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Was ist ein Schweizer?

Christoph Blocher muss es wissen. Er ist kein Städter, kein Romand und gegen den EU-Beitritt. Also ist er ein Schweizer. Alle anderen nicht. So einfach ist das.

Südostschweiz
01.03.14 - 01:00 Uhr

Von David Sieber

Christoph Blocher muss es wissen. Er ist kein Städter, kein Romand und gegen den EU-Beitritt. Also ist er ein Schweizer. Alle anderen nicht. So einfach ist das. Das knappe Ja zur Masseneinwanderungsinitiative hat ihm, dem Bewahrer des Vaterlandes, und seinem Knappen Roger Köppel, dem «Weltwoche»-Hauptschriftleiter, die Sinne vernebelt.

«Die Welschen hatten immer ein schwächeres Bewusstsein für die Schweiz», sagte Blocher nach der Abstimmung in einem Interview. Das Nein der Städte zur Initiative kommentierte der Grossvater der konservativen Revolution in einem anderen Interview so: «Städter eben. Die politische Ausrichtung der Städte ist leider grün-links. Die wollen, wie die SP im heutigen Programm schreibt, in die EU.» Und Köppel, der die welsche Widerspenstigkeit immerhin als grösste nationale Tugend pries, schrieb in einem Editorial: «Wer für den EU-Beitritt ist, kann definitionsgemäss kein Schweizer mehr sein.»

So eingeteilt wurde ein Volk schon lange nicht mehr. Jedenfalls nicht in Europa, in dem die Schweiz trotz allem noch liegt (und wo sie in der ganz rechten Ecke viele neue «Freunde» gewonnen hat). Drei Wochen nach dem Urnengang fragt man sich: Denken noch mehr wie die Sieger vom 9. Februar? Entfaltet das verspritzte Gift subkutan seine Wirkung? Wo bleibt der Widerspruch jener 49,7 Prozent, die der Initiative eine Absage erteilten; wo jener der Ja-Sager, die nicht wegen, sondern trotz der SVP dem Volksbegehren zum Durchbruch verholfen haben? Ist die Agonie so gross? Und weshalb?

Scheinheilig betont die SVP, dass nun alle zusammenstehen müssten, um mit guten Lösungen den Volkswillen umzusetzen. Alle? Auch Städter, Romands und EU-Befürworter? Was genau könnte denn deren Rolle sein? Ergebenes Stimmvieh bei der nächsten Durchsetzungsinitiative? Unter- tanen einer Elitepartei, welche vorgibt, die Schweiz zu retten, sie aber spaltet? Der Entscheid ist zu akzeptieren, keine Frage. Aber warum sollen sich die Verlierer von einer Partei vorführen lassen, deren Kernkompetenz die Problembewirtschaftung, nicht -beseitigung ist?

Es gibt keine guten und schlechten Schweizer. Schweizer sein ist kein Charakterzug. Es ist Zufall. Wenn es eine Eigenschaft gibt, die uns auszeichnen sollte, dann Dankbarkeit, dass wir nicht in Somalia oder Nordkorea geboren worden sind. Dankbarkeit auch, dass wir in einem Land leben, dessen liberale Werte nicht nur für die Wirtschaft gelten, sondern auch für die individuelle Entwicklung. Aus der Freiheit des Denkens (und Handelns) entsteht Vielfalt. Der 9. Februar darf nicht als Tag in die Geschichte eingehen, an dem die Einfalt Einzug hielt.

dsieber@suedostschweiz.ch

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