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Computerfreaks tüfteln für das digitale Wohl der Glarner

Zum ersten Mal hat an diesem Wochenende in Linthal ein «Hackathon» stattgefunden. IT-Interessierte aus nah und fern tüftelten an Projekten, die dem Glarnerland einen Nutzen bringen sollen.

Südostschweiz
04.12.17 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Bescheidene Platzverhältnisse: Alles, was die Teilnehmer am «Hackathon» brauchen, ist ein Platz für den Laptop.
Bescheidene Platzverhältnisse: Alles, was die Teilnehmer am «Hackathon» brauchen, ist ein Platz für den Laptop.

Betritt man die Eingangshalle der alten Spinnerei in Linthal, fühlt man sich in eine andere Zeit versetzt. Abgenutzte Holztüren, Kacheln und die Farbe Orange erinnern an die 1980er-Jahre. Die Eingangshalle ist leer, alles wirkt verlassen. Fast schon so, als habe man die Spinnerei nach ihrer Blütezeit aufgegeben.

Dann rumpelt es in einem Nebenraum, und ein junger Mann mit einer schwarzen Hornbrille kommt hinaus. Er sei auch nur Gast hier. «Der Chef ist da drüben», sagt er und zeigt auf eine unscheinbare Tür. Der Mann läuft weg, dreht sich nach einigen Sekunden wieder um und schaut mit seinen grossen Augen durch die Brille: «Ich bin übrigens Stefanos», fügt er an und läuft mit einem breiten Grinsen davon.

Das Gehirn läuft einen Marathon

Hinter dieser Tür verbirgt sich eine andere Welt. Sie besteht aus Laptops, vielen Kabeln, Club-Mate-Eistee, aus kalter Pizza vom Vortag, Haftnotizen und Kaffee. Und sie ist international. Rund 20 Leute aus der Schweiz, aus Deutschland, Griechenland oder gar Slowenien befinden sich im Raum. Einige von ihnen haben bis 4 Uhr am Laptop gearbeitet. Das Büro ist gleichzeitig Schlafsaal und Kantine. Auf dem Boden liegen Matratzen, und überall stehen Tassen, Mineralflaschen oder Knabbereien.

Nico Schottelius unterbricht sein Gespräch, zieht während dem Gehen seinen grünen Strickpullover mit Pin- guinmotiv aus, und das Co-Working-Space-Logo Digital Glarus auf seinem T-Shirt kommt zum Vorschein. Der Geschäftsführer der Ungleich GmbH in Schwanden hat den «Hackathon», also einen Hacking-Marathon, organisiert. Er fand in der Spinnerei in Linthal statt. «Hack4Glarus» dauerte 42 Stunden, weil man auch 42 Kilometer für einen Marathon rennen muss.

Hacken muss nicht negativ sein

Am Freitagabend begannen die Teilnehmer, an ihren Projekten zu arbeiten. «Das Ziel ist es, mit den Projekten einen Mehrwert für das Glarnerland zu schaffen», sagt Schottelius. Von einer WLAN-Richtantenne, die 15 Kilometer weit sendet, über das schlüssellose Öffnen einer Haustür bis zum automatisierten Bestellsystem für Getränke und Essen: Hier werde vieles getestet. «Testen, das ist ein wichtiger Punkt», fügt Alain Lafon hinzu. Er ist Geschäftsführer der 200 ok GmbH aus Zürich, die auch in Glarus einen Standort hat. Am «Hacka-thon» hat er als Co-Organisator mitgewirkt. «Der Begriff ‘Hack’ bedeutet, etwas zu versuchen. Zu schauen, was überhaupt möglich wäre.» Der Begriff sei mittlerweile besonders wegen der Medien negativ konnotiert.

«Uns ist es wichtig, dass man an diesem Wochenende spielerisch lernen kann. Es braucht keine abschliessende Lösung», erklärt Lafon. «Genau, das Projekt muss nicht perfekt sein. Aber das Konzept sollte gut und umsetzbar sein», fügt Schottelius hinzu. Besonders stolz sei er auf jene Teilnehmer, die ohne technisches Vorwissen mitgemacht hätten. «Sie wollten einfach etwas lernen und gehen nun mit einem Mehrwissen in die Welt hinaus.» Das nütze ihnen selbst, aber auch der Gesellschaft, da sie ihr Wissen nun in anderen Situationen einbringen könnten.

Viele können profitieren

Schottelius habe sogar schon eine Kaufanfrage erhalten: «Ein Mann bemerkte beim Vorbeigehen an der Spinnerei, dass hier an etwas gearbeitet wird.» Er habe im Gespräch mit Schottelius die WLAN-Richtantenne, die sogenannte Wi-Fi Bridge, entdeckt und gefragt, ob er sie auch bei sich zu Hause nutzen könne. Sein Haus sei nämlich etwas höher gelegen, und er habe deshalb einen schlechten Internetempfang. Der Organisator freut sich darüber: «Das war genau unser Ziel, der Bevölkerung mit un-seren Tests einen Nutzen bringen.»

Es gebe viele weitere Möglichkeiten, um das Leben der Glarnerinnen und Glarner zu erleichtern, erzählt Schottelius. Er wird ganz hibbelig und rennt davon. Zurück kommt der Technikfan mit zwei Kisten. «Ich bin so froh, dass es dieses Produkt auch endlich in der Schweiz gibt.» Es handelt sich um ein elektronisches Türschloss. Damit lässt sich die Haustür alleine durch das Handy in der Hosentasche öffnen, per Bluetooth oder Wi-Fi. Das sei nicht nur bequem, wenn man die Hände gerade nicht frei habe. Die Menschen würden immer älter, und für sie könne das ein riesiger Dienst sein, erklärt er und nennt ein Beispiel: «Man stelle sich eine betagte Person vor. Eine, die auf einen Rollator angewiesen ist.» Diese Person brauche nicht mehr nach dem Hausschlüssel zu suchen und habe die Hände frei, um sich festzuhalten. Alain Lafon fügt hinzu: «Für Unternehmen kann dieses System auch sehr praktisch sein.» Die Tür lasse sich auch mit einem Timer öffnen. Den könne man sogar im Ausland einrichten und so Gästen oder temporären Mitarbeitern, die keinen Schlüssel hätten, Eintritt zum Gebäude gewähren.

Die Umwelt ist auch ein Thema

Dass die Digitalisierung auch ihre Schattenseiten hat, weiss Schottelius aber auch. Beim Thema Energieeffizienz wird er gar aufbrausend. «Das Thema beschäftigt mich sehr», erklärt er. «Rechenzentren sind üblicherweise riesige Stromfresser. Unser Rechenzentrum hier in der Spinnerei ist aber drei-mal effizienter als die meisten auf der Welt.» Das habe zwei Gründe: Einerseits wird es wegen der vorhandenen Infrastruktur der Spinnerei zu 100 Prozent mit Wasserkraft betrieben. Zudem stehen die Rechner neben- statt aufein-ander. «Weil wir hier viel Platz haben, können wir das machen und sparen somit enorm viel Energie, die sonst für die Kühlung nötig wäre», sagt er.

Elektrosmog betreffe Digital Glarus ebenfalls kaum. «Da im Glarnerland ein gut ausgebautes Glasfaserkabelnetz vorhanden ist, sind wir nicht auf Wi-Fi-Router angewiesen.» Aber auch wenn es so wäre, deren Strahlung sei nicht mit der eines Smartphones zu vergleichen. «Das Funksignal eines Handys ist drei- bis viermal stärker als das eines Wi-Fi-Routers», erklärt Schottelius.

Während er über Elektrosmog spricht, surrt es leise im Hintergrund. Es ist Stefanos, der Mann mit der Hornbrille. Der Grieche läuft im Raum hin und her und testet das elektronische Türschloss. Wenn der Test gelingt, braucht man im Glarnerland womöglich bald keine Schlüssel mehr.

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