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«Sugar Daddys» als grösstes Problem im Kampf gegen Aids

In Südafrika beginnt am Samstag die grösste Aids-Konferenz des Kontinents. Obwohl das Gastgeberland jüngst grosse Fortschritte im Kampf gegen die Krankheit erzielt habe, bestehe noch viel Aufhol- bedarf, meinen Experten.

Südostschweiz
05.12.13 - 01:00 Uhr

Von Markus Schönherr

Johannesburg. – In Südafrika beginnt am Samstag die «17. Internationale Konferenz zu Aids und sexuell übertragbaren Krankheiten» (Icasa) – die Grösste ihrer Art auf dem Kontinent. Erwartet werden rund 10 000 Besucher aus aller Welt und das Motto zur Ausrottung von HIV/Aids klingt vielversprechend: «Heute mehr denn je: Null anstreben». Im Gastgeberland selbst gebe es aber noch viel Aufholbedarf, erinnert Dr. Lucie Cluver, Sozialwissenschaftlerin an der Universität Oxford.

Aids-Kranke werden stigmatisiert

«Sugar Daddys», hiesse Cluver zufolge das grösste Problem. Dabei handelt es sich um reiche Männer, die sich Minderjährige mit Kleidung, Mobiltelefonen oder Bargeld gefügig machen. Oft infizieren sie ihre Sexpartner mit HIV, denn «die Mädchen sind nicht in der Situation, in der sie den Gebrauch von Kondomen verhandeln könnten», so Cluver. Die Forscherin leitet Young Carers, die bisher längste Studie über den Einfluss von HIV/Aids auf Kinder. In Zusammenarbeit mit drei südafrikanischen Universitäten, dem UN-Kinderhilfswerk (Unicef) und dem Krisenplan des US-Präsidenten zur Bekämpfung von Aids (Pepfar) befragten die Wissenschaftler Familien im südlichen Afrika. Den Ergebnissen zufolge sei das «Sugar Daddy»-Problem eng mit HIV/Aids verbunden: Während Kinder von gesunden Eltern eine einprozentige Chance auf Sex für Geld hätten, liege die Chance bei Kindern mit Aidskranken Eltern bei 57 Prozent. «Kinder in Familien mit Aids leiden doppelt so oft unter Hunger, werden stigmatisiert und haben eine dreimal höhere Missbrauchsrate.» Hinzu kämen Cluver zufolge die psychischen Auswirkungen der Krankheit: Depressionen, Angstzustände und posttraumatischer Stress. «Einige der Kinder haben uns erzählt, sie könnten sich in der Schule nicht konzentrieren, da sie Angst hätten, nach Hause zu kommen und ihre Mutter tot aufzufinden.» In Südafrika, wo fast jeder Fünfte mit der Krankheit lebt, gilt Aids vielerorts immer noch als Tabuthema. In diesem Jahr sorgte ein Vorfall im Johannesburger Township Soweto für Aufsehen: Hier hatte ein 27-Jähriger eine Polizeistation aufgesucht, um seine Ex-Freundin anzuzeigen, nachdem diese ihn mit dem HI-Virus infiziert haben soll. Von der Polizei hiess es aber, dagegen gäbe es kein offizielles Gesetz, ihm bleibe nur eine Zivilklage.

Ära Mbeki ist überwunden

Die Regierung selbst konnte in den letzten Jahren einige Erfolge verbuchen: Aktuell erhalten 1,9 Millionen Südafrikaner antiretrovirale Medikamente, bis 2015 soll die Zahl auf drei Millionen steigen. Eine als «Wunderpille» angepriesene Kapsel kam im April auf den Markt – sie vereint erstmalig fünf verschiedene Kapseln und soll die Lebensqualität von Aids-Patienten steigern. In einem symbolischen Akt liessen sich im Oktober die Parlamentarier des Landes auf HIV testen. Die Bereitschaft in der Regierung war nicht immer so gross. Ex-Präsident Thabo Mbeki hatte während seiner Regierungszeit kategorisch den Zusammenhang zwischen HIV und Aids geleugnet. Sein Gesundheitsministerium hatte Aids-Kranken eine Diät aus Knoblauch, Zitrone, Roter Beete und Olivenöl empfohlen. Laut Studien der Universitäten Harvard und Kapstadt habe Mbekis Aids-Politik mehr als 330 000 Tote und 171 000 Neuinfektionen gefordert. «Man muss anerkennend sagen, dass Südafrika nach der skandalösen Aids-Verleugnungspolitk in der Ära Mbeki die Kurve gekriegt hat und heute auf eines der wirksamsten Aids-Bekämpfungsprogramme in Afrika stolz sein kann», meint Bartholomäus Grill, Spiegel-Korrespondent und Autor des Buchs «Gott, Aids, Afrika».

Nun gelte es Dr. Cluver zufolge, nicht nur die Krankheit, sondern ihren Rückhalt in der Gesellschaft zu bekämpfen. Training und Bildung seien erste Schritte, aber langfristig brauche es Förderungen, etwa Schul- oder Kindergeld. «Die Zuschüsse können risikoreiches Verhalten nicht beeinflussen, aber sie geben Jugendlichen die Chance, ihren Sexpartner auszuwählen, anstatt von einem ‘Sugar Daddy’ zu leben.»

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