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«Tempo 30 steigert die Wohnqualität und lässt erst noch viel Geld sparen»

Die Grünliberalen wollen das Volk entscheiden lassen, wie viel Tempo-30-Zonen es in Chur geben soll. Sie sehen die dringende Lärmsanierung an vielen Churer Strassen als Argument für ein Ja zu ihrer Initiative.

Südostschweiz
11.11.13 - 01:00 Uhr

norbert waser

Eines muss man den Initianten aus der Grünliberalen Partei lassen, sie haben in Sachen Unterschriftensammeln einen langen Atem bewiesen. Als manch einer glaubte, die im Wahlkampf lancierte Volksinitiative «Tempo 30 in ganz Chur» sei nicht zustande gekommen, reichte die GLP im Januar 2013 ihr von 827 Stadtbewohnern unterzeichnetes Volksbegehren ein. «Tempo 30 ist für uns nicht bloss ein Wahlkampfthema, mehr Sicherheit auf den Strasssen und mehr Wohnqualität, nicht zuletzt durch weniger Lärm und Abgase, sind Kernanliegen unserer Partei», sagt Grossrat und Gemeinderat Jürg Kappeler, der eben erst das Präsidium der Kantonalpartei an den Davoser Christian Stricker abgegeben hat.

Gegenvorschlag genügt nicht

Mit einem Achtungserfolg, nämlich einer Erweiterung der Tempo-30-Zonen um 20 Prozent – wie das der Stadtrat in seinem Gegenvorschlag vorsieht – gibt sich die GLP aber nicht zufrieden. «Wir sind überzeugt, dass wir gute Gründe haben, an der Umsetzung von Tempo 30 gemäss unserer Initiative festzuhalten», betonen Schneeberger und Kappeler im Gespräch mit dem BT. «Der Gegenvorschlag ist völlig inkonsequent und teils völlig widersprüchlich.» So anerkenne der Stadtrat, dass Tempo 30 zwar unbestritten die Sicherheit und Wohnqualität in den Quartieren erhöhe und die Anzahl und Schwere von Unfällen abnehme, trotzdem stelle er sich gegen eine stärkere Ausweitung der Tempo-30-Zonen.

Braucht es zusätzliche Busse?

Der grösste Unterschied zwischen Initiative und Gegenvorschlag sind die Quartierstrassen mit Buslinien. Der Stadtrat möchte diese von Tempo 30 ausnehmen und begründet dies mit der bedrohten Betriebsstabilität und der erforderlichen Anschaffung von zusätzlichen Fahrzeugen, was zu Mehrkosten von bis zu einer Million Franken pro Jahr führen könnte. Bei der Buslinie 4 würde sich die Umlaufzeit durch die Temporeduktion um gut vier Minuten verlängern. «Die von der Stadt in Auftrag gegebene Beurteilung berücksichtigt die aktuelle Situation mit Verkehrsüberlastungen in keiner Weise», kritisieren die Initianten. Sie vermuten, dass auch schon bei der aktuellen Verkehrssituation zusätzliche Fahrzeuge angeschafft werden müssten, umd die Betriebsstabilität zu gewährleisten. Eine Inkonsequenz sehen sie auch darin, dass der Stadtrat in der Botschaft zwar darauf hinweist, dass auch auf Buslinien bei speziellen Gegebenheiten wie Kindergärten Tempo 30 eingeführt werden könnte. Dies würde beispielsweise auf die Loëstrasse zutreffen, für die gemäss Gegenvorschlag aber kein Tempo 30 vorgesehen ist.

9000 lärmgeplagte Personen

Erstaunt ist die GLP auch, dass der Stadtrat der Lärmthematik keine grössere Bedeutung einräumt, obwohl er darauf in der Boschaft explizit eingeht. «In Chur leben rund 9000 Personen an Strassen mit Lärmbelastungen über dem Immissionsgrenzwert. Diese Lärmeinwirkung ist potentiell gesundheitsgefährdend», steht da. Und obwohl auch der Stadtrat festhält, dass Tempo 30 statt 50 «eine wirksame und kostengünstige Massnahme zur Strassenlärmsanierung» ist, bleibt er nach Ansicht der GLP auf halbem Wege stehen.

Kostspielige Sanierung

Beim Kantonalen Amt für Natur und Umwelt (Anu) wird der Sachverhalt bezüglich Lärmsanierung bestätigt. So müssen gemäss eidgenössischer Lärmschutz-Verordnung (LSV) Kantons- und Gemeindestrassen bis 2018 saniert werden. Nach ersten Schätzungen betragen die Kosten der Gemeindestrassensanierung in der Stadt Chur rund drei Millionen Franken, wobei der Bund etwa 20 Prozent davon zurückerstattet – unter der Voraussetzung, dass die Gemeindestrassen bis 2018 saniert sind. «Die Entscheidungsträger der Stadt wurden mehrfach über diesen Umstand informiert», sagte Georg Thomann, Abteilungsleiter Luft, Lärm und Strahlung beim Anu, gegenüber dem BT. Ein Lärmbelastungskataster wurde bereits erstellt.

Sanieren heisst: Lärmbelastung derart reduzieren, dass die Immissionsgrenzwerte der LSV eingehalten werden können mit betrieblichen und/oder baulichen Massnahmen. Darunter zu verstehen sind: Verkehrslenkende oder -verkehrsführende Massnahmen (Einbahnstrassen, zeitlich oder örtlich begrenzte Fahrverbote) oder Geschwindigkeitsreduktionen, lärmarme Strassenbeläge oder Lärmschutzwände. «Am kostengünstigsten sind Massnahmen zur Geschwindigkeitsreduktion mit einem Potenzial von einem bis drei Dezibel, je nach Verkehrszusammensetzung, Höhe der Geschwindigkeitsreduktion und effektiv gefahrener Geschwindigkeit», unterstreicht Thomann die Wirksamkeit von Temporeduktionen. Zum Vergleich: Eine Halbierung des Verkehrs bringt drei Dezibel. «Eine Geschwindigkeitsreduktion ist somit eine kostengünstige Möglichkeit, den Lärm zu reduzieren; ob diese Massnahme ausreicht, um einen Strassenzug im Sinne der LSV zu sanieren, muss allerdings im Einzelfall untersucht werden.»

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