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Zerwürfnis vor Ruanda-Gedenkfeier

Frankreich Paris wollte die Gedenkfeier zum Völkermord in Ruanda boykottieren. Nun lenkt es in letzter Minute ein. Die Stimmung ist gereizt.

Südostschweiz
07.04.14 - 02:00 Uhr

In Kigali, der Hauptstadt Ruandas, findet heute die 20-Jahr-Gedenkfeier des Genozids statt. Die französische Regierung hatte am Wochenende erst beschlossen, nicht daran teilzunehmen. Dies, nachdem der ruandische Präsident Paul Kagame Frankreich erneut der «Beteiligung» am Völkermord bezichtigte, und zwar nicht nur als «Komplizen», sondern auch als «Akteure», das heisst «bei der Ausführung selbst». Kagame sagte dies in einem Interview mit der Wochenzeitung «Jeune Afrique». Gestern Abend machte das Aussenministerium in Paris einen Rückzieher: Der französische Botschafter in Ruanda werde Frankreich bei der Gedenkfeier vertreten, hiess es.

Dem Völkermord in Ruanda waren 1994 mindestens 800?000 Menschen zum Opfer gefallen, die meisten gehörten der Minderheit der Tutsis an. Auslöser des Massakers war der Abschuss des Flugzeuges des damaligen Präsidenten Habyarimana, welcher der dominierenden Bevölkerungsgruppe der Hutu angehörte. Diese machten die Tutsis für den Abschuss verantwortlich und begannen die systematische Jagd auf sie.

Anschuldigungen sind nicht neu

Ausdrücklich bezog sich Kagame auf die Vorfälle im Dorf Bisesero, wo französische Truppen der Operation «Turquoise» während des Genozids drei Tage lang zugewartet haben sollen, bis sie eingriffen und überlebende Tutsis retteten; Hunderte Menschen waren dabei aber schon umgekommen.

Die Vorwürfe Kagames sind nicht neu. Wenn sich Paris darob «überrascht» zeigt, dann vor allem wegen des Zeitpunkts: Kagame hatte sich gegenüber Frankreich in letzter Zeit eher versöhnlich gezeigt, nachdem die beiden Länder die 2006 – von Kigali unterbrochenen – diplomatischen Beziehungen 2009 wieder aufgenommen hatten. Der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy hatte «schwere Fehleinschätzungen» eingeräumt.

Für Paris ein Ablenkungsmanöver

Pariser Diplomaten denken, dass Kagame mit dem neusten Ausfall von der Kritik an seinem autoritären Kurs ablenken will. Denn Kagame regiert mit harter Hand: Medien und das Internet werden zensiert, Oppositionelle verfolgt. Zudem zirkulieren Gerüchte, Ruanda unterstütze die Tutsi-Rebellen im Nachbarland Kongo, um die dortige Regierung zu destabilisieren. Alain Juppé, der im April 1994 Aussenminister war und deshalb seinerseits in der Kritik stand, forderte Präsident François Hollande am Wochenende auf, die «Ehre Frankreichs zu verteidigen».

Stefan Brändle, Paris

nachrichten@luzernerzeitung.ch

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