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Von Swiss-Ski zur WM-Projektleiterin

Im Mai hat sich Swiss-Ski überraschend von Guri Hetland getrennt. Die 40-jährige Norwegerin spricht im Interview über diese Scheidung, ihre vier Jahre als Trainerin der Schweizer Langläufer und über ihre neue Aufgabe.

Südostschweiz
21.11.14 - 01:00 Uhr

Mit Guri Hetland sprach Hansruedi Camenisch

Guri Hetland, in der Schweiz ist es um Sie still geworden, seit Ihr Vertrag als Langlauf-Trainerin von Swiss-Ski am 10. Mai nicht verlängert wurde. Was machen Sie jetzt?

Guri Hetland: Ich erhielt nach dem Aus bei Swiss-Ski sofort interessante Angebote, wollte aber nichts überstürzen; deshalb nahm ich im Sommer eine kurze Auszeit. Im Herbst bekam ich eine spannende Anfrage aus Trondheim. Die Stadt in Mittelnorwegen wird sich für die Nordischen Ski-Weltmeisterschaften 2021 bewerben und hat mich als Projektleiterin engagiert. Da bin ich für die ganze Bewerbung verantwortlich, also nicht nur für die sportliche Planung, sondern auch für den wirtschaftlichen und finanziellen Bereich.

Wie gross stufen Sie die Chancen ein, dass Trondheim die Titelkämpfe erhält?

Wir bewerben uns für WM 2021, aber wir wissen dass es nicht einfach ist. sich beim ersten Versuch durchzuschlagen. Wenn nicht 2021, dann 2023 oder sogar 2025. Der norwegische Skiverband hat sich bereits für Trondheim ausgesprochen. International ist die Konkurrenz gross. Oberstdorf in Deutschland scheiterte bei der Wahl schon vier Mal, Planica in Slowenien zwei Mal. Trondheim will sich ins Gespräch bringen – und natürlich die Wahl gewinnen. Die Stadt ist sehr sportfreundlich, nicht nur für den Spitzensport. In nächster Zeit investiert sie unabhängig von der WM-Kandidatur 110 Millionen Franken in die Sport-Infrastruktur.

Sind Sie als WM-Projektleiterin in Trondheim vollzeit angestellt?

Eigentlich schon. Ich mache aber weiterhin das Management für die Weltklasse-Langläuferin Marit Björgen. Daneben bin ich noch in ein paar Vorständen tätig. Langweilig wird es mir nie (lacht).

«Es läuft etwas falsch, auch sportpolitisch»

Nordische Weltmeisterschaften sind für Trondheim erstrebenswert. Für eine Olympia-Kandidatur 2022 hat hingegen die Bevölkerung von Oslo genauso wie jene in Graubünden Nein gesagt.

Ich finde es schade. Winterspiele sollten dort ausgetragen werden, wo der Wintersport verankert ist und Tradition hat. Doch die meisten Wintersport-Nationen wollen keine Olympischen Spiele mehr. Das ist ein klares Zeichen gegenüber dem Internationalen Olympischen Komitee.

Was muss sich ändern?

Die Winterspiele sind sehr, sehr gross geworden. Sie kosten brutal viel Geld. Das IOC hat Kriterien, die nur schwierig zu erfüllen sind. Wenn die Schweiz und Norwegen als wirklich reiche Länder keine Winterspiele mehr durchführen wollen, läuft etwas falsch, auch sportpolitisch. Es ist eine schlechte Entwicklung, wenn sich nur noch nicht ganz demokratische Staaten für die Durchführung von Olympischen Winterspielen interessieren. Zurzeit laufen im IOC Reformprozesse. Ich denke, dass der neue IOC-Chef Thomas Bach etwas bewegen wird.

Die Trennung von Swiss-Ski kam überraschend. Im neuen Angebot hätten Sie primär nur noch für die Organisation und die Kommunikation im Langlauf-Bereich zuständig sein sollen, aber nicht mehr fürs Training.

Das ist richtig. Swiss-Ski entschied sich für eine neue Strategie. Meine Rolle wäre eingeschränkt wor- den. Ohne Trainingsverantwortung stimmte es für mich nicht mehr. Administrative Aufgaben findet man interessantere als in einem Skiverband. Ich hätte gerne wie bisher weitergemacht, musste aber respektieren, dass die Chefs etwas anderes wollten. Für Veränderungen, sprich neue Leute im Team, wäre ich offen gewesen.

«Nicht involviert in Entscheidungsprozess»

Wie gross war Ihre Enttäuschung?

Trainerwechsel und Strategiewechsel gehören zum Spitzensport. Und nach Olympischen Spielen ist der richtige Zeitpunkt dafür. Mich enttäuschte, dass der ganze Entscheidungsprozess verlief, ohne dass ich involviert wurde. Ich habe aber kein Problem, den Entscheid zu akzeptieren.

Sie begleiteten die Schweizer Langläufer während eines ganzen Olympia-Zyklus, vom Herbst 2010 bis Ende letzter Saison. Woran erinnern Sie sich am liebsten?

Es gab viele schöne Momente und Höhepunkte. Besonders in Erinnerung bleiben mir die Zusammenarbeit und die Kontakte mit den Athleten – all die Trainingsdiskussionen und Trainingseinheiten. Es ist ein spezielles Leben. Man lebt sehr eng zusammen und ist mehr als 200 Tage pro Jahr gemeinsam unterwegs; inklusive der täglichen Arbeit im Trainingsstützpunkt Davos sind es gar noch mehr. An die dynamische Zusammenarbeit erinnere ich mich mit Freude. Speziell waren natürlich auch die sportlichen Höhepunkte im Frühling an den Olympischen Spielen in Sotschi und letztes Jahr an den Weltmeisterschaften im Val di Fiemme. Ein besonderes Erlebnis waren für mich auch die Weltmeisterschaften in Oslo. Sie verliefen resultatmässig nicht wie verhofft, aber ich konnte viele wertvolle Erfahrungen sammeln.

Was hat Sie persönlich in den vier Jahren am meisten geprägt?

Es war eine spannende Herausforderung als Ausländerin in einem anderen Land als Trainerin zu arbeiten mit einer anderen Kultur und anderen Sprachen. Es dauerte etwas Zeit, bis ich das Gefühl hatte, jetzt bin ich gut drin. Ich habe viel gelernt. Wenn man mit Athleten, Betreuern und Serviceleuten arbeitet, lernt man immer; es geht um Kommunikation und zwischenmenschliche Mechanismen. Im Spitzensport ist das intensiver als sonst im Berufsleben.

Gibt es etwas, das Sie rückblickend anders machen würden.

Ja, bestimmt. Als Trainerin musste ich viele Entscheide treffen. Es gibt Situationen, die ich anders hätte beurteilen können.

«Olympia-Staffel würde ich anders anpacken»

Konkret?

Das Thema Olympia-Staffel würde ich anders anpacken. Ich hätte vor Sotschi mit den Athleten verschiedene Varianten diskutieren sollen. Weil sich Dario Cologna am 11. November 2013 eine schwere Fussverletzung zuzog, gerieten wir in eine spezielle Phase. Dario trainierte wegen seiner Reha nicht mehr wie gewohnt mit dem Team. Ich versuchte, sowohl das Team als auch Dario bestmöglich zu betreuen. Es stellte sich dann die Frage, wie viele Wettkampfeinsätze Dario in Sotschi zugemutet werden können. Deswegen wollte ich über die Staffelbesetzung in Vorfeld nicht gross diskutieren. Das hätte ich, im nachhinein betrachtet, anders anpacken sollen.

«Mein Herz schlägt für die Schweizer Langläufer»

Der Zeitpunkt für die Trennung lag ungünstig. Mitte Mai hatten alle grossen Skinationen ihre Trainerpositionen bereits besetzt. Würden Sie sonst jetzt mit einer anderen Langlauf-Nation arbeiten?

Nein, ich erhielt sofort Angebote. Für mich war aber rasch klar, dass ich nicht direkt in eine andere Mannschaft einsteigen wollte. Im April und bis 10. Mai hatte ich bereits die Planung für die neue Saison für die Schweizer Langläufer gemacht. Mein Herz schlägt für sie. Für mich wäre es nicht möglich gewesen, eine gute Arbeit in einem anderen Land mit anderen Athleten zu machen. Ich schliesse aber nicht aus, dass ich wieder einmal als Trainerin arbeiten werde.

Was wäre geschehen, wenn die Trennung aufs Ende der letzten Saison schon im Februar oder März bekannt geworden wäre?

Dann wäre die Ausgangssituation anders gewesen. Dann hätte ich mich vielleicht nach einem anderen Trainerposten umgesehen.

Ärgert Sie die späte Entscheidung von Swiss-Ski im nachhinein?

Ich bin der Typ, der lieber voraus- als zurückschaut. Es bringt nichts, sich jetzt deswegen zu ärgern.

Schon Mitte März stand fest, dass Ihr Ehemann Tor-Arne Hetland seine Tätigkeit als Trainer der Schweizer Langlauf-Sprinter nicht fortsetzen würde. Was macht er jetzt?

Er arbeitet als Trainer des kanadischen Weltcup-Teams sowohl für die Distanzläufer als auch für die Sprinter. Bis zum Saisonbeginn war er jeweils zwei, drei Wochen in Kanada und danach zwei, drei Wochen in Davos.

Dann werdet Ihr Euren Wohnsitz in Davos behalten?

Vorläufig bleiben wir bestimmt in Davos. Wir fühlen uns sehr wohl hier. Die Kanadier wünschten sich einen Trainer mit Wohnsitz in Europa, weil sie sich von November bis Ende März ohnehin hier befinden. Für mich ist das WM-Projekt Trondheim mit viel internationaler Arbeit verbunden. Ich weile phasenweise in Norwegen, kann aber vieles auch von Davos aus erledigen.

Wenn Sie in Davos weilen, begeben Sie sich natürlich auch auf die Loipe. Kürzlich trafen Sie dort Dario Colognabeim Training. War das ein komisches Gefühl?

Nein, ich habe mit Dario und auch mit anderen Läufern noch regelmässig Kontakt. Ich finde es immer «cool», sie wieder zu treffen. Während meiner Zeit als Trainerin verbrachten wir viel Zeit miteinander. Da ist es nur logisch, dass wir weiterhin ab und zu Kontakt pflegen.

Im kommenden Februar finden die nordischen Weltmeisterschaften im schwedischen Falun statt. Für wen wird Ihr Herz schlagen: für ihre norwegischen Landsleute oder für die Schweizer?

Für beide. Ich hoffe wirklich, dass die Schweizer gut abschneiden und wünsche ihnen das Beste. Mit Ivan Hudac haben sie einen guten Trainer. Ich glaube, dass sie gut auf die Saison vorbereitet sind und hoffe, dass sie ihr Potenzial ausschöpfen können; das würde mich begeistern.

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