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«Wir müssen wissen, ob die SVP alleine antritt oder nicht»

In rund einem Jahr finden die National- und Ständeratswahlen statt. Die beiden Bündner Nationalräte Silva Semadeni (SP) und Martin Candinas (CVP) erklären, wie sie ihren Sitz verteidigen wollen. Das Interview wurde im «Regionaljournal Graubünden» auf Radio SRF 1 ausgestrahlt.

Südostschweiz
08.10.14 - 02:00 Uhr

Stefanie Hablützel

Bündner Tagblatt: Silva Semadeni, Martin Candinas, haben Sie während der Session in Bern gemeinsam einen Kaffee getrunken?

Silva Semadeni: Wir haben uns in der Wandelhalle mehrmals gesehen. Mehr als ein ‘Ciao Martin’ lag für mich aber leider nicht drin. Wir sind nicht in der gleichen Kommission, haben nicht die gleichen Geschäfte und sind nicht in der gleichen Fraktion. Für einen gemeinsamen Kaffee müsste man abmachen.

Und das kommt nicht ab und zu mal vor?

Martin Candinas: Nein, oft ist das wirklich nicht vorgekommen. Vorstellen könnte ich mir das allerdings gut. Denn müssen wir nicht politisieren, komme ich mit Silva gut zurecht. Wir begegnen vielen Menschen, aber für Kaffeepausen haben wir nicht viel Zeit.

Martin Candinas, Sie mussten an der Herbstsession eine Niederlage ein- stecken. Sie haben sich dafür eingesetzt, dass Fussballfans mit einem Extrazug anreisen, um Ausschreitungen zu verhindern. Warum war Ihnen das wichtig?

Martin Candinas: Sehen Sie, jedes Mal, wenn es am Rande von Fussballspielen zu Ausschreitungen kommt, gibt es einen Aufschrei, die Politik müsse handeln. Aber sobald es darum geht, effektiv Massnahmen zu ergreifen, will man es mit Gesprächen versuchen. Die Fussball-Lobby hat einen grossen Einfluss. Ich bin für eine härtere Linie. Die Verbände müssen in die Pflicht genommen werden, damit es keine solchen Ausschreitungen mehr gibt und die Allgemeinheit nicht für die Kosten aufkommen muss.

Sie sind aus der Surselva. Randalierende Fussballfans sind dort aber weniger ein Thema!

Martin Candinas: Ja, der FC Trun/ Rabius ist natürlich sehr friedlich, und das begrüsse ich sehr. In der Verkehrskommission werden wir aber mit den unterschiedlichsten Themen konfrontiert. Solche, die uns direkt angehen, und solche, die uns weniger betreffen. Aber wir sind auf schweizerischer Ebene tätig, das heisst, wir müssen alle Themen des Landes behandeln.

Silva Semadeni, Sie haben in der Fragerunde in der Herbstsession das Parlament mit einer Problematik am Flughafen Locarno konfrontiert. Dort sollen Vögel in einem Naturschutzgebiet unmittelbar neben dem Flughafen zu Hause sein. Wie sind Sie auf das Thema gekommen?

Silva Semadeni: Die «Bolle di Magadino» ist ein ganz wichtiges Naturschutzgebiet. Es ist eine Moorlandschaft, die mehrfach unter Schutz steht. Viele Zugvögel landen dort im Frühling und im Herbst. Wenn man jetzt dort den kleinen Flughafen Magadino vergrössert, die Piste verlängert, mehr Jets ab- und zufliegen lässt, gibt es Konflikte mit dem Naturschutzgebiet. Ich kenne die Leute, die für die «Bolle» zuständig sind, sehr gut. Sie machen sich Sorgen um die Zukunft des Naturschutzgebietes. Deshalb haben sie mit mir Kontakt aufgenommen.

Kommt es oft vor, dass Leute bei Ihnen anklopfen und fragen, ob Sie sich nicht bei etwas engagieren könnten?

Silva Semadeni: Ich erhalte viele Anfragen, aber nehme nur das an, was meiner Überzeugung entspricht. Da mir der Vogelschutz wichtig ist, habe ich mich des Themas angenommen.

Martin Candinas: Es ist eine Aufgabe, die wir als Volksvertreter haben. Die Leute wissen meistens, an wen sie sich zu welchem Thema wenden müssen. Mit den Vögeln hätten sie bei mir zum Beispiel keinen grossen Erfolg gehabt.

Sie beide sind jetzt seit drei Jahren im Nationalrat. Silva Semadeni, Sie waren schon einmal in den Neunzigerjahren im Parlament als Nationalrätin. Was hat sich seitdem geändert?

Silva Semadeni: Ich bin offen für Neues und möchte nicht darüber nachdenken, wie es damals war. Mir ist aber aufgefallen, dass wir die sogenannte «Koalition der Vernunft» nicht mehr haben.

Also mit Ihrem Kollegen Candinas?

Silva Semadeni: Nein, mit Martin Candinas läuft es gut. Aber zum Beispiel die FDP, die sich vermehrt mit der SVP verbündet. So kommt es zu Entscheidungen, die sogar gegen die Menschenrechte oder das Völkerrecht verstossen. Das war früher nicht der Fall. Dort beharrten starke Vertreter der FDP wie Franz Steinegger klar auf unserem demokratischen Standpunkt. Sie haben die Rechtsstaatlichkeit vertreten. Das hat sich verändert, und das gibt mir zu denken. Wir entwickeln uns in eine Richtung, die uns immer häufiger Probleme mit den Ländern um uns herum beschert.

Im Vergleich zu den Neunzigerjahren gibt es heute also vermehrt Polbildungen und klarere Fronten?

Silva Semadeni: Es gab auch damals Polparteien, aber die SVP war im Unterschied zu heute auf sich alleine gestellt. Jetzt hat sie Unterstützung von der FDP. Und etwas, das sich auch noch geändert hat: Der Alpenraum war in den Neunzigerjahren viel stärker vertreten. Es gab eine starke Lobby mit Franz Steinegger, Peter Bodenmann und Pascal Couchepin. Oder auch Berti Durrer in der CVP. Heute sind wir marginal vertreten. Das müssen wir ändern.

Martin Candinas, Sie sind ein «Neuling» im Parlament. An was mussten Sie sich gewöhnen?

Martin Candinas: Ich musste mich vor allem daran gewöhnen, dass im Nationalrat viel Parteipolitik betrieben wird und sich dadurch Fronten bilden, wie Silva bereits gesagt hat. Wir als CVP-Delegation können im Prinzip stimmen wie wir wollen, wir sind immer bei der Mehrheit, weil es eben diese zwei Fronten gibt. Das ist speziell. Organisatorisch musste ich mich an die Unmenge Post, die wir erhalten, gewöhnen.

Sie werden mit Post überflutet?

Martin Candinas: Ja. Ich erhalte pro Woche fast einen halben Meter hohen Stapel mit Post und bewältige sie nebenbei. Die vielen Mails nicht zu vergessen. Als Grossrat erlebt man dies nicht annähernd in diesem Ausmass.

Sie haben sich als ein Politiker positioniert, der sich für das Romanische, für die Surselva und für Familien einsetzt. Was ist Ihr grösster Erfolg?

Martin Candinas: Das ist schwierig zu beantworten. Ich bin einer von 200 Nationalräten. Am Schluss zählt auch hier die Teamleistung. Ich glaube aber, dass ich durch meine politische Präsenz in vielen Bereichen aufzeigen konnte, dass es die Romanen überhaupt noch gibt. Davon profitiert der Kanton Graubünden, auch touristisch gesehen. Hinsichtlich meiner Familienpolitik hoffe ich, dass wir nächstes Jahr im Kampf um die steuerfreien Kinderzulagen Erfolge verzeichnen können. Unsere Initiative wird im ersten Halbjahr 2015 zur Volksabstimmung kommen.

Silva Semadeni, Sie setzen sich für den Naturschutz ein, Sie haben sich gegen die Olympischen Winterspiele in Graubünden eingesetzt und äussern sich zu Fragen rund um die Wasserkraft. Ihr grösster Erfolg?

Silva Semadeni: Sie haben es bereits erwähnt: das Nein zu den Olympischen Winterspielen. Darüber freue ich mich heute noch jeden Tag. Und natürlich die Zweitwohnungsinitiative sowie das Raumplanungsgesetz. Ich war Erstinitiantin bei der Landschaftsinitiative. Wir konnten sie zurückziehen, das Raumplanungsgesetz ist daraufhin im Parlament revidiert worden. Darauf bin ich stolz.

Zurzeit wird diskutiert, ob man die Wölfe abschiessen darf, wenn sie zu einem Problem werden.

Silva Semadeni: Das wäre zu kurz gegriffen. Wölfe, die einen grossen Schaden anrichten, ja. Aber es muss klar geregelt sein. Man darf sie nicht einfach abschiessen.

Martin Candinas: Wölfe muss man schneller abschiessen können. Wir sind ein Tourismuskanton, ein Landwirtschaftskanton. Wölfe hat es genug in anderen Ländern.

Die zweite Gotthardröhre, wollen Sie die?

Martin Candinas: Auf jeden Fall. Ich möchte den ganzen Ausweichsverkehr nicht durch Graubünden haben. Es darf nicht sein, dass alle Dörfer an der San-Bernardino-Strecke vom Verkehr überschwemmt werden.

Silva Semadeni: Sie ist verfassungswidrig. Wir wollen eine Verlagerung auf die Schiene, und letztlich soll die Neat rentieren.

Schauen wir nach vorne auf die Wahlen 2015. Es ist bereits bekannt, dass Sie beide wieder für Ihre Parteien antreten. Silva Semadeni, wenn man das Stimmenpotenzial der SP von den letzten Wahlen anschaut, haben Sie einen Sitz auf sicher. Geht die SP, wie schon bei den letzten Wahlen, eine Listenverbindung mit den Grünen oder den Grünliberalen ein, um einen zweiten Sitz zu erhalten?

Silva Semadeni: Das müssen wir zuerst noch diskutieren. Entschieden haben wir noch nichts. Aber es ist eine Möglichkeit.

Man lässt sich also noch nicht in die Karten blicken?

Silva Semadeni: Wie gesagt, wir haben das noch nicht im Detail besprochen. Wir müssen zuerst wissen, was die anderen Parteien vorhaben. Es spielt eine grosse Rolle, ob die SVP alleine antritt oder nicht.

Sie haben mir vorher nicht wider- sprochen, als ich sagte, dass die SP einen Sitz auf sicher hat. Sie gehen in diesem Fall also wieder nach Bern?

Silva Semadeni: Das entscheidet das Bündnervolk.

Martin Candinas, die CVP holte sich letztes Mal ein Restmandat. Sie konnten also nicht ganz direkt mit Ihrer Stimmenanzahl einen Sitz abholen. Machen Sie sich mehr Sorgen als die SP?

Martin Candinas: Unser Ziel ist ganz klar, ein Vollmandat zu holen. Wir führen bereits Diskussionen. Wir brauchen hierfür eine starke Liste, auch von der Jungpartei.

Und Listenverbindungen?

Martin Candinas: Das ist sekundär. Wichtig ist, dass wir als Einheit auftreten, Gas geben und zeigen, dass die CVP für den Kanton sehr wichtig ist.

Ich möchte mit Ihnen noch einen Blick in die Zukunft werfen. Was ist das wichtigste Thema in Bundesbern für Graubünden in den nächsten Jahrzehnten?

Martin Candinas: Für mich von grösster Bedeutung ist das Zweitwohnungsgesetz. Da werden wir kämpfen müssen. Wir wissen, dass ein Referendum kommen wird. Das liegt auf der Hand. Deswegen müssen wir uns sehr gut vorbereiten, und wir dürfen nicht zu vorschnell Kompromisse eingehen. Wir brauchen ein liberales Gesetz, sonst hat unser Kanton ein massives Problem in der Zukunft.

Silva Semadeni: Das Zweitwohnungsgesetz ist auch für mich ein wichtiges Thema. Landschafts-, Natur- und Ortsbilder sind bedeutend für den Tourismus. Das Zweitwohnungsgesetz muss gut umgesetzt werden, und zwar so, dass kein Referendum nötig ist. Von Bedeutung für den Kanton Graubünden ist aber auch die Energiestrategie, also der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Ausstieg aus der Atomenergie. Das ist eine Chance für Graubünden. Zudem müssen wir die Wasserzinsen für die Gemeinden und den Kanton sichern.

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