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Origens Weihnachtskonzert: Kein Wohlfühlprogramm

Bereits zum zehnten Mal lud Giovanni Netzer zum Weihnachtskonzert in die Werkstätten der RhB in Landquart. Doch diesmal hatte er auch eine politische Botschaft.

Christian
Ruch
18.12.17 - 05:00 Uhr
Leben & Freizeit
Weihnachtskonzert in die Werkstätten der RhB.
Weihnachtskonzert in die Werkstätten der RhB.
BENJAMIN HOFER

Giovanni Netzer ist ein Meister der niederschwelligen Mystik fern jeglichen Eso-Kitsches. Und trotzdem – oder gerade deshalb – vermag er mit seinem Kulturprojekt Origen stets auch fundierte theologische Aussagen zu transportieren. So auch beim diesjährigen Weihnachtskonzert, das nun schon zum zehnten Mal im ungewöhnlichen Ambiente der RhB-Werkstätten in Landquart stattfand.

Diesmal inszenierte Netzer eine Art Zwei-Reiche-Lehre, wie sie der heilige Augustinus oder auch Martin Luther vertraten. Insofern passte diese theologische Auslegeordnung gut zum diesjährigen Reformationsjubiläum. Oben, auf einem Gerüst, stand der von Clau Scherrer geleitete und um eine Harfenistin verstärkte Chor, der weihnachtliche Variationen des britischen Komponisten Benjamin Britten vortrug.

Unten, sozusagen auf der Erde, frönte Netzer seinem Hang zum immer heller werdenden Lichtermeer, indem im Verlauf des Konzerts Hunderte Kerzen entzündet wurden. Diesmal fanden sich auf dem Boden aber nicht nur Kerzen, sondern auch liegende Menschen. Noch ehe das Konzert begonnen hatte – das Publikum war noch fröhlich am Plaudern und schien es lange nicht zu bemerken –, lag da ein Kind. Seine Umrisse vermochten an Aylan Kurdi zu erinnern, jenen kleinen toten Flüchtlingsjungen am Strand des türkischen Bodrum, dessen Bild im September 2015 um die Welt ging.

Dem wehrlosen Kind gewidmet

Diese Assoziation war wohl ganz im Sinne Netzers, der das Konzert «im Zeichen des verfolgten Kindes» präsentierte. Im Programm schrieb er: «Wir widmen unsere diesjährigen Weihnachtskonzerte dem wehrlosen Kind und lassen Kerzen leuchten für jene, die unter Krieg, Hungersnot und Flucht leiden – damals wie heute.»

So inszenierte Netzer sein Weihnachtskonzert diesmal nicht als kuscheliges Wohlfühlprogramm in der Behaglichkeit des vor Flüchtenden weitgehend abgeschotteten Schengen-Raums, sondern wies darauf hin, dass dieses Jesus-Kind, dessen Geburt wir mit allerlei Luxus feiern, ein in Armut geborener Mensch war und, sofern man dem Evangelium glauben darf, selbst schnell zum Flüchtling wurde. Netzer vermied es jedoch, einen in Moralin getauchten Zeigefinger zu erheben, sondern er zeigte einfach. So etwa eine Frau, die sich mit einem Koffer in der Hand als Symbol der Heimatlosigkeit ihren Weg durch das immer heller werdende Kerzenlicht suchte.

Prägnante Weihnachtsbotschaft

Die beiden Handlungsebenen schienen dabei nichts miteinander zu tun zu haben. Die stimmlich sehr starken Sängerinnen und Sänger und die exzellente Harfenistin Vera Schnider schwebten wie ein Engelschor über dem Geschehen, vermittelten aber keinerlei Hoffnung auf göttliche Intervention. Es ist an uns, so die Botschaft, Himmel und Erde zu versöhnen und so das mit Jesu Geburt angebrochene Königreich Gottes zu verwirklichen. Dieser Jesus ist nämlich kein Superheld, sondern einer der Schwächsten von uns. Prägnanter kann man die Weihnachtsbotschaft wohl kaum darstellen. Erst ganz zum Schluss liess ein fernes grünes Licht, das unten und oben gleichermassen erreichte, so etwas wie Hoffnung aufkommen.

Dass Giovanni Netzer dafür Musik von Benjamin Britten auswählte, war ebenfalls sehr stimmig. Denn der Komponist war ein entschiedener Kriegsgegner, zudem bürgt er für ein hohes musikalisches Niveau. Das ist ja nicht bei allen konservativen Komponisten, die sich den avantgardistischen Neutönern ihrer Zeit nicht anschliessen mochten, eine Selbstverständlichkeit. Brittens Musik zeugt jedoch von grosser Kreativität, die auch dieses Weihnachtskonzert erkennen liess.

Das Publikum dankte mit lebhaftem Beifall, ehe Giovanni Netzer es – vielleicht um ein paar nachdenkliche Momente reicher, das wäre zu hoffen – ins Landquarter Schneegestöber entliess.

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