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Von den «Grossen» und den «Kleinen»

Die politische Diskussion um das Tourismusabgabengesetz (TAG) wurde leider immer wieder auf eine Auseinandersetzung zwischen den grossen und den kleinen Tourismusregionen in Graubünden reduziert.

Südostschweiz
27.04.12 - 02:00 Uhr

Graubünden aber ist ein ganzheitlicher Tourismusraum. Gerade hier ist auch eine der grössten Stärken der Vorlage, weil sie explizit eine kantonale Vereinheitlichung bringt, ein Zusammenrücken und eine Bündelung der Kräfte. Auf Gesetzesebene wird die Gemeinsamkeit und schliesslich die Schlagkraft des Bündner Tourismus gestärkt. Das TAG ist die Konsequenz der erfolgreich laufenden Bündner Tourismusreform. Eine Reform, die draussen in den Regionen bereits sehr viel Wirkung erzielt. Strukturen werden bereinigt, effizienter gestaltet, neue Angebote entwickelt, und das Tourismusbewusstsein wird gestärkt. Die Bündner Tourismusreform ist als Prozess zu verstehen und bis heute eine Erfolgsgeschichte.

Das nun vor allem auch strategiepolitisch angezettelte Scheingefecht zwischen den grossen und den kleine Tourismusregionen ignoriert die gegenseitige Abhängigkeit. Was macht den Tourismuskanton Graubünden aus? Welche Bilder haben Menschen im Kopf, wenn sie sich entscheiden in Graubünden Ferien zu machen, zu wohnen oder zu arbeiten? Das Naturmonument Ruinaulta und die Rhätische Bahn, die sich dem Vorder-rhein entlang in die Surselva hinaufschlängelt. Die Therme in Vals. Die Arven im God da Tamangur. Das wunderbare Fextal. Das spektakuläre Bergell. Die Biosfera Val Müstair. Die Biowurst von Paul und Romana Nicca aus Donat. Das Bier aus Tschlin. Der Wein aus Maienfeld. Die Sunnibergbrücke in Klosters, der Filisurer Viadukt, Origen im Sursès, Nairs in Scuol. Die sympathischen Deutschbündner Dialekte, das Romanische und das Italienische. Stein aus dem Calancatal, Wasser aus Passugg, Sonnenenergie aus Tenna. Mistail, Stuls und Guarda … Jenisberg, Scatlé und Plaun la Greina … Das sind nur wenige der sehr vielen modernen und traditionellen Imageträger von Graubünden. Das sind Bilder, die Graubünden ausmachen . Diese unverwechselbaren Natur- und Kulturwerte sind natürlich nicht einfach rückwärtsgewandt zu verstehen. Vielmehr kann darauf aufbauend qualitätsvolle, moderne und urbane Realität entwickelt und umgesetzt werden. Da vergeben wir leider viele, viele Chancen, indem wir die Landschaft mit austauschbaren Banalitäten verstellen. Diese Bilder sind nicht nur entscheidend für die Bündner Leitbranche, den Tourismus, sondern auch für Graubünden als Wirtschaftsstandort. Auch diverse Unternehmen profitieren von den Werten, die Graubünden prägen, weil sie ihren Produkten eine Aura, Substanz und Qualität versprechende Herkunft geben.

Graubünden hat neben «Swissness» auch «Grisonness». Wir brauchen kein Matterhorn, wir haben Graubünden! Ein Standortvorteil, der durch die Implementierung der Marke Graubünden werthaltig, aber allgemein noch viel zu wenig erkannt, gepflegt, gesichert und entwickelt wird. Im Zusammenhang mit dem TAG ist aber nun das Entscheidende, dass es genau die sogenannt «Kleinen» sind, die diese Werte und Bilder haben und pflegen, von denen insbesondere auch die «Grossen» profitieren. Zudem sind die «Kleinen» die «Grossen», wenn es um die Kulturlandschaft geht. Rund 80 Prozent der Fläche Graubündens sind vor allem landwirtschaftlich gepflegte Kulturlandschaften, noch mehrheitlich intakte Siedlungsgebiete und Naturräume. Im Gegenzug sind es die «Grossen», die als Leuchttürme viele Gäste nach Graubünden bringen und beherbergen.

Sehr schade und einmal mehr destruktiv, dass parteipolitisch geprägte Absichten das TAG als vermeintlich dankbare Referendums-Bühne missbrauchen. Zu hoffen bleibt, dass alle Bündner Tourismusorte die Ganzheitlichkeit erkennen und mittragen. Eine erfreulich starke Mehrheit des Grossen Rates hat sich auf jeden Fall nicht auseinanderdividieren lassen und die gegenseitige Abhängigkeit im Bündner Tourismus zwischen den «Grossen» und den «Kleinen» erkannt.

Gross und Klein gibt es nicht. Es gibt nur ein Graubünden. Diese Erkenntnis ist das gewinnbringende Herzstück der Tourismusreform und des TAG.

Stefan Forster ist Professor am Institut Umwelt und Natürliche Ressourcen IUNR der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW. Er leitet die Fachstelle für Tourismus und nachhaltige Entwicklung, eine Bündner Aussenstelle der ZHAW, im Center da Capricorns in Wergenstein. (stefan.forster@zhaw.ch)

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