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«TAG-Befürworter machen Fehler»

Wer einen Zusammenhang herstelle zwischen dem Tourismusabgabegesetz (TAG) und der Olympia-Abstimmung, begehe einen taktischen Fehler, sagt Reto Branschi, Direktor der Tourismusdestination Davos Klosters.

Südostschweiz
10.11.12 - 01:00 Uhr

Mit Reto Branschi sprach Reto Furter

Herr Branschi, wie schläft es sich derzeit als oberster Davoser Touristiker?

Reto Branschi: Es weht ein rauer Wind im Tourismus. Die Nachfrage ist eingebrochen, nicht wegen des schwachen Euros allein, sondern weil wir in einer Wirtschaftskrise stecken. Das löst Ängste aus. Wenn Tausende von Leuten entlassen werden, dann sind das Leute, die potenziell bei uns Ferien machen würden. In solchen Situationen spart die Bevölkerung aber als Erstes ausgerechnet bei den Ferien. Das werden wir wohl noch verstärkt zu spüren bekommen.

Prognosen sagen, in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres gehe es aufwärts. Vielleicht.

Die Davoser Hoteliers, die ich kürzlich zu ihren Ansichten befragt habe, sind positiver eingestellt als auch schon. Wir haben die Talsohle erreicht. Wichtig ist jetzt, dass die Umstände in dieser Saison stimmen: Es muss Schnee liegen, die Sonne muss scheinen. Einen rasanten Anstieg erwarte ich allerdings in Zukunft nicht. Die Erholung wird lange dauern, das ist meine persönliche Meinung. Man hört heute von Gästen, die aus Österreich heimkommen und sich darüber beklagen, dass der Service unfreundlich gewesen sei.

«Im Erfolg wird man nachlässig»

Dann wären die Spiesse in Graubünden und in Tirol wieder gleich lang.

Die Österreicher und Südtiroler Tourismusgebiete werden derzeit so sehr überschwemmt, dass dort vermutlich die Freundlichkeit auf der Strecke bleibt. Das höre ich in letzter Zeit von vielen Gästen. Im Erfolg wird man nachlässig. Vor einigen Jahren war man in Davos jeweils froh, wenn es im Mai weniger Gäste hatte. Das ist jetzt nicht mehr so. Jetzt haben wir den Schalter umgelegt.

Jetzt sind sogar die Davoser freundlich?

Nein, nein, das ist nicht die Meinung, es gab schon immer freundliche Gastgeber. Wir sind aber noch mehr darauf sensibilisiert, dass man auf die Bedürfnisse und Wünsche der Gäste eingeht und die bestmögliche Dienstleistung erbringt. Schon nur, weil Empfehlungen heute das wichtigste Marketinginstrument sind.

Das Tourismusabgabegesetz (TAG) würde helfen, die Krise zu überwinden. Das sagen die Befürworter. Das neue Gesetz könne für Aufbruchstimmung sorgen.

Für viele Destinationen, die ihre Finanzierung nicht geregelt haben, weil das auch sehr schwierig ist, kann das neue Gesetz für Rahmenbedingungen sorgen, mit denen sie gut arbeiten können. Das kann ich mir vorstellen. Aber es gibt natürlich auch viele Tourismusdestinationen, bei denen die Finanzierung längst geregelt ist. Was das neue Gesetz dort auslösen soll, weiss ich nicht genau. Aber in Scuol, in Arosa oder auf der Lenzerheide wird sicher niemand glauben, dank des TAG gehe es aufwärts.

Der Davoser Tourismus kann mit dem TAG leben. Das ist die offizielle Kommunikation aus Davos.

Genau.

Das ist vielsagend.

Man muss den Hintergrund kennen. Vor den Änderungen, die der Grosse Rat am TAG vorgenommen hat, war das Gesetz für uns nicht akzeptabel. Wir hätten uns zu viele Probleme aufgeladen, weil die Justierungsmöglichkeiten fehlten. Nicht berücksichtigt wurde unser Vorschlag, dass jene Destinationen, die mit dem bisherigen Finanzierungsmodell mehr Einnahmen generieren als mit dem TAG, hätten wählen können, ob sie das im TAG vorgesehene Modell übernehmen oder nicht. Mit den Justierungsmöglichkeiten, die jetzt im Gesetz drin sind, können wir die Belastung der Branchen etwa auf dem gleichen Niveau belassen. Innerhalb der Branchen wird es aber Umverteilungen geben: Die einen werden mehr bezahlen, die anderen weniger.

Wollen Sie jetzt das TAG? Schreiben Sie Ja oder Nein auf den Stimmzettel?

Persönlich? Als Reto Branschi? Das habe ich mir noch nicht überlegt. Ehrlich. Ich bin hin und her gerissen.

Sie haben das Gesetz vermutlich zu wollen, weil das politisch opportun ist.

Nein, nein. Die Destinationsorganisation kann zu diesem Gesetz aus Solidarität zu Graubünden, zu den anderen Tourismusdestinationen, Ja sagen. Wir können damit leben. Aus der Sicht der Davoser Tourismusbetriebe besteht mit dem TAG aber das Risiko, dass wir in der Gemeinde Davos eine weitere Abstimmung gewinnen müssen, um weiterhin auf die nötigen Einnahmen zu kommen. In der heutigen Zeit, wo alle sparen müssen, ist das Risiko natürlich gross, dass die Davoser Bevölkerung Nein sagt. Das ist der Punkt. Als Touristiker sage ich Ja, als Davoser sage ich Nein.

Wenn das TAG kommt und die Davoser Nein zur Anschlussgesetzgebung in der Gemeinde sagen, muss die Destination sparen. Davor habe der Davoser Tourismus Angst, sagen die TAG-Gegner.

Die Unternehmer haben Angst, ja. Persönlich bin ich der Meinung, dass man die Davoser Bevölkerung schon davon überzeugen kann, dass die Abstimmung über das Anschlussgesetz wichtig ist für den gesamten Davoser Tourismus. Aber das Risiko bleibt: Es kann ein Nein geben. Und das macht es schwierig, solidarisch zu sein.

Das Davoser Finanzierungsmodell ist simpel, weil der Destinationsperimeter mit jenem der Gemeinden Davos und Klosters identisch ist. Andernorts sind die Strukturen viel komplizierter.

Das ist so. Ich sage das auch an jeder Podiumsdiskussion: Wenn ich Vertreter von Viamala Tourismus wäre, würde ich auch so argumentieren, wie das Stephan Kaufmann macht, der stellvertretende Direktor von Viamala Tourismus. Und ich bin sicher, dass Stephan Kaufmann genauso argumentieren würde, wie ich das mache, wenn er auf meinem Sitz Platz nehmen würde. Ich übernehme die Verantwortung für Davos Klosters, nicht für das Domleschg. Und für Davos ist das Risiko da, dass wir mit dem TAG weniger Einnahmen generieren als bisher. Das ist jetzt einfach so. Das ist nicht hochnäsig, aber die Ausgangslage ist bei uns einfach speziell.

Der TAG-Abstimmungskampf ist sehr heftig – und es sind sehr viele Fehlinformationen in Umlauf. Für sachliche Information ist es fast zu spät.

Nein, das würde ich nicht behaupten. Die Tourismusdestination Davos Klosters ging sehr früh schon auf die Medien zu. Die Davoserinnen und Davoser sind informiert. Das Problem ist aber, dass viele Bündnerinnen und Bündner an der Verlässlichkeit der Zahlen zweifeln, die in der Botschaft der Regierung stehen. Man zweifelt an der Verlässlichkeit der Strukturen, weil man nicht sicher ist, ob es mit dem TAG wirklich so ist, wie es in der Botschaft steht.

Unter diesen Umständen ist die TAG-Abstimmung eigentlich nicht zu gewinnen. Man kann sich ja offenbar nicht einmal darauf einigen, dass die Grundlagen der Regierung korrekt sind in der Botschaft.

Das stimmt so nicht. Die Grundlagen sind vielleicht nicht auf dem neusten Stand, aber nicht falsch. Der Punkt ist vielmehr der, dass das Tourismusabgabegesetz den Stimmbürger gar nicht betrifft, sondern nur die Unternehmer. Die Stimmbürger stimmen über eine Vorlage ab, die sie gar nicht betrifft. Für einen Normalbürger ist das sehr schwierig. Ich will niemandem zu nahe treten, aber wenn man nicht im Detail informiert ist, weil es einen ja auch nicht betrifft, und dann die Leserbriefe liest, dann hilft das auch nicht viel. Im Gegenteil: das verunsichert.

Gegen Verunsicherung gibt es ein Rezept: Hinstehen und erklären, wie Sie das tun. Eigentlich sollte auch Ariane Ehrat, CEO der Destination Engadin St. Moritz, hinstehen und erklären. Sie scheint den politischen Druck zu spüren, sie will oder darf nicht reden.

Das weiss ich nicht. Das Engadin hat aber mit dem Finanzierungssystem in den Kreisen eine ganz andere Ausgangslage als alle anderen. Ehrats Destination erhält einen vertraglich zugesicherten Beitrag der Gemeinden. Also muss doch nicht Ariane Ehrat hinstehen, sondern die Gemeinden. Diese ziehen die Kurtaxe ein, diese leiten das Geld an die Destination weiter. Die Gemeinden müssen Stellung nehmen.

«Als Touristiker sage ich Ja, als Davoser Nein»

Mit dem TAG bezahlen Zweitwohnungsbesitzer mehr als bisher. Das macht Sinn, die profitieren schliesslich auch, sagen die Befürworter der Vorlage.

Da muss man differenzieren. Ein Zweitwohnungsbesitzer kauft eine Wohnung in einem Ort, weil es ihm da gefällt. Damit das so bleibt, muss die Gemeinde investieren, sonst sinkt der Wert der Zweitwohnung. Der Besitzer müsste Interesse daran haben. Ich rechne das auch jedem Besitzer gerne vor: Wenn man zehn Jahre lang jährlich 2000 Franken an Abgaben zahlt, also insgesamt 20 000 Franken, ergibt das in Davos einen Gesamtbeitrag von zwölf Millionen Franken pro Jahr. Mit diesem Geld kann man die Gesamtattraktivität von Davos massiv erhöhen. In diesen zehn Jahren erhöht sich der Wert einer durchschnittlichen Wohnung – jetzt mit der Zweitwohnungsinitiative erst recht – um 100 000 Franken, mindestens. Da kann man doch auch etwas bezahlen dafür. Viele Zweitwohnungsbesitzer in Davos können das nachvollziehen.

Ein Nein zum TAG Ende November, ein Ja zu Olympia im kommenden März: Viele sagen, das gehe nicht auf, weil die Bündner Solidarität Grenzen habe.

Ich kann nicht begreifen, weshalb man diese beiden Geschichten mischt. Zum TAG hat ein vernünftiger Bürger vielleicht, wenn auch mit Müh und Not, eine eigene Meinung, sonst nimmt er eine Meinung an. Zu Olympia hingegen hat jeder Stimmbürger eine eigene Meinung. Wenn die beiden Abstimmungen einen kausalen Zusammenhang haben, würde ja auch das Umgekehrte gelten: Bei einem Ja zum TAG resultiert automatisch ein Ja zu Olympia.

Gehen Sie davon aus?

Nein. Dieser Schluss ist genauso absurd wie das Gegenteil. Ich glaube nicht an den Zusammenhang. Die TAG-Befürworter machen hier einen Fehler. Denn alle jene, die gegen Olympische Winterspiele stimmen wollen, werden jetzt zu einem Nein zum TAG verführt. Die Taktik ist kontraproduktiv für das TAG.

Die Olympiastadt Davos und Sie als Davoser Tourismusdirektor müssten aufhorchen, wenn jemand davor warnt, dass die Olympia-Abstimmung am TAG-Nein scheitern könnte. Bei Ihnen müssten sämtliche Alarmglocken schrillen.

Natürlich, das ist so. Trotzdem, ich schätze die Stimmbürger für so mündig ein, dass sie in der Lage sind, die beiden Vorlagen zu trennen.

«Die Taktik ist kontraproduktiv»

Das werden die Stimmbürger aber vielleicht nicht tun. Also braucht es ein flammendes Plädoyer für das TAG – von Ihnen, um die Gefahr einer Retourkutsche zu reduzieren. Und gleichzeitig wollen Sie klarstellen, dass Sie keine Verbindung zwischen den Vorlagen sehen? Dieser Spagat ist recht gross.

Diese Verbindung macht doch keinen Sinn, wie gesagt, das würde ja bedeuten, dass es ein Ja zu Olympia gibt, wenn man zum TAG Ja sagt. Obwohl dies der Umkehrschluss ist, wird dies wohl niemand ernsthaft behaupten. Umgekehrt aber schon?

Politisch betrachtet ist es brisant, wenn jemand – und wir sprechen immerhin von einem Bündner Nationalrat – den Bogen vom TAG zu Olympia schlägt.

Natürlich, ja. Aber es wird ja nicht so sein, dass die Neinstimmen zum TAG ausschliesslich aus Davos und aus dem Oberengadin kommen. Und es wird auch nicht so sein, dass die gesamte Surselva Ja zum TAG stimmt. Und es wird in der Olympia-Abstimmung Ja- und Neinstimmen aus der Surselva geben.

Sie nehmen das auf die leichte Schulter. Aber die Stimmen könnten Ihnen am Schluss fehlen.

Ich bin überzeugt davon, dass wir nach der TAG-Abstimmung in Richtung Olympia marschieren können. Und ich bin überzeugt davon, dass wir der Bevölkerung aufzeigen können, dass die Olympiakandidatur ein sehr wichtiges Projekt für Graubünden ist.

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