×

Zweifel an den «ältesten» Nachweisen der Alpwirtschaft

Im Silvrettagebiet sollen die ältesten Nachweise für Alp- wirtschaft gefunden worden sein. Diese Forschungs- ergebnisse überzeugen nicht alle Archäologen.

Südostschweiz
29.08.13 - 02:00 Uhr

Von Fadrina Hofmann

Ftan. – «Man weiss, dass im Süden der Fuorcla da Tasna, auf dem Plan da Mattun, bereits vor 10 500 Jahren Jäger gerastet haben. Man weiss, dass vor rund 3000 Jahren Menschen nicht mehr nur mit Pfeil und Bogen in den Seitentälern des Unterengadins unterwegs waren, sondern dass sie auch Keramik und Nutztiere mit sich geführt haben. Und man weiss, dass sich solche Jagdgesellschaften noch vor dem Beginn unserer Zeitrechnung in Alpgemeinschaften verwandelt haben». Diese Zeilen stammen aus einer umfassenden Dokumentation zum Projekt «Silvretta Historica» (Ausgabe von Montag).

In der Val Fenga, wie das Fimbertal auf Rätoromanisch genannt wird, hat sich laut Fachpersonen ein für den ganzen Alpenraum «einzigartiges Zeugnis» dieses archaisch-alpinen Kulturwandels erhalten: ein paar Steine, die einen Halbkreis zu bilden scheinen. Gemäss den Forschern bildeten diese Steine im ersten Jahrtausend vor Christus das Fundament der «ältesten je nachgewiesenen Alphütte im alpinen Raum».

Alpwirtschaft ist prähistorisch

Seit 2007 erforschen Wissenschaftler verschiedener Disziplinen gemeinsam die Silvretta. Untersucht wird vor allem die Nutzungskontinuität in den alpinen Regionen. Die Ursprünge der Alpwirtschaft blieben bisher im Dunkeln. Nun haben die Forscher der Abteilung Ur- und Frühgeschichte der Universität Zürich die alpinen Regionen der Silvretta systematisch untersucht, um Hinweise auf saisonale Aktivitäten wie Jagd, Alpwirtschaft oder transalpinen Handel zu finden.

Gemäss Dokumentation entdeckten sie dabei die Reste des «ältesten bekannten Viehpferchs der Alpen» und die Fundamente der «ältesten Alphütte». «Damit erbrachten die Forscher den Nachweis, dass die Alpwirtschaft weit länger praktiziert wird, als die bislang bekannten schriftlichen Quellen des Mittelalters dies nahelegten. Die Alpwirtschaft geht bis in prähistorische Zeit zurück», heisst es weiter.

Nachweise falsch verstanden?

In einem Leserbrief an die «Südostschweiz» hält Archäologin Claire Hauser Pult fest, dass es eindeutige Nachweise für eine Bewirtschaftung der Alpen beim heutigen Forschungsstand bereits für die Bronzezeit, also 2200 bis 800 v. Chr., gebe (siehe Seite 2). Der Fund des «ältesten» Viehpferchs und die Fundamente der «ältesten» Alphütte als Nachweis dafür, dass die Alpwirtschaft weit länger praktiziert werde als bisher angenommen, sei missverständlich. Viehpferch und Alphütte seien einzigartig, weil sie als datierbare Strukturen erhalten seien. Zudem würden sie aus einer Zeit und einer Umgebung stammen, in der solche Nachweise bisher nicht gelangen. «Doch daraus können keine Schlüsse auf die Ent- stehung der Alpwirtschaft gezogen werden», meinte sie gestern auf Anfrage. Sowohl Pferch wie Alphütte stammen laut der Chefredaktorin der nationalen Zeitschrift «as.archäologie schweiz» aus der Eisenzeit, wenige Jahrhunderte vor Christus.

Hauser Pult kritisiert die Fixierung von Medien und Archäologen auf Sensationen. Sie befürchtet, dass missverständliche Aussagen nicht zu einer Wissensvermehrung in der Gesellschaft, sondern zu einer Fehlinformation führen. Im Silvrettagebiet werden künftig Wanderleiter die lokale Alpingeschichte in ihren Wanderungen integrieren. «Wenn sie sorgfältig ausgebildet und dokumentiert werden, ist das eine sehr gute Sache», sagte Hauser Pult.

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu MEHR