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«Verarbeitung verläuft sehr individuell»

Der Psychotherapeut und Psychologe Felix Hof erklärt, was schwerwiegende Traumata für die Betroffenen und ihr Umfeld bedeuten. Und wieso eine Begegnung zwischen Opfer und Täterin anzustreben ist.

Südostschweiz
23.11.14 - 01:00 Uhr

Der Psychologe Felix Hof erläutert, was mit Menschen passiert, die ein Trauma erleben – und was ihnen helfen kann

Von Urs Schnider

Herr Hof, Was passiert nach einem Unfall wie jenem in Eschenbach (siehe Artikel) mit Betroffenen?

Felix Hof: Ein Unfallereignis mit Todesfolgen ist für alle Beteiligten ein sehr schwerwiegendes kritisches Lebensereignis, welches nachhaltig, bisweilen lebenslänglich prägt und je nach Verarbeitungsmöglichkeiten oder Verarbeitungsstrategien dauerhaft zu psychischen und psychosozialen Beeinträchtigungen führen kann.

Was bedeuet das konkret?

Konkret kann das bedeuten, dass die Betroffenen über ganz lange Zeit, wir sprechen von Monaten bis Jahre, in ihren Lebens- und Entwicklungsmöglichkeiten beeinträchtigt, allenfalls sogar dauerhaft behindert werden.

Können Sie beschreiben, wie Betroffene in solchen Fällen reagieren?

Menschen reagieren auf solche Schreckensereignisse – insbesondere, wenn sie abschliessend und nicht mehr korrigierbar sind – mit unbeschreiblichem Schmerz, heftigster Trauer, totalem Entsetzen, Sprachlosigkeit, Nichtwahrhabenwollen, Wut, bis hin zu totalen Zusammenbrüchen. Die Heftigkeit der Reaktion hängt davon ab, wie intensiv die Beziehung zu und mit dem verstorbenen Menschen gewesen ist. Besonders schlimm wird es dann, wenn gerade erst ein geliebter Mensch verstorben ist und dann noch ein plötzlicher Verlust durch Tod hingenommen werden muss.

Was sind die möglichen Folgen solcher Traumata?

Folgen können das wiederholte psychische Erleben des Traumas sein, ein Gefühl des Betäubtseins, der emotionalen Stumpfheit, Angst. Panik, oder Aggression. Gleichzeitig kann ein Zustand von Übererregung, Schreckhaftigkeit und Schlaflosigkeit eintreten. Angst und Depressionen bis hin zu Suizidgedanken sind zudem nicht selten. Gelingt die Verarbeitung eines Traumas nicht, kommt es zu einer längerfristigen Perönlichkeitsveränderung.

Ist der unterschiedliche Umgang der Betroffenen mit einem Verlust üblich?

Die Verarbeitung von Traumatas und Verlusterlebnissen verläuft sehr individuell. Menschen haben sehr unterschiedliche Strategien, ihr Leben und die sich darin stellenden Lebensaufgaben, so schlimm sie auch sein mögen, zu bearbeiten. Es gibt Menschen, die sehr offensiv sind, ihre Not mit anderen teilen, Hilfe suchen und die Anteilnahme wollen. Es gibt auch Menschen, die sich zurückziehen oder in der Lähmung verharren. Wegweisend für die Verarbeitung ist natürlich immer die bereits bestehende Lebensgeschichte, die gefühlsmässige und körperliche Nähe und Bindung zum beziehungsweise mit dem Verstorbenen. Und schliesslich das, was an Problem- bewältigungsstrategien gelernt worden ist sowie ob und wie sich diese bewährt haben.

Der Vater des Getöteten spricht bewusst darüber. Er benennt direkt auch Details der schweren Verletzungen seines Sohnes. Ist das gesund, kann das helfen, das Erlebte zu verarbeiten?

Man nennt dies offensives oder proaktives Verarbeiten. Vielfach hilft dies sehr. Wie auch Trauerrituale, ein wiederkehrendes darüber Reden, Erinnerungen über den verstorbenen Menschen austauschen. Hilfreich sind auch das Aufsuchen des Ortes, wo die Überreste des Verstorbenen sind, oder von Orten, welche zu Lebzeiten miteinander geteilt worden sind. Selbst Erinnerungsgegenstände an den Verstorbenen können den Hinterbliebenen das Leben wieder leichter oder lebenswerter machen. Wichtig ist der Leitsatz: Der Mensch, den wir verloren haben, will nicht, dass wir unser Leben nicht mehr meistern können, nicht mehr vorwärtskommen. Oder dass wir wegen und durch ihn beschwert sind. Aber er will, dass wir sein «Erbe» antreten und sorgsam mit dem umgehen, was er uns in der Beziehung mit ihm gegeben hat.

Gibt es bei der Verarbeitung typische unterschiedliche Verhaltensweisen von Mann und Frau – im Sinne von Emotion versus Ratio?

Ja, es gibt markante geschlechtsspezifische Unterschiede in der Art und Weise wie mit Traumatas oder plötzlichen Verlustereignissen umgegangen wird.

Schliesslich ein Wort zur Unfallverur- sacherin. Was wäre für sie wichtig bezüglich Verarbeitung?

Wir müssen davon ausgehen, dass die Unfallverursacherin und ihr soziales Umfeld ebenfalls schwerwiegend traumatisiert sind.

Wäre ein Kontakt der Beteiligten – allenfalls «moderiert» – eine mögliche Herangehensweise?

Eine moderierte Begegnung ist unbedingt anzustreben. Dann kehren Realität, Ausgleich – und vielleicht auch ein Stück Versöhnung und Loslassung ein.

*Felix Hof ist lic. phil. I, Psychotherapeut und Psychologe FSP. Er betreibt eine Praxis in Zürich und ist Chefpsychologe im Rekrutierungszentrum der Schweizer Armee in Rüti. Kontakt: hilfe@felixhof.ch, 079 786 74 28.

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