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Taktgeber Lucien Favre: «Ein Trainer darf nie stillstehen»

Lucien Favre ist vor der heutigen Begegnung mit seiner alten Zürcher Liebe FCZ im Borussia-Element. Der Schweizer Erfolgstrainer hat Mönchengladbach im oberen Segment etabliert.

Südostschweiz
02.10.14 - 02:00 Uhr

Von Sven Schoch

Fussball. – «Sorry, ich bin busy», entschuldigt sich Favre. Er habe eigentlich keine Zeit. Doch dann hält er trotzdem kurz inne. Nach dem 2:1 am Wochenende gegen Paderborn und vor seiner Rückkehr heute in den Letzigrund. Über den exzellenten Bundesliga-Start will der Westschweizer zunächst nicht sprechen. «Reden wir doch lieber über Zürich. Diese wunderbare Zeit werde ich nie vergessen. Ohne den FCZ hätte ich meinen Weg als Trainer so nicht machen können.»

Favre hat die Höhepunkte noch im Kopf: «Die Flachpassbar, die Fans, die meine Ideen verstanden haben. Der 13. Mai in Basel, dann ein Jahr später der entscheidende Sieg im Hardturm gegen GC.» Für ihn war das Engagement beim FCZ der erste Wechsel in eine andere Sprachregion. Als Spieler unterschrieb Favre nur bei frankophonen Klubs – in Lausanne, Neuenburg, Genf und Toulouse.

Quantensprung dank Favre

«Ich profitiere noch heute von meinen Erfahrungen in Zürich.» Seit mittlerweile elf Jahren ist Deutsch seine Amtssprache. Berührungsängste gibt es für den Romand im kommunikativen Bereich längst keine mehr. Er spricht generell mehr als früher. Das gehöre zum Prozess einer Laufbahn, sagt er: «Ich habe ja auch den Anspruch, dass sich meine Spieler weiterentwickeln, also muss ich selber auch offen sein.»

Er findet: «Ein Trainer darf nie stillstehen». Schon gar nicht in Deutschland. Die Liga habe sich seit seinem Einstand in Berlin (2007) extrem bewegt. Der Fortschritt sei für ihn auf allen Ebenen zu spüren: «Im Nachwuchsbereich haben sie hier extrem viel gemacht. Taktisch sind alle vorangekommen. Die Bundesliga hat grössere finanzielle Möglichkeiten als früher.» Favre, hinter dem Dortmunder Zampano Jürgen Klopp (seit 2008) der dienstälteste Trainer der 18 Erstligisten, spricht von einem regelrechten Boom. In Mönchengladbach ist er selber in einem prosperierenden Verein tätig. Favre ist eine der zentralen Figuren des kräftigen Aufschwungs am Niederrhein. Im Februar 2011 hat er den Klub in einem desolaten Zustand am Ende der Skala übernommen und innert Kürze zurück in die obere Tableauhälfte geführt. Seit der wundersamen Rettung im Frühling vor vier Jahren coachte Favre die Borussia zweimal auf die europäische Bühne. «Mit dem Etat Nummer 11!» Der Hinweis ist ihm wichtig.

«Die Rückkehr ins internationale Geschäft ist gut für den Klub.» Die 96 Prozent ausgelasteten Heimspiele sind oft auch Festspiele. 52 334 Tickets verkaufte Mönchengladbach in der letzten Saison pro Partie – so viele wie nie zuvor.

Auch andere Kennzahlen und Fakten seiner über dreieinhalbjährige Ära sind imposant. 72,2 Prozent der 122 Bundesliga-Partien unter Favres Leitung überstand «Gladbach» ohne Niederlage, 55 Siege zelebrierte die Equipe bei einem respektablen Torverhältnis von 161:119. Mit knapp einem Gegentor pro Match zählt die Borussia über eine ausgesprochen lange Periode zu den defensiv am besten strukturierten Vertretern der Liga. Der Erfolg hat System und vergrösserte die wirtschaftliche Schubkraft im Borussen-Park markant. Das deutsche «Handelsblatt» schätzte im Sommer, dass der Marktwert innerhalb von 36 Monaten um 30 Millionen auf gegen 94 Millionen Euro gestiegen sei. Mit Favre legte der während Jahren klamme Bundesligist monetär beträchtlich zu. Ein Jahr nach dem Rekordergebnis (ein Plus von 15,2 Millionen) veröffentlichte die Finanzabteilung im letzten April erneut einen Gewinn in Millionenhöhe. Nicht nur der Umsatz ist im Schnitt seit der letzten sportlichen Krise um über 34 Millionen Euro angehoben worden. Die «Fohlen» sind begehrt wie lange nicht mehr. 61 000 Mitglieder bekennen sich aktiv zur aufstrebenden Organisation – nur vier Konkurrenten haben höhere Zahlen vorzuweisen. Favre: «Wir sind eine gute Adresse.»

Die goldene Epoche in Erinnerung

Vom ausgezeichneten Image profitieren sie auch während der Transfer- gespräche. In den Verhandlungsrunden mit potenziellen Kandidaten sind die Entwicklungs-Perspektiven kein schlechtes Argument. Die exponentielle Wertsteigerung von Marco Reus hat in Deutschland niemand vergessen. Immer wieder gelingt es Sportchef Max Eberl, Talente wie Max Kruse, André Hahn oder Christoph Kramer oder auch Granit Xhaka in die 255 000-Einwohner-Stadt zu lotsen.

Bis 2017 will der bald 58-Jährige das Spiel der Borussia weiter perfektionieren. So wie er das einst als Aussenseiter in Zürich tat. Am Ende stemmte er die Cup- und zweimal die Meister-Trophäe in die Höhe. Die goldene Epoche von Mönchengladbach liegt indes Jahrzehnte zurück. In den Siebzigerjahren war die Mannschaft um Rainer Bonhof und Günter Netzer unschlagbar gut. «Ich erinnere mich, wie ich sie als Bub bewundert habe», so Favre schmunzelnd. Inzwischen verehren die ergrauten Fohlen-Ikonen ihn: «Wir haben Lucien in unser Herz geschlossen», bekannte der frühere Welt- und Europameister und heutige Klub-Vize Bonhof.

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