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Textilarbeiter gehen nach Fabrikfeuer auf die Strasse

Nach dem verheerenden Fabrikfeuer vom Wochenende mit mehr als 100 Toten fürchtet Bangladeschs Textilbranche um ihre Aufträge.

Südostschweiz
27.11.12 - 01:00 Uhr

Neu-Delhi. – Tausende von Textilarbeitern – der überwiegende Teil Frauen – zogen gestern in einem wütenden Protest durch die Strassen des Industrieviertels Savar rund 34 Kilometer von Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, entfernt. Sie warfen Steine und lieferten sich Scharmützel mit Polizisten und Soldaten, die von der Regierung aufgeboten worden waren. Rund 200 von Bangladeschs 4500 Textilfabriken mussten angesichts des Protests schliessen.

Brandstiftung, kein Kurzschluss

Anlass der zornigen Demonstrationen war der Grossbrand in der achtstöckigen Fabrik von Tazreen Fashion in der Nacht auf Sonntag, bei dem laut lokalen Medien mindestens 124 Menschen starben (Ausgabe von gestern). Das Fehlen von Notausgängen hatte zur grossen Opferzahl geführt. Die Brandursache war nach Angaben von Bangladeschs Premierministerin Sheikh Hasina Brandstiftung, und nicht wie zuerst vermutet ein Kurzschluss. «Es war kein Zufall. Es war im Voraus geplant», sagte Hasina im Parlament in Dhaka. Sie habe Bilder von Überwachungskameras gesehen. Zwei Männer seien festgenommen worden. «Diejenigen, die hinter dem Sabotageakt stecken, werden ebenfalls gefasst werden», sagte die Premierministerin weiter. Einer der Männer habe gestanden, für die Brandstiftung 20 000 Taka (etwa 225 Franken) erhalten zu haben.

Die Regierung in Bhaka entschied am ersten Sitzungstag nach der Tragödie, den heutigen Dienstag zum nationalen Tag der Trauer zu erklären. Die Nationalflagge solle auf halbmast wehen und alle Textilfabriken im Land, die Millionen Menschen beschäftigen, geschlossen bleiben.

Betreiberfirma des abgebrannten Textilwerkes ist die Tazreen Fashion Limited, die für verschiedene europäische und US-amerikanische Firmen produziert, darunter auch für das deutsche Bekleidungsunternehmen C&A. Dieses reagierte bestürzt auf den Grossbrand. «Unser Mitgefühl gilt den Opfern dieses furchtbaren Unglücks sowie deren Familien und Angehörigen», sagt der C&A-Sprecher Thorsten Rolfes.

1250 Dollar Entschädigung

«Für den Ruf unserer Industrie ist nichts so schlimm wie ein Fabrikfeuer», hatte bereits vor Wochen ein Fabrikant aus Dhaka gewarnt. Bangladesch ist heute nach China der zweitgrösste Textilexporteur der Welt. Der Verband der Textilproduzenten in Dhaka verspricht nun, den Angehörigen der Todesopfer eine Entschädigung von rund 1250 Dollar zu zahlen. Die Summe erscheint angesichts der monatlichen Löhne in Höhe von 60 bis 80 Dollar relativ hoch. Dennoch handelt es sich allenfalls um einen Versuch der Augenwischerei. Denn es gibt keine Anzeichen, dass die Unternehmer oder die Regierung des Landes ihren bisherigen Kurs, der einer Art «Textildiktatur» ähnelt, aufgeben wollen. Textilunternehmer manipulieren mithilfe von Zeitungen und Fernsehstationen, die ihnen gehören, die öffentliche Meinung.

Laut Aussage von Ineke Zeldenrust von der Clean Clothes Campaign können sich die ausländischen, vorwiegend westlichen Unternehmen, die Aufträge nach Bangladesch vergeben, nicht aus der Verantwortung stehlen: «Diese Konzerne wissen seit Jahren, dass es sich bei den Fabriken um Todesfallen handelt. Ihr Verhalten grenzt an kriminelles Verhalten.»

«Die Textilindustrie bringt eine Revolution nach Bangladesch», hatte 1998 noch eine Vertreterin der Grameen Bank in Dhaka geschwärmt, die mit Mikrokrediten die Armut bekämpfte. «Zum ersten Mal in der Geschichte unseres islamischen Landes arbeiten junge Frauen ausserhalb ihres Zuhauses.» Doch der soziale Fortschritt hatte seinen Preis. Über 90 Prozent der Arbeiterinnen – fast alle Angestellte der Textilindustrie sind weiblich – stammen aus den Provinzen. Viele fingen bereits als Teenager an. Sie müssen sechsmal die Woche zehn bis 14 Stunden lang arbeiten. Zudem verschlimmerten sich die Arbeitsbedingungen, weil mittlerweile von China bis nach Kambodscha versucht wird, mit möglichst geringen Produktionskosten die Billigkonkurrenz noch zu unterbieten. (wg/sda)

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