heisst Coiffeur, Einkaufen, Besuche beim Partner im Altersheim oder dergleichen. So können Menschen selbstständig und unabhängig bleiben, auch wenn ihnen keine nahe Begleitperson oder kein Fahrzeug zur Verfügung steht.

2016 verzeichnete der glarnerische Rotkreuz-Fahrdienst total 169 810 gefahrene Kilometer bei 3994 Transporten. Schweizweit sind es über 15 Millionen Kilometer pro Jahr – oder 355-mal um die Erde. Weil die Nachfrage stetig grösser wird, sucht Denise Fischer noch Fahrerinnen oder Fahrer, vor allem aus dem Raum Näfels und Mollis. Sie sollten «gerne helfen, sich sozial engagieren, reden und vor allem auch zuhören können, geduldig sein und gerne Zeit schenken».

Infos: 055 650 27 78, fahrdienst@srk-glarus.ch. www.srk-glarus.ch

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